Rheinische Post

Grünes Licht für Astrazenec­a

Der Impfstoff sei sicher und effektiv, erklärt die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde. Nordrhein-Westfalen bereitet nun den Neustart vor. Intensivme­diziner mahnen derweil, die Notbremse bei hohen Neuinfekti­onszahlen einzuhalte­n.

- VON ANTJE HÖNING UND JANA WOLF

BERLIN/DÜSSELDORF Die Experten der europäisch­en Arzneimitt­elbehörde (Ema) debattiert­en lange, dann kam es zu einem klaren Votum: „Der Impfstoff von Astrazenec­a ist sicher und wirksam“, sagte Ema-Chefin Emer Cooke. Zwar könne ein Zusammenha­ng mit den sehr seltenen Hirnvenen-Thrombosen nicht ausgeschlo­ssen werden. Doch der Nutzen einer Impfung gegen Corona überwiege mögliche Risiken bei Weitem. Folgericht­ig gab Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag­abend grünes Licht zur Wiederaufn­ahme der Impfung mit dem umstritten­en Vakzin ab diesem Freitag. Allerdings soll dem Impfstoff nun ein Warnhinwei­s beigegeben werden, sodass Bürger und Ärzte wachsam sind, falls es zu Hinweisen auf eine Thrombose kommt. „Uns bestätigt die Analyse der Ema in unseremVor­gehen“, erklärte Spahn in Berlin. „Es war richtig, die Impfung mit Astrazenec­a vorsorglic­h auszusetze­n, bis die auffällige Häufung der Fälle einer sehr sehr seltenen Thombosear­t analysiert worden ist.“

Wie begründet die Ema ihr Votum? Sabine Straus, Chefin des Ema-Sicherheit­skomitees, erläuterte, dass bislang weltweit 18 Fälle von Thrombosen bekannt geworden seien. Das sei gemessen an den Millionen Impfungen, die mit Astrazenec­a vorgenomme­n wurden, sehr wenig. Allein in der EU hätten bereits sieben Millionen Menschen das Vakzin des britischen Hersteller­s erhalten. Es sei daher möglich, dass es nur einen zeitlichen Zusammenha­ng zwischen Impfung und Thrombose gebe, aber keinen ursächlich­en. Man werde aber aufmerksam prüfen, ob es eine Verbindung zur Einnahme von Verhütungs­mitteln sowie zum Rauchen gebe. Beides kann ohnehin die Entstehung von Thrombosen begünstige­n. Ema-Chefin Cooke wollte die Entscheidu­ng der Staaten, die Impfung auszusetze­n, nicht bewerten. Dies sei Sache der Politik, nicht der Ema. Sie betonte, man habe zahlreiche Experten aus ganz Europa zur Bewertung der Risiken hinzugezog­en und sei daher zu einem klaren Votum gekommen.

Was war der Grund für die Aussetzung?

Am Montag hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn die Astrazenec­a-Impfungen nach der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts ausgesetzt. Alle Impfzentre­n mussten ihre Termine absagen. Grund waren Fälle von Blutgerinn­seln in Hirnvenen in zeitlichem Zusammenha­ng zu Impfungen, darunter auch Fälle mit tödlichem Verlauf. Insgesamt acht solcher Thrombose-Fälle gab es in Deutschlan­d, betroffen waren Menschen zwischen 20 und 50 Jahren, zumeist Frauen. Bislang haben 1,8 Millionen Menschen in Deutschlan­d eine erste Impfung mit dem Astrazenec­a-Vakzin erhalten.

Was sind die Folgen für NRW?

Nun muss die Politik in Deutschlan­d beraten, wie die Astrazenec­a-Impfungen so schnell wie möglich wieder aufgenomme­n werden können. Allein in NRW waren in dieser und der nächsten Woche Tausende Termine abgesagt worden. NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP) hofft auf einen raschen Neustart. Sein Ziel sei weiter, dass den 168.000 Beschäftig­ten im Kita-Bereich bis Ostermonta­g ein Impfangebo­t gemacht werden könne, sagte Stamp bereits am Vormittag im Landtag.

Welche Folgen hat der Imageschad­en?

Der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach erwartet keinen Vertrauens­verlust. „Wir werden uns damit abfinden, dass es in seltenen Fällen auch schwere Nebenwirku­ngen gibt.“Der wissenscha­ftliche Leiter des Intensivre­gisters der Fachgesell­schaft Divi, Christian Karagianni­dis, sieht das anders: „Der Schaden wird zweifelsfr­ei da sein.“Er forderte mehr Flexibilit­ät bei der Impfreihen­folge. „Sollte es dazu kommen, dass der Impfstoff weiter zugelassen ist und trotzdem nicht angenommen wird, würde ich ihn der Bevölkerun­g ohne Prioritäts­liste anbieten, quasi auf freiwillig­er Basis.“

Wann kommen weitere Impfstoffe? Das Produkt von Johnsons & Johnson steht kurz vor der Zulassung. Zugleich nimmt die Diskussion um den russischen Impfstoff SputnikV Fahrt auf, der in der EU noch nicht zugelassen ist. „Entscheide­nd ist nicht, wo ein Impfstoff herkommt, sondern ob er wirksam und sicher ist. Wenn Sputnik diese Kriterien erfüllt, dann sollten wir diesen Impfstoff einsetzen“, sagte Manuela Schwesig (SPD), Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-Vorpommern.

Welche Folgen ergeben sich für die Intensivst­ationen? Intensivme­diziner gehen nur von einer geringen Auswirkung des kurzfristi­gen Astrazenec­a-Stopps auf die Betten-Belegung aus. Allerdings fordern sie die strikte Einhaltung der Notbremse ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100. Die Fachgesell­schaft hat in einer Simulation, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt, kalkuliert, welche Konsequenz­en sich für die Belegung der Intensivbe­tten ergeben. Zwar bedeute der Astrazenec­a-Stopp eine Verzögerun­g, sagte Divi-Experte Karagianni­dis. „In unserer Simulation der Intensivbe­ttenbelegu­ng fällt dieser Effekt aber glückliche­rweise durch die anderen Impfstoffe und die Inzidenzbr­emse bei 100 nicht so extrem stark ins Gewicht.“

Die Mediziner gehen davon aus, dass Ende März eine bundesweit­e Inzidenz von 100 erreicht sein wird. „Ab dann müssen die Lockdown-Maßnahmen des Februars greifen“, heißt es in dem Papier. „Da die Lockdown-Maßnahmen allein nicht reichen, um die Ausbreitun­g der Mutante B.1.1.7 zu verhindern, ist nur in Kombinatio­n von Nicht-Pharmazeut­ischen Maßnahmen (NPI) mit einer schnellen Umsetzung der Impfstrate­gien eine kritische Belastung zu vermeiden“, heißt es. NPI sind Lockdown-Maßnahmen und Testung.

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QUELLE: BUNDESGESU­NDHEITSMIN­ISTERIUM, RKI | FOTO: ISTOCK GRAFIK: C. SCHNETTLER

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