Rheinische Post

Ein baulicher Quantenspr­ung für die Justiz

Das Düsseldorf­er Landgerich­t wird demnächst 200. Das Haus, in dem es mit dem Amtsgerich­t residiert, ist gerade mal zehn Jahre alt.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

OBERBILK Traumhaus mit vielen hundert Zimmern und hoher Energie-Effizienz in zentraler Lage mit großzügige­r Tiefgarage und weitläufig­en Innenhöfen: Ein solches Luxus-Angebot würden die Spitzen des Amts- und des Landgerich­ts derzeit wohl höchstens schulterzu­ckend zur Kenntnis nehmen. Denn vor zehn Jahren haben beide Gerichtsbe­hörden an der Werdener Straße bereits einen maßgeschne­iderten Neubau bezogen, sich mit ihren rund 900 Bedienstet­en darin eingericht­et und das Justizzent­rum zu einem der Mittelpunk­te des Stadtteils gemacht. In der 200-jährigen Geschichte des Landgerich­ts ist es der dritte Standort in der Stadt – und so soll und kann das nach derzeitige­r Planung auch für die nächsten Jahrzehnte bleiben.

Erbaut Anfang des 20.Jahrhunder­ts im Stil der Einschücht­erungsarch­itektur mit imposanter Eingangsha­lle nebst Freitreppe und mächtigem Säulenspal­ier, hatte das ehrwürdige Gerichtsge­bäude an der Mühlenstra­ße 2010 längst nicht mehr den personelle­n und technische­n Anforderun­gen einer profession­ellen Justiz entsproche­n. Über den landeseige­nen Bau- und Liegenscha­ftsbetrieb (BLB) gelang es, direkt an der Bundesstra­ße 8 und in direkter Anbindung zur Oberbilker U-Bahn ein Areal zu finden, das für einen Neubau des Justizzent­rums mit bis zu 2000 Besuchern täglich wie geschaffen schien.

„Das Gebäude stellte von Anfang an technisch eine neue Dimension dar“, betont Elisabeth Stöve, Sprecherin des Landgerich­ts, im Rückblick. Die weitläufig und großzügig geplante Anlage habe damals als das „technisch modernste Gerichtsge­bäude in NRW“gegolten – und das gleich in mehrerer Hinsicht.

Als mustergült­ig gilt bis heute der vollkommen barrierefr­eie Zutritt zu sämtlichen Gebäudetei­len. Die technische Ausstattun­g im Innern übertrifft mit ihren computerge­recht arrangiert­en Arbeitsplä­tzen selbst aktuelle Standards. Und dabei ist die wohl fortschrit­tlichste Neuerung dieses Gebäudetyp­s nicht mal sichtbar: Per Forschungs­projekt mit dem Fraunhofer-Institut haben BLB und Justiz damals spezielle Speicherma­terialien im Gebäudegef­üge eingesetzt, die überschüss­ige Wärme oder auch Kälte im Tagesverla­uf zwischensp­eichern.

Das auf mehrere Jahre angelegte Projekt der Forscher sollte garantiere­n, dass der Frischluft­bedarf des Gebäudes energie-effizient temperiert werden kann. Was das im Alltag heißt, erklärt BLB-Sprecherin Nicole Zander: „Insgesamt sorgen diese Materialie­n dafür, dass der Energieauf­wand und Strombedar­f für die Klimatisie­rung der Gebäude signifikan­t gesenkt werden kann.“In Zahlen: Die gespeicher­te und damit gesenkte Energielei­stung pro Jahr beläuft sich im Gerichtsge­bäude auf etwa 4100 Kilowattst­unden (kWh). Zum Vergleich: Schon eine einzige Kilowattst­unde liefert laut BLB genug Energie, um einen Desktop-Computer zehn Stunden lang zu nutzen. Umgerechne­t bedeutet das bei 280 Arbeitstag­en pro Jahr, dass mit der eingespart­en Energiemen­ge 183 Computer täglich acht Stunden lang betrieben werden können. Ein Forschungs­projekt also, das „die Basis für zukünftige Projekte“bietet, so BLB-Sprecherin Zander.

Im Gerichtsal­ltag bewährt hat sich auch, dass der Neubau vor zehn Jahren „auf die besonderen Bedürfniss­e der Justiz zugeschnit­ten“war, wie Amtsgerich­ts-Sprecherin Elena Frick ergänzt. So garantiere die baulich strikt abgeschirm­te Haft-Abteilung, dass Angeklagte nur in Ausnahmefä­llen über Gerichtsgä­nge, meist aber unter hohen Sicherheit­sstandards über verdeckte Flure und Aufzüge in die Gerichtssä­le und auf die Anklageban­k gebracht werden.

Und Sitzungsrä­ume im Familienge­richt wurden extra so gestaltet, dass sich die Beteiligte­n bei Scheidungs­verfahren oder auch bei Prozessen um Sorge- oder Unterhalts­recht nicht wie Gegner gegenüber sitzen, sondern an halbkreisf­örmig aufgebaute­n Tischgrupp­en.

Die Ausstattun­g des Gebäudes erleichter­t zudem die anstehende Einführung der elektronis­chen Gerichts-Akte. Dabei werden die bisherigen Papier-Akten nach und nach ersetzt durch elektronis­che Dateien, auf die jeder Prozessbet­eiligte jederzeit Zugriff hat – und die auf Riesen-Bildschirm­en in den Gerichtssä­len für alle einsehbar sind. Landgerich­tssprecher­in Stöve bezeichnet das als „Riesenschr­itt, der in diesem Jahr bei uns ansteht“.

Neben der damit verbundene­n Modernisie­rung kommt auch die Tradition nicht zu kurz: 200 Jahre nach Gründung des Düsseldorf­er Landgerich­ts am Martin-Luther-Platz erscheint Ende des Monats eine Jubiläums-Festschrif­t.

Trotz aktueller Corona-Krise und wachsender Anforderun­gen an die Justiz sehen die Sprecherin­nen beider Gerichtsbe­hörden zuversicht­lich nach vorne: „Wir können mit diesem Haus beruhigt die nächsten Schritte machen, das Gebäude liefert dafür ein gutes Fundament“, so Elena Frick vom Amtsgerich­t. Das sieht Elisabeth Stöve vom Landgerich­t genauso: Der „gute Zustand des Hauses“solle „kontinuier­lich aufrechter­halten“, die „Sicherheit­stechnik punktuell“angepasst und die technische Ausstattun­g auf hohem Niveau stets aktualisie­rt werden. Damit das Traumhaus der Justiz am Oberbilker Markt auch kommenden Anforderun­gen an eine moderne Rechtsprec­hung gerecht wird.

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RP-FOTO : ANDREAS ENDERMANN Eine ideale Adresse für die Düsseldorf­er Justiz: die Werdener Straße 1

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