„Verspüre große Verbundenheit zur Fortuna“
Er war Düsseldorfs Abwehrchef der vergangenen Jahre. Nach dem Abstieg zog es Kaan Ayhan nach Italien.
Zwei Klubs, ein Spieler und eine Bankgarantie – das war der Stoff des größten Sommer-Transfertheaters bei der Fortuna. Mittendrin: Kaan Ayhan. Zwei Millionen Euro betrug die Ausstiegsklausel des Abwehrchefs nach dem Abstieg aus der Bundesliga, gültig bis zum 31. Juli, 24 Uhr. Der italienische Erstligist Sassuolo Calcio überwies das Geld dann auch, es kam aber zu spät an. Die Italiener verwiesen auf eine Bankgarantie, die Düsseldorfer zweifelten an deren Rechtmäßigkeit. Am Ende war es eine Sache der Anwälte. Etwas mehr als zwei Wochen später war der Deal dann fix – Sassuolo musste aber einen Aufschlag zahlen, der angeblich bei rund 500.000 Euro gelegen haben soll.
Kaan Ayhan zog sich zu dieser Zeit vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück, meldete sich nicht zuWort – bis heute. Unsere Redaktion erreichte ihn in der vergangenen Woche in seinem neuen italienischen Heim in Modena, knapp 20 Kilometer von Sassuolo entfernt. „Wir fühlen uns sehr wohl in unserem schönen Zuhause. Es hat alles superschnell geklappt, wir haben direkt ein Haus gefunden, sind eingezogen. Ich hätte mit mehr Problemen gerechnet“, erzählt Ayhan. Auch sportlich könnte es nicht besser laufen. Sassuolo ist nach sieben Spieltagen Tabellenzweiter, zwei Punkte hinter dem legendären AC Mailand, zwei Punkte vor der großen alten Dame Juventus Turin. „Es läuft alles glatt. Ich muss manchmal schon aufpassen, dass ich nicht zu positiv werde. Wir sind ja gerade erst am Anfang, ich habe ja für vier Jahre unterschrieben. Aber ich genieße es total derzeit“, sagt der 25-Jährige.
Einzig kulinarisch musste sich Ayhan etwas umstellen. „Die Esskultur ist schon anders“, erzählt er. „Als ich noch im Hotel gelebt habe, habe ich nach Cafés gesucht, um zu frühstücken. Nach zwei Wochen hat mir dann mal jemand erzählt, dass sie hier in Italien gar nicht dieses Frühstücksverlangen haben, das ich aus Deutschland kenne. Und ich bin schon auch der Rührei-Typ, hier ist das aber nicht so gang und gäbe.“So knurrte bei Ayhan bis 13 Uhr teilweise der Magen, bis es an den Mittagstisch ging.
Ayhan gerät beim Thema Essen ins Plaudern: „Auch beim Abendessen ist alles anders. Mein Ernährungsplan in Deutschland sah vor, dass ich nach 18 Uhr nichts mehr esse. Hier öffnen die Restaurants aber erst um 19 Uhr. Im Hotel ging auch nichts davor. Ich habe dann für 20 Uhr einen Tisch reserviert und war natürlich die deutsche Pünktlichkeit gewohnt. Also stand ich auch um 20 Uhr auf der Matte. Die haben mich schräg angeguckt, was ich denn schon hier wolle. Niemand anderes saß an einem Tisch. Es geht eben hier erst so um 21 Uhr los. Da brummt dann aber auch bis 23 Uhr das Geschäft“, sagt Ayhan, der aber festgestellt wissen will: „Aber genau deshalb wollte ich ja den Schritt ins Ausland machen. Ich will andere Gepflogenheiten kennenlernen. Es kommen so viele Kleinigkeiten auf mich zu, die ich so nicht kenne, aber ich stehe all dem offen gegenüber. Ich bin nicht mit der Einstellung nach Italien gekommen: Hoffentlich ist es hier wie in Deutschland.“
Dass er sich Italien ausgesucht hat, war ja auch keine Kurzschlussreaktion. Schon im Sommer 2019 hatte Atalanta Bergamo angeklopft. Seitdem hatte sich der gebürtige Gelsenkirchener mit der Idee eines Wechsels nach Italien auseinandergesetzt. „Diese Entscheidung ist ja ein Prozess. Als im Sommer-Transferfenster wie schon ein Jahr zuvor Signale von italienischen Klubs kamen, war es schon mein Wunsch, das dieses Mal auch zu realisieren, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Ich wäre schon enttäuscht gewesen, wenn es mit Italien nicht geklappt hätte.“
Und beinahe hätte es ja im letzten Moment nicht geklappt. Das Transfertheater mit Fortuna sei schon eine harte Zeit gewesen, berichtet er. „Ich würde nie nachtreten, da ich eine große Verbundenheit zur Fortuna spüre“, sagt er. „Aber ich war schon in einer Euphorie, als es mit Sassuolo eigentlich klar war. Ich war aufgeregt und konnte kaum still sitzen. Ich hatte unterschrieben, die Vorfreude war voll da. Und dann auf einmal so eine Situation, da war die ganze Vorfreude weg, ohne dass ich jemandem damit einenVorwurf machen möchte. So hat es sich eben angefühlt. Am Ende war ich dann aber froh, dass alle Seiten aufeinander zugegangen sind.“
Angetan zeigt sich Ayhan vor allem von den Fortuna-Anhängern, die ihm nach dem Wechsel und während des Theaters über die sozialen Medien durchweg positives Feedback gegeben haben: „Ich muss sagen: Was die Fortuna-Fans mir auf Instagram geschrieben haben, war überragend. Jeder hat es mir gegönnt. Das war beeindruckend, damit hätte ich nicht gerechnet.Wie ich da verabschiedet wurde, hat meineVerbundenheit zu Düsseldorf nochmal gestärkt.“
Deshalb schaut sich Ayhan – so weit es geht – auch alle Spiele von Fortuna live am TV an. „Ich habe auch noch Kontakt zu vielen Spielern, habe viele Freunde dort“, sagt Ayhan, der bei der türkischen Nationalmannschaft ja auch noch direkten Kontakt zu Kenan Karaman hat. „Für mich ist es normal, dass Fortuna ein paar Anlaufschwierigkeiten hat. Zumal die Zweite Liga wirklich eine Liga ist, in der jeder jeden schlagen kann. Wenn da mal drei, vier Schlüsselspieler wegfallen, gewinnst du diese 50/50-Spiele manchmal eben nicht. Aber: Mein Vertrauen in den Trainer ist riesig. Uwe Rösler ist der beste Trainer, den ich mir derzeit für Fortuna vorstellen kann.“
Während Ayhan der Fortuna beim ProjektWiederaufstieg die Daumen drückt, freut er sich natürlich auch schon auf die Zeit nach der regulären Saison, denn dann steht hoffentlich die auf 2021 verschobene Europameisterschaft an. „Ohne Zuschauer wäre es schon sehr traurig. Ich wünsche mir – nicht nur für die EM – dass bis dahin wieder Normalität einkehrt“, sagt er. Und dann möchte er natürlich beim Eröffnungsspiel auf dem Rasen stehen. Denn das lautet, passender könnte es nicht sein: Türkei gegen Italien.