„Es kann nicht mehr sein wie vor Trump“
Der SPD-Chef spricht über die Reaktionen auf die Wahl von Joe Biden, was Deutschland und die SPD daraus lernen können.
Was haben Sie gefühlt, als Sie „Biden, President elect“gelesen haben?
WALTER-BORJANS Eine riesige Erleichterung.Vier weitere Jahre Trump wären eine unglaubliche Belastung sowohl für die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA als auch für das Zusammenwirken der demokratischen Staaten im Rest der Welt gewesen. Auf der anderen Seite sehe ich die Mammutaufgabe, die auf Biden zukommt, die Spaltung der Nation wieder rückgängig zu machen. Und ich frage mich mit Sorge, was der abgewählte Präsident in den verbleibenden Monaten im Amt anstellt.
Was bedeutet der Sieg von Biden und Harris für die deutsche Sozialdemokratie?
WALTER-BORJANS Die US-Wahlen senden die deutliche Botschaft, dass es in einer demokratischen Gesellschaft einen erfolgreichen Widerstand gegen Populismus gibt. Darin drückt sich auch der Anspruch aus, dass mit Vernunft regiert werden soll. Ein so knappes Ergebnis ist zugleich das Signal, dass es nach Trump nicht mehr so sein kann wie vor Trump. Joe Biden wird sich stärker um Amerika kümmern müssen, und das bedeutet für uns, dass wir Europa stärker machen müssen. Das haben wir schon im Koalitionsvertrag hervorgehoben. Diese Aufgabe gehört jetzt noch stärker ins Zentrum des politischen Handelns.
Was lernt die SPD aus Bidens Wahlkampf für ihren eigenen im nächsten Jahr?
WALTER-BORJANS Weder die Art der Kampagnen noch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kann man eins zu eins von den USA auf Deutschland übertragen. Die auch im Wahlkampf deutlich gewordene Spaltung läuft schon seit Jahren, und Trump hat sie noch einmal extrem vertieft.Was wir aber sehen, ist, dass Politik sich immer stärker über Personen vermittelt, das ist auch bei uns so.Wir sehen, wie wichtig und erfolgversprechend es ist, auf eine gewinnende Weise für Zusammenhalt und Gemeinschaft zu werben. Viele wissen, dass der versammelte Egoismus nicht zum Gemeinwohl führt.
Sollte die Regierung Biden bald nach Deutschland einladen?
WALTER-BORJANS Bis zum 20. Januar haben die USA noch einen anderen Präsidenten. Ich gehe davon aus, dass der neue Präsident nach der Amtsübernahme den Wunsch haben wird, seine wichtigsten Partner bald zu besuchen.
Was steht ab dem 20. Januar auf der transatlantischen Agenda?
WALTER-BORJANS Sicherlich geht es um eine neue wirtschaftliche Zusammenarbeit. Intensiver Handel sorgt auch für eine enge Bindung zwischen Partnern. Wir sind immer gut damit gefahren, wenn wir uns nicht mit Strafzöllen und Protektionismus bedroht haben. Es wird auch darum gehen, mehr Ethik in die Wirtschaft zu bekommen, also gemeinsam die Bedingungen zu formulieren, unter denen verantwortbar gewirtschaftet wird. Dazu gehört der Klimaschutz und damit die Hoffnung, dass Biden schnell zum Pariser Abkommen zurückkommt. Es wird sicherlich Themen geben, die kontrovers bleiben. Biden ist zum Präsidenten der USA und nicht zum Weltpräsidenten gewählt worden. Für die Interessen Europas sind zuvörderst die Europäer zuständig. Aber das wird in einem partnerschaftlichen Dialog ausgetragen werden.
Biden dürfte auch mehr Verteidigungsanstrengungen von Deutschland verlangen. Ziehen Sie da mit?
WALTER-BORJANS Wir haben uns dieser Diskussion nie entzogen. Aus vier Jahren Trump haben wir gelernt, dass Europa sich seiner eigenen Position stärker bewusst sein muss. Das Bruttoinlandsprodukt ist als Maßstab für Rüstung ungeeignet. Das würde ja bedeuten, dass man in der Rezession abrüstet und beiWirtschaftswachstum aufrüstet. Außerdem kommt es darauf an, was alles als Verteidigungsausgaben zählt. Mein Sohn arbeitet in den USA als Physiker an der Entwicklung von Quanten-Computern mit. In diesen Etat fließen auch Mittel, die zum US-Verteidigungshaushalt zählen. Ich hätte nichts gegen massive Forschungsförderung in diesem Bereich auch bei uns. Aber die Diskussion über zwei Prozent vom BIP für völlig unterschiedlich abgegrenzte Ausgaben halte ich für Unsinn.
Sollte Europa mit Biden eine neue Berechnungsgrundlage finden?
WALTER-BORJANS Es wäre gut, wenn wir die Diskussion versachlichen. Niemand sollte sich an einer Zahl festhalten, sondern auch die Komplexität dahinter berücksichtigen. Maßstab muss sein, wie Sicherheit in derWelt gewährleistet werden kann. Dazu gehören auch die Ausgaben für internationale Entwicklungszusammenarbeit. Da würde ein fester Anteil an der nationalenWirtschaftsleistung sogar Sinn machen.
Haben Sie einen Tipp für Trump?
WALTER-BORJANS Trump muss lernen, dass Demokratie nicht nur dann gut ist, wenn sie einen an die Macht bringt, sondern dass Demokratie auch bedeutet, sich wieder von der Macht zu verabschieden. Er sollte begreifen, dass man sich mitWürde verabschiedet, und erkennen, dass man auch nach dem Amt eineVerantwortung für sein Land hat.