Zwischen Satire und Realpolitik
Die Ambitionen von „Die Fraktion“aus Moers sind deutschlandweit ein Novum: Die Mitglieder der Satirepartei „Die Partei“verharren nicht aus Überzeugung in der Opposition, sondern regieren stattdessen im Stadtrat mit.
MOERS Ihren ersten großen Auftritt hatte „Die Partei“beziehungsweise ihr Ableger aus dem Moerser Stadtrat, „Die Fraktion“, im Dezember 2020 im Ausschuss für Personal und Digitalisierung. Dort hatte die Alternative für Deutschland (AfD) eine Anfrage zu den Beschäftigtenzahlen der Stadtverwaltung gestellt. Die Zahl nicht-beamteter Mitarbeiter sei von 2012 bis 2021 von 515 auf 647 gestiegen, hieß es darin. Und: „Die Beschäftigtenzahlen sind seit 2016 um 31% (!!!) angestiegen.“Es war eine Behauptung mit drei Ausrufezeichen.
Was tat „Die Fraktion“daraufhin? Sie beantragte, die Anfrage der AfD wegen inhaltlicher Fehler zu verwerfen. Schließlich handle es sich nicht um einen Anstieg von 31, sondern lediglich von 26 Prozent, hieß es. Und weiter: Für Anfragen, in denen Prozentwerte größer als 30 Prozent vorkommen, solle für die Zukunft doch bitte die Benutzung von mindestens vier in Klammern gesetzten Ausrufezeichen verpflichtend gemacht werden. Bei solch skandalös großen Zahlen sei die Verwendung von drei Ausrufezeichen vollkommen unzulänglich. Ziel erreicht, AfD bloßgestellt.
„Die Fraktion“, die sich bei der Kommunalwahl im September vergangenen Jahres in Moers über die Stimmen für die Partei „Die Partei“gebildet hat, macht damit, was der Wähler von ihr erwartet: mit Satire und Witz der Kommunalpolitik den Spiegel vorhalten. In und für Moers will sie aber mehr: ernsthaft und verantwortlich mitgestalten. Und das ist neu.
Tatsächlich sind die Mitglieder der „Fraktion“deutschlandweit die Ersten aus der Satirepartei, die nicht aus Überzeugung in der Opposition verharren. In Moers regiert sie in einem Bündnis mit, das aus SPD, Grünen, der Wählergemeinschaft der Grafschafter und Linken besteht. Carsten Born war 2020 Spitzenkandidat, als „Die Partei“in der Grafenstadt aus dem Stand heraus 3,3 Prozent der Stimmen und zwei Plätze im Stadtrat holte. „Damit hatte niemand gerechnet, selbst wir nicht“, sagt der Online-Händler, der sich nach eigenen Angaben zu den Realos von „Die Partei“zählt.
Born, Jahrgang 1965, ist in Duisburg aufgewachsen und war dort einst in der Punk- und Antifa-Szene zu Hause. Später studierte er Volkswirtschaft und Politikwissenschaften und machte sich als Unternehmer selbstständig. Heute wohnt er in Moers-Utfort und vertreibt Aquaristik-Produkte. „Wir machen Politik mit satirischen Mitteln“, sagt er über seine politische Tätigkeit. Dabei gebe es innerhalb der Partei muntere Flügelkämpfe.
Neben den Realos gibt es die Traditionalisten. „Sie glaubten, , Die Partei` verrate sich selbst, wenn sie echte politische Lösungen anbiete“, erklärt Born. Zu groß erscheine vielen das Risiko, zwischen den Mühlsteinen der Macht zermahlen zu werden. Und nichts fürchteten einige mehr als die Vorstellung einer etablierten Partei.
Born und sein Stellvertreter Carsten Müller sehen das genauso. Sie ließen sich aber als Fraktion darauf ein, sagen sie. Um Strukturen in der Politik sichtbar zu machen und verändern zu können. Solange es möglich sei, Satire und Persiflage als Mittel einzusetzen, trage „Die Fraktion“Kompromisse im Moerser Mehrheitsbündnis deshalb mit, heißt es.
Bei der Europawahl 2019 bekam „Die Partei“in Moers bereits 2,2 Prozent der Stimmen. Ihr Kommunalwahlprogramm 2020 enthielt zehn Punkten, darunter Forderungen wie „Gleitzeit für Schüler“, „Sprengung aller Rheinbrücken zum Schutz von Armutsflüchtlingen aus dem Ruhrgebiet“oder auch „Bordelle verstaatlichen“.
Was sich daraus lesen lässt? „Die Fraktion“stehe für eine klare Kante gegen rechts, sagt Born. Für Schülerrechte, das bedingungslose Grundeinkommen, Tierschutz, die Freigabe von Cannabis – und für einen neuen Politikstil.