Jagdszenen in Kolumbien
Seit Tagen kommt es in der Millionenstadt Cali zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und Demonstranten. Grund ist die Steuerpolitik von Präsident Iván Duque.
Seit vergangener Woche sind Zehntausende Menschen in zahlreichen Städten Kolumbiens auf die Straßen gegangen, um gegen die Steuerreform von Präsident Iván Duque zu protestieren. Dabei kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Ein Schauplatz ist die Millionenmetropole Cali. Die Zahl der Todesopfer ist noch unklar.
Es sind emotionale Szenen: Mal sind es die wohlhabenden Bürger aus dem reichen Ortsteil Ciudad Jardin, die zur Selbsthilfe greifen, um sich gegen Straßenblockaden zu wehren, dann die wütenden Studenten, die sich nach dem Tod zahlreicher Kommilitonen die Trauer und die Wut aus der Seele schreien. Die Polizei verliert jedes Augenmaß und schlägt brutal und tödlich zu.
Die Proteste entzündeten sich an einer inzwischen zurückgenommenen Steuerreform des in die Kritik geratenen konservativen Präsidenten Iván Duque. Nach Meinung der Demonstranten hätte diese inmitten der schweren Wirtschaftskrise durch die Corona-Pandemie vor allem die mittleren und geringen Einkommen belastet. Doch nun geht es auch um Duque selbst, dem die jungen Kolumbianer vorwerfen, für die Gewalt gegen die Demonstranten verantwortlich zu sein. Duque spricht von „Vandalismus und urbanem Terrorismus“, den es zu bekämpfen gelte.
Unter die überwiegend friedlichen Demonstranten mischen sich auch vereinzelte linksradikale Gruppen, die die verhassten Sicherheitskräfte attackieren. So gerieten Polizeistationen in Brand, und es wurden einzelne Polizisten verprügelt. Umgekehrt gibt es wegen skandalöserVorgänge in Reihen der Sicherheitskräfte inzwischen ein großes Misstrauen in der Bevölkerung. Etwa Todesfälle wie den des jungen Künstlers Nicolás Guerrero. Dieser wurde bei einer Aktion der gefürchteten Anti-Aufruhr-Einheit Esmad getötet, die in den vergangenen Jahren immer wieder wegen Tötungen bei Demonstrationen in die Kritik geraten ist.
Inzwischen hat Duque, der 2018 im Alter von 41 Jahren ohne Regierungsvorerfahrung als Schützling des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe sein Amt antrat, seine jungen Anhänger verloren – ausgerechnet einer der jüngsten Regierungschefs der Geschichte des südamerikanischen Landes.
Wie es weitergeht, ist ungewiss: In Cali fordern die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten. Die Politik geht nun auf die Protestierenden zu, bietet ihnen einen Dialog und einen runden Tisch an. Doch den gab es bereits nach der ersten Protestwelle 2019, dann kam Corona, und es wurde kaum etwas umgesetzt. Dass Duque die Steuerreform zurückgezogen hat, wird als ein erster Erfolg des Volkes gewertet. Weitere Forderungen werden folgen.