Die Sängerin wird zur Staatsfeindin
Das Porträt der Billie Holiday ist nicht durchweg gelungen. Trotzdem ist es gut, dass es den Film gibt, der sogar für einen Oscar nominiert war.
Zwei Jahre vor ihrem Tod gibt sie ein Interview. Sie hat keine Lust dazu, auch keine Kraft, sie ist schwer drogenkrank, die Leber macht nicht mehr lange mit. Sie hat kaum noch Geld, obwohl die ganze Welt sie kennt, und der weiße Journalist zahlt dafür, dass er ihr Fragen stellen darf. Gleich die erste lautet so: „Wie fühlt sich das an, eine schwarze Frau zu sein?“Ob er Doris Day so etwas auch fragen würde, entgegnet sie. Da muss er lachen: „Doris Day ist nicht schwarz.“
„The United States vs. Billie Holiday“heißt dieser Film, und dass er nicht so gelungen ist, wie er hätte sein können und sollen, macht nichts. Es ist gut, dass es ihn gibt. Die Soul- und R'n'B-Sängerin Andra Day wurde für ihre Rolle der Billie Holiday für den Oscar nominiert, und tatsächlich sind besonders ihre Szenen auf der Bühne großartig. Sie lässt Klassiker wie „All Of Me“nicht bloß lippensynchron zuspielen. Sie singt sie selbst, und es gelingt ihr, diesem eigentlich unverwechselbaren Klang nahezukommen, diesem körperwarmen Raspeln, der melancholisch abgefederten Heiserkeit, die bei allem Schmerz doch ein Zeichen der Selbstbehauptung ist.
Lee Daniels inszeniert die Geschichte, die vor allem von den letzten zwölf Jahren der 1959 mit 44 Jahren gestorbenen Sängerin erzählt. Das ist eine nervöse Produktion, die hektisch zwischen Rückblenden und Drogenvisionen hin und her springt, zwischen Dokument und Fiktion, manchmal sogar die Farbe wechselt und sich nicht entscheiden kann, als was sie Billie Holiday für unsere Gegenwart porträtieren möchte. Was dieses Werk immerhin auszeichnet, ist seine Wirkung: Der Zuschauer bekommt Lust, sich mit dem Schaffen dieser Frau zu beschäftigen, ihre Musik zu hören und deren Wirkung abzuschätzen. Er möchte das Original kennenlernen.
Das war ein Leben voller Versehrungen. Billie Holiday wuchs in Philadelphia auf, sie war elf, als sie von einem Nachbarn vergewaltigt und zu ihrem eigenen Schutz, wie es hieß, in ein Heim geschickt wurde. Die Mutter arbeitete fortan als Prostituierte, Billie Holiday später auch, und in den verschiedenen Etablissements lief Jazz, und der trug sie durch ihr Leben. Sie arbeitete mit Artie Shaw und Count Basie; Louis Armstrong war ihr Vorbild. Als sie längst ein Star war und die Hallen füllte und mit weißen Musikern für ein vor allem weißes Publikum auftrat, musste sie in dunklen Abstellkammern warten, bis sie auf die Bühne geführt wurde. In Hotels verwehrte man ihr den Zugang zum Lift, sie sollte den Lastenaufzug nehmen.
Der Film tippt die Vorreiterrolle, die Billie Holiday für die „Black Lives Matter“-Bewegung spielte, nur an; er ist auch nicht so richtig interessiert an ihr als Künstlerin. Die Lieder sind einfach da, ihre Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Saxofonisten Lester Young (Tyler James Williams) wird eher als Kumpanei des Rausches beschrieben: „Lady Day“, wie Billie Holiday genannt wurde, war schwer heroinabhängig. In „The United States vs. Billie Holiday“stehen vielmehr die Aktivitäten von Harry Anslinger im
Mittelpunkt. Der Leiter der Drogenbehörde wollte Billie Holiday wegen Heroinkonsums verhaften lassen.
Der eigentliche Grund für Anslingers Abscheu gegen Holiday war indes ein anderer: Seit 1939 sang Billie Holiday das Lied „Strange Fruit“. Es handelt von Lynchmorden an Schwarzen, und vor jeder Aufführung in Nachtclubs und Konzerthallen ließ sie die Kellner das Publikum um Ruhe bitten, das Licht löschen und einen Spot auf ihr Gesicht richten. Sie lebte dieses Lied, sie inszenierte es als Befreiungshymne, und völlig zu Recht fürchteten viele, es könne die Menschen aufwiegeln und für Gleichheit kämpfen lassen. Das„Time“-Magazin wählte es zum „Song des Jahrhunderts“.
So zeigt dieser Film auch, wie stark ein Lied sein kann. Wie Melodien sich in Köpfen verhaken, wie sie das Publikum noch lange nach einem Konzert bewegen, wie Menschen am Schnürchen einer Klangfolge leben und denken. Es ist ein Film über die Macht der Musik, über das Potenzial, das einem Song innewohnt. Das Problem ist, dass der Film sich dessen nicht bewusst ist.
Ein Agent ist besonders hinter Billie Holiday her, er will sie zu Fall bringen, er will es seinen Chefs recht machen, der Gesellschaft dienen, in der er einen Platz finden möchte. Dieser Agent ist schwarz, und als es ihm gelingt, Billie Holiday für ein Jahr ins Frauengefängnis zu bringen, ist er stolz. Er möchte sich von seiner Mutter gratulieren lassen, er trinkt Kaffee mit ihr, und er wacht erst auf, als sie sagt: „Du bekämpfst uns, nicht die Drogen. Diese Frau ist eine Heldin.“
Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) heißt dieser Agent, und er wird sich um Billie Holiday kümmern. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis tritt sie in der ausverkauften Carnegie Hall auf, es wird ein triumphales Comeback, bei dem sie eine weiße Gardenie im Haar trägt, ihr Markenzeichen. Fletcher wird ihr Liebhaber, er ist der einzige Mann in ihrem Leben, der ihr nicht Gewalt antut. Aber auch er kann den Niedergang nicht stoppen. Billie Holiday stirbt an Leberzirrhose. Sie soll am Todestag 78 Cent auf dem Konto gehabt haben.
Der Film erinnert an eine Pionierin, eine Vorkämpferin, und die ist so groß, dass sie nicht hineinpasst in diese zwei Stunden. Es bleibt nur, ihre Musik zu hören, ihrem Einfluss auf so unterschiedliche Künstlerinnen wie Nina Simone und Janis Joplin nachzuspüren, die Kraft zu erahnen, die dieser Stimme ihre Magie gab. Es klingt gut, an Billie Holiday zu denken.