Wer Straftaten verhindert, spart Geld
Dr. Simone Kämpfer, Partnerin der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Leiterin des Bereichs Wirtschaftsstrafrecht am Standort Deutschland, über das geplante Unternehmensstrafrecht und Fortschritte bei Diversity.
Was verändert das Verbandssanktionengesetz?
Wir werden erstmals in Deutschland ein Unternehmensstrafrecht haben. Unternehmen werden dann für Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter bestraft werden können. Dramatisch erhöht werden sollen die Sanktionen: Bis zu 10 Prozent des Konzernjahresumsatzes sollen Unternehmen künftig als Strafe zahlen müssen. Wenn ein Unternehmen einen Umsatz von 200 Milliarden Euro hat, wären Strafen bis zu 20 Milliarden Euro möglich. Das ist existenzbedrohend. Deshalb wird die Compliance einen noch größeren Stellenwert einnehmen als zuvor; wer Straftaten verhindert, spart Geld. Gleichzeitig wird die Strafverfolgungs- und Verteidigungspraxis einen Paradigmenwechsel erleben. Bislang konnten Staatsanwaltschaften nach Ermessen entscheiden, ob sie zusätzlich zu Mitarbeitern auch Unternehmen mit einer Geldbuße sanktionieren. Dieses sogenannte Opportunitätsprinzip soll abgeschafft werden – Staatsanwälte müssten bei Straftaten von Mitarbeitern immer auch gegen die Unternehmen ermitteln.
Reicht denn das Opportunitätsprinzip bei der Strafverfolgung nicht aus?
Das bislang geltende Opportunitätsprinzip führt zu einer teils sehr unterschiedlichen Handhabung durch die Staatsanwaltschaften. Einige leiten stets Verfahren gegen Unternehmen ein, andere gelegentlich und wiederum andere höchst selten. Aus meiner Sicht würde es genügen, das Opportunitätsprinzip zu schärfen und die Handhabung durch Verwaltungsvorgaben zu vereinheitlichen.
Eine andere Frage ist, ob die Einführung des Legalitätsprinzips überhaupt Abhilfe schaffen kann. Wenn der Engpass bei der Verfügbarkeit von Personal liegt, wird auch die Verpflichtung zur Aufnahme von Ermittlungen nichts verändern.
Gibt das Ganze den Compliance Management Systemen einen weiteren Schub?
Davon ist stark auszugehen. Neben dem Zweck des Systems, Straftaten zu verhindern, sind zwei weitere Gesichtspunkte entscheidend: Zum einen bekommt die Frage, inwieweit ein Unternehmen angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten getroffen hat, eine enorme Bedeutung. Ein gutes Compliance-System ist ein Gesichtspunkt, der sanktionsmildernd berücksichtigt werden muss, und kann sogar zu einer Einstellung des Verfahrens führen. Der Gesetzgeber setzt also enorme Anreize für Unternehmen, ihr Compliance Management System auf den neuesten Stand zu bringen.
Zum anderen wird das Gericht in Zukunft die Möglichkeit haben, das Unternehmen anzuweisen, bestimmte Compliance-Maßnahmen zu ergreifen und dies von einer sachkundigen Stelle überwachen zu lassen („Quasi-Monitor“). So etwas gibt es in den USA schon lange – VW und Bilfinger standen etwa schon unter einem Monitorship.
Ist das geplante Gesetz für kleine und mittelständische Unternehmen überhaupt praktikabel?
Im Mittelstand regt sich heftiger Widerstand gegen das Gesetz und das zurecht; dies betrifft die Compliance-Vorgaben und die hohen Strafen. Schließlich werden sich Unternehmen zukünftig sehr viel mehr Verfahren gegenübersehen – und dafür anwaltlichen Beistand benötigen. Vor allem aber kommt das Gesetz nicht allein; Whistleblower-Richtlinie, Lieferkettengesetz, stetige Novellierungen des Geldwäsche-Gesetzes – die Vorgaben werden immer komplexer. Es gibt die Sorge, dass die Geschäftsabläufe dadurch beeinträchtigt werden und für die Einhaltung aller Vorgaben erhebliche Ressourcen gebunden werden müssen.
Wichtig ist aber auch, dass es zwischen den verschiedenen Vorgaben Überschneidungen gibt: So ist etwa ein gut funktionierendes Hinweisgebersystem – wie es die Whistleblower-Richtlinie fordert – ein wichtiger Bestandteil eines effektiven Compliance Management Systems. Wer hier keinen ganzheitlichen Lösungsansatz wählt, riskiert zudem schnell, etwas zu übersehen.
Apropos Aufwand: Wenn die Strafverfolgungsbehörden in Zukunft selbst aktiv werden müssen – sind die personellen Kapazitäten dafür überhaupt vorhanden?
Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. Das Bundesjustizministerium scheint zu kalkulieren, dass jährlich Unternehmen zu etwa 15.000 Verbandssanktionen verurteilt werden. Die Zahl der eingeleiteten Verfahren, die ohne Verurteilung enden, dürfte noch um einiges höher liegen. Der Gesetzentwurf geht trotzdem davon aus, dass wegen der möglichen Synergieeffekte mit der Strafverfolgung von Individualpersonen kein zusätzlicher Aufwand entstehe; zudem seien auch die Einnahmen zu berücksichtigen, die durch die Sanktionen in die Staatskasse fließen.
Das ist leider zu kurz gedacht. Die Ermittlungen werden in Zukunft deutlich aufwändiger werden, weil eben nicht nur die Straftat, sondern auch die Zurechnung der Tat zu dem Unternehmen ermittelt werden muss.
Hinzu kommt, dass in den nächsten zehn Jahren rund 8000 Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen werden; in den neuen Bundesländern sind das bis zu 60 Prozent der derzeit Beschäftigten. Aus der Justiz und den Bundesländern hat es deshalb auch Kritik an dem Entwurf gegeben.
In der deutschen Wirtschaft wird viel über Diversity gesprochen – in der Umsetzung hapert es allerdings, wenn man allein auf den Frauenanteil bei den Dax-Konzernen schaut. Wo stehen wir nach Ihrer Meinung?
Wir sind auf einem guten Weg. Allerdings haben wir auch einiges aufzuholen, andere sind hier sehr viel weiter – etwa die skandinavischen Länder und die USA. Dass Frauen in Führungspositionen sind, ist dort selbstverständlich. Wir haben zum Beispiel große Mandanten in den USA, deren Führungsebene ausschließlich aus Frauen besteht; auch die Themen LGBTQ+ und ethnische Herkunft werden dort offener diskutiert und strategisch in Unternehmen angegangen.
Wo gibt es Fortschritte, wo Stillstand?
Ich bemerke bei uns in Deutschland, dass Frauen zunehmend in Führungspositionen kommen und zum Beispiel die Leitung der Rechtabteilung unserer Mandanten oder auch Vorstandsämter übernehmen. Die Herausforderung ist, dass sich die Frauen dann in den Führungspositionen mit ihrem Stil auch entfalten und weiterentwickeln können. Allgemein gilt es, auch die Prozesse kritisch zu hinterfragen: Sind sie so aufgesetzt, dass zum Beispiel Frauen die gleichen Chancen auf eine Beförderung wie Männer haben? Ist dies nicht der Fall und werden Anforderungen gestellt, die typischerweise Männer erfüllen, findet bereits eine Diskriminierung – bewusst oder unbewusst – statt.
Neben der formalen Gleichberechtigung geht es deshalb um eine emotionale, gelebte Gleichberechtigung. Hier haben wir als Gesellschaft Aufholbedarf.
Was müsste getan werden, um Diversity emotional und auch rechtlich besser durchzusetzen?
Das Umdenken muss vor allem im Kopf stattfinden. Die rechtlichen Hebel können die emotionale Selbstverständlichkeit von Gleichberechtigung allenfalls flankieren; es ist sehr bedauerlich, dass wir über rechtlich verbindliche Vorgaben sprechen müssen, weil wir uns gesellschaftlich mit dem Thema Diversität nach wie vor offenbar schwertun.
Wie handhaben Sie das in Ihrer Kanzlei?
Wir haben uns ein ambitioniertes Ziel gesetzt und wollen als Freshfields weltweit inklusiver und diverser werden. Das betrifft einerseits den Anteil an Frauen in Führungspositionen, andererseits auch die Themen LGBTQ+ sowie ethnische Herkunft.
Bis zum Jahr 2026 soll etwa der Frauenanteil in der Partnerschaft mindestens 40 Prozent betragen. Ein erster Erfolg ist, dass von den weltweit 22 Neupartnern in diesem Jahr elf Frauen sind. Und in unserem Strafrechtsund Investigation-Team werden wir im Juni am Standort Düsseldorf zum Beispiel vier Frauen und fünf Männer sein, also die 40 Prozent übertreffen. Entscheidend ist aber auch hier, dass Diversität gelebt wird und sich alle Menschen anerkannt und wertgeschätzt fühlen.
»Neben der formalen Gleichberechtigung geht es um eine emotionale, gelebte Gleichberechtigung – hier haben wir als Gesellschaft Aufholbedarf
Die Fragen stellte José Macias.