Lehrer fürchten weitere Lerndefizite durch Distanzunterricht
Bisherige Nachhilfeprogramme der Landesregierung reichen aus Sicht des Philologenverbands und der Opposition bei weitem nicht aus.
DÜSSELDORF Angesichts einer voraussichtlich langen Phase des Distanzunterrichts verlangen Lehrer mehr Anstrengungen im Einsatz gegen Lerndefizite. „Wir fordern zusätzliches und unbefristetes Lehrpersonal sowie eine deutliche Aufstockung von Stellen für Schulsozialarbeit, Sozialpädagogik und Schulpsychologen an den Schulen“, sagte die Landesvorsitzende des Philologenverbands, Sabine Mistler, unserer Redaktion. Spätestens im kommenden Schuljahr könnten dann beispielsweise kleinere Lerngruppen gebildet werden, um Defizite intensiv aufzuholen und Schüler schnellstmöglich auffangen zu können.
Das Schulministerium müsse für alle Fächer Diagnostik-Tools erarbeiten lassen, um die Lehrkräfte dabei zu unterstützen, Lerndefizite angemessen und vergleichbar einzustufen. „Es wäre sehr wünschenswert, diese schnellstmöglich zu Verfügung zu haben“, sagte Mistler. Eine realistische Einschätzung des Lernstandes und ein Aufholen der Defizite sieht der Philologenverband aber erst, wenn die Schüler wieder in Präsenz unterrichtet würden.
Die meisten Schüler in NRW kehrten am Montag in den Distanzunterricht zurück, weil die Sieben-TageInzidenz in ihrer Stadt oder ihrem Kreis über der Marke von 165 liegt. Ab dieser Schwelle sieht die Bundes-Notbremse reinen Distanzunterricht vor – mit Ausnahme der Abschlussklassen. Präsenzunterricht in vollem Umfang hingegen wird zurzeit nur in Münster sowie in den Kreisen Coesfeld und Höxter erteilt, weil nur dort die Inzidenz unter 100 liegt. Zwischen 100 und 165 ist Wechselunterricht möglich.
Nachhilfeprogramme für Schüler stehen am Mittwoch auf der Tagesordnung der Plenarsitzung im Landtag. Die Opposition bringt eigene Anträge ein. Die SPD-Fraktion fordert freiwillige, in den Schulen organisierte Förderangebote und individuelle Förderpläne. Dazu brauche es 80 zusätzliche Unterrichtsstunden – das wären für jeden Schüler zwei pro Woche. Um das nötige pädagogische Personal gewinnen zu können, sollten nach demWillen der SPD pensionierte Lehrkräfte sowie
Studierende der pädagogischen Berufe eingesetzt werden.
Auch die Grünen-Fraktion hält die bisher zur Verfügung gestellten Mittel nicht für ausreichend. Um die Kommunen nicht mit dem organisatorischen Aufwand für Räume oder Personal allein zu lassen, müssten sie auch für ihren Verwaltungsaufwand entschädigt werden. Es müsse zudem möglich sein, dass Eltern sich von sich aus an die Schule wenden, wenn sie eine Teilnahme für ihre Kinder möchten.
Die Landesregierung stellt für Nachhilfeprogramme landesweit bis zum Sommer 2022 rund 36 Millionen Euro zur Verfügung, die aber bisher schleppend abgerufen werden. Ursache dafür sind nach Informationen unserer Redaktion unter anderem hohe bürokratische Hürden. „Die Mittel sind ausreichend kalkuliert“, teilte das NRW-Schulministerium hierzu auf Anfrage mit. Zudem werde das Land die Bundesinitiative zum Abbau pandemiebedingter Lernrückstände in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro „konstruktiv begleiten und in Nordrhein-Westfalen wirkungsvoll umsetzen“.