Mithilfe oder Anschwärzen?
Nicht jeder, der Verstöße auch in Corona-Zeiten meldet, ist ein Denunziant.
GOTT UND DIE WELT
Die Corona-Krise scheint ein weiteres Virus in sich zu tragen: das der Denunziation. Etwas vornehmer formuliert, geht es um sogenannte Initiativmeldungen, mit denen Bürger dem jeweiligen Ordnungsamt Verstöße gegen Corona-Verordnungen anzeigen. Auf diese Möglichkeit hatte unlängst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dezent hingewiesen, während das Ordnungsamt der Stadt Essen für seine besorgten Bürger sogar ein Meldeformular bereithält, mit dem Übertretungen online beschrieben und angezeigt werden können – flugs und einfach. Kritiker scheuten keine Vergleiche und attestierten der Ruhrmetropole, damit eine „Blockwart-Mentalität“zu schüren, wie sie auch im Nationalsozialismus gepflegt wurde. Spült die Pandemie jetzt also schlechte Charaktereigenschaften an die Oberfläche? Tatsächlich kann der Fingerzeig auf andere das Gefühl plötzlicher Macht wecken, aber auch das eigene Sicherheitsbedürfnis befriedigen: Wer das Normale schätzt, muss jede Abweichung davon wenigstens als Störung empfinden. Ist also der Denunziant „der größte Lump im ganzen Land“, wie ihn August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874) – immerhin der Dichter unserer Nationalhymne – beschrieb?
Aber heißt das dann auch, gleich alles hinzunehmen, was einen Verstoß darstellt? Denunziation bedeutet zunächst sehr neutral nur „Anzeige erstatten“. In der Tat sind die Grenzen fließend zwischen einer Meldung aus niederen Beweggründen und einer aktiven Mithilfe. Jede Anzeige wird so zu einer Werteentscheidung. Es gilt nämlich die Frage zu klären: Was hat einen höheren Wert? Das Einhalten etwa des Versammlungsverbots oder das Recht auf die vermeintliche Freiheit des Bürgers? Welche Verantwortung ist man selbst bereit für die Gemeinschaft zu übernehmen? Oder wie gleichgültig ist man? Extrem wichtige Fragen sind das – und nicht nur in Corona-Zeiten.