Rheinische Post

Steuern in NRW brechen 2021 ein

In diesem Jahr kämen die Städte noch zurecht, meint die Kommunalmi­nisterin. Danach komme die große Herausford­erung. Der Gewerkscha­ftsbund will Vermögen stärker belasten.

- VON KRISTINA DUNZ, ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF/BERLIN Trotz der Corona-Krise gehen die Steuerschä­tzer überrasche­nd von etwas höheren Einnahmen für Bund, Länder und Kommunen im nächsten Jahr aus als zunächst gedacht. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagte: „Der Blick nach vorne geht in die Sonne.“Die Wirtschaft habe sich besser entwickelt als vermutet. 2021 könnten 3,4 Milliarden Euro mehr in die Kassen kommen als im September erwartet. Auch 2022 könnte besser laufen als gedacht. Die schlechte Nachricht: Erstmals seit der Finanzkris­e 2009 gehen die Steuereinn­ahmen massiv zurück. 2020 würden 71 Milliarden Euro weniger eingenomme­n als im Vorjahr. Das ist ein Minus von 8,9 Prozent.

Ökonomen und Union warnen Scholz vor Schönfärbe­rei: „Diese Steuerschä­tzung bringt überhaupt keine Entwarnung. Das Licht am Ende des Tunnels ist allenfalls eine Funzel“, sagte Friedrich Heinemann vom Institut ZEW. CDU-Haushaltsp­olitiker Eckhardt Rehberg betonte: „Der Bundesfina­nzminister sollte nicht den Eindruck erwecken, dass der Staat alles leisten kann.“Für 2021 erwarten die Schätzer Steuereinn­ahmen von 776 Milliarden Euro; vor der Pandemie hatten sie mit 845 Milliarden kalkuliert.

Das trifft auch Nordrhein-Westfalen. „Die wohl größte Krise in der über 70-jährigen Geschichte unseres Landes führt neben erhebliche­n sozialen Kosten auch zu einem signifikan­ten Einbruch der gesamtstaa­tlichen Wirtschaft­sleistung und zu einem Rückgang der steuerlich­en Einnahmen auf allen Ebenen“, sagte NRW-Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er (CDU). In diesem Jahr kämen die Kommunen noch zurecht, erklärte NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU). „Mit den zusätzlich von Land und Bund bereitgest­ellten Finanzmitt­eln kommen die Kommunen in diesem Jahr ganz gut klar“, so ihr Sprecher. Die Herausford­erung würden das kommende Jahr und die Zeit danach. Auf die Frage, ob sich das Land an den Corona-Kosten der Kommunen beteiligen werde, reagierte er hinhaltend: Je nach Konjunktur­entwicklun­g ergäben sich Entscheidu­ngen.

Das reicht dem Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) nicht. Er forderte die Aussetzung der Schuldenbr­emse 2022, die Erhöhung der Erbschaft- und die Einführung der Vermögenst­euer. NRW-Chefin Anja Weber ergänzte: „Die Landesregi­erung sollte den Menschen jetzt die Angst vor den Schulden nehmen.“Der DGB schlage einen Zukunftsin­vestitions­fonds für NRW vor, um Investitio­nen zu tätigen und eine Lösung für Altschulde­n zu schaffen.

Experten warnen dagegen vor höheren Steuern: „Diskussion­en über Steuererhö­hungen sind aktuell völlig fehl am Platz, zumal die Unternehme­n und Haushalte gerade jetzt Entlastung­en benötigen“, sagte Christoph Schmidt, Chef des Forschungs­instituts RWI in Essen. Der Bund der Steuerzahl­er fordert, dass der Soli für alle abgeschaff­t wird – und zwar rückwirken­d zum 1. Januar 2020. Der RWI-Chef lehnt auch eine Aussetzung der Schuldenbr­emse ab.„Dass die Schuldenbr­emse im kommenden Jahr wohl noch einmal ausgesetzt wird, ist angesichts der noch andauernde­n Corona-Krise verständli­ch“, sagte Schmidt. Es sei aber verfrüht, jetzt schon über das Jahr 2021 hinaus nachzudenk­en. „Insgesamt hat sich die Schuldenbr­emse bewährt, gerade auch in der Krise.“Denn sie lasse explizit Ausnahmen in Krisenjahr­en zu und sehe einen planbaren Weg zurück zur Normalität vor.

Die Corona-Krise setzt auch Wirtschaft und Staatsfina­nzen unter Druck. Und wenn Finanzmini­ster Olaf Scholz nun Licht im grauen November ausmacht, könnte sich das als berufsbedi­ngte Sehschwäch­e herausstel­len. DerWinter wird hart werden, die Zahl der Pleiten wird 2021 steigen. Bei der Steuerschä­tzung ist es wie mit dem halb gefüllten Glas: Gemessen an der Prognose vom Sommer mag es dem Minister halbvoll erscheinen. Doch gemessen an denVorjahr­en ist es halb leer.

Das stellt die Steuerpoli­tik vor große Herausford­erungen. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund fordert bereits, die Schuldenbr­emse auch 2022 auszusetze­n. Das ist Trittbrett­fahrerei: Der DGB, der schon immer etwas gegen die Selbstzüge­lung des Staates hatte, nutzt die Krise aus. Dabei behindert die Schuldenbr­emse die Krisenbekä­mpfung nicht. Sie ist viel flexibler, als ihre Gegner glauben. Die Katastroph­en-Klausel sieht ausdrückli­ch vor, dass der in einer Pandemie Schulden machen darf. Dazu muss nur der Krisenfall festgestel­lt werden. Für 2020 und 2021 sind sich alle einig. Doch es ist zu früh, über 2022 zu sprechen.

Erst recht ist jetzt nicht die Zeit für Steuererhö­hungen, die DGB, Linksparte­i und Teile der SPD fordern. Auch die Abschaffun­g des Soli darf nicht zur Dispositio­n stehen. Im Gegenteil: Bürger und Firmen müssen entlastet werden, damit Konsum und Investitio­nen anspringen. Für die Firmen ist es zudem wichtig, dass der steuerlich­e Verlustrüc­ktrag kommt. Aus der Finanzkris­e 2009 hat sich die deutsche Wirtschaft durch ihre Wachstumsk­räfte befreit. Und über das Wachstum ist es dem Staat gelungen, die Schuldenqu­ote wieder auf 60 Prozent zu senken. Wachstum stärken – das muss auch die Blaupause für die Corona-Krise sein. Sie sollte nicht instrument­alisiert werden, um alte Platten der Wirtschaft­spolitik aufzulegen. BERICHT STEUERN IN NRW BRECHEN 2021 EIN, TITELSEITE

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