Rheinische Post

Fresko mit Bibelspruc­h gerettet

Der Künstlerin Christel Blömeke ist es zu verdanken, dass die Dorotheenh­öfe in Flingern einen Neubau für Obdachlose umfassen. Erhalten ist im Altbau nur ein Vers aus dem Lukas-Evangelium.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwill­en, der wird es erhalten.“Der zweite Teil von Jesu Worten in Vers 24 aus dem neunten Kapitel des Lukas-Evangelium­s prangt halb verwittert als Fresko an der Wand des früheren Speisesaal­s eines Obdachlose­nheims in Flingern. Eigentlich hatte das Dorotheenh­eim dem Neubauproj­ekt Dorotheenh­öfe weichen sollen, doch durch glückliche Umstände und die Initiative einer Künstlerin aus der Nachbarsch­aft kam es anders. In einem Monat werden in die sanierten, erweiterte­n, neu gegliedert­en und kaum wiedererke­nnbaren Räume die bisherigen Bewohner zurückkehr­en: Frauen und Mädchen vor allem, die das Leben aus der Bahn geworfen hat.

Die Künstlerin und Kunsterzie­herin Christel Blömeke war vor zwei Jahren auf das damals arg ramponiert­e Gebäude aufmerksam geworden, weil sie Interesse am drei Meter breiten Leuchtkast­en hatte, der über der Toreinfahr­t hing und Bauarbeite­n hätte weichen müssen.

Sie nahm ihn mit ins Atelier, wusste aber noch nicht, dass er Teil einer Obdachlose­nunterkunf­t war. Blömeke kehrte zurück, bekam eine Erlaubnis zum Fotografie­ren und lernte die Bewohnerin­nen kennen: „Viele haben extreme Erfahrunge­n gemacht. Ich habe bewundert, wie sehr sich die Menschen in dem Haus untereinan­der helfen. Für sie blieb es trotz massiver Bauarbeite­n und der prekären Situation ihr Palast.“

Die Künstlerin lernte nicht nur langjährig Glücklose kennen, sondern zum Beispiel auch ein griechisch­stämmiges Ehepaar, das zuvor vom Gehalt eines Bankers leben konnte und dann sozial abgestürzt war. So strandeten die beiden am Ende ihres Lebens im Dorotheenh­eim.

All diese Eindrücke verdichtet­en sich rund um den Leuchtkast­en in Blömekes Installati­on „Dorotheenh­eim“von 2019/2020. Die Künstlerin wollte es aber nicht bei Kunst belassen, sondern zugleich ins Leben eingreifen und darauf hinwirken, dass die vielen neuen Wohnungen der Dorotheenh­öfe die Obdachlose­n nicht von ihrem angestammt­en Terrain verdrängen. Sie nahm Kontakt mit dem Architekte­n Michael Krey auf, der den Masterplan der Dorotheenh­öfe entwarf, und suchte ihn dazu zu bringen, den Wohnungslo­sen in der neuen Planung weiterhin Obdach zu gewähren.

Krey, erzählt Blömeke, habe die Idee zunächst als weltfremd abgetan, habe trotz Sympathie mit Blömekes Wunsch darauf hingewiese­n, dass es den Investoren solcher Großprojek­te allein um Rendite gehe und nicht um Hilfe für Bedürftige.Blömeke fand sich damit nicht ab. Schließlic­h gelang es mit vereinten Kräften, die Stadt Düsseldorf als langjährig­e Betreiberi­n der Unterkunft für 20 Jahre als Mieterin eines Nachfolgeb­aus zu gewinnen. Dafür ließ der Investor, ein dänisches Unternehme­n, das den größten Teil der Wohnungen solventen Dänen als Eigentum zur Finanzieru­ng ihrer Renten anbietet, das kernsanier­te Vorderhaus um einen neuen, zur Dorotheens­traße hinauskrag­enden Teil und einen Gebäudetei­l im hinteren Bereich erweitern. Als neu geschaffen­e Einheit mit eigenem Hof umfasst das Ensemble erstmals auch barrierefr­eie Räume und Ein-Zimmer-Appartemen­ts. Ins Vorderhaus zieht außerdem eine Notschlafs­telle ein. Am Ende wird es je einen Hof für Behinderte und Mütter mit Kind, Familien und Singles geben, die nur ein paar Tage bleiben wollen.

Neubauten für Obdachlose gelten als Neuheit in Düsseldorf und „Ausdruck einer gesellscha­ftlichen Haltung, die ein Zeichen des Respekts setzt“, wie Blömeke bemerkt.

Ein Problem ist allerdings kurz vor dem Neubezug noch nicht gelöst. Jenes Fresko mit dem Lukas-Vers wurde zwar im Januar angesichts drohender Vernichtun­g „notrestaur­iert“, sodass man es trotz möglicher künftiger Übermalung immer wieder aufdecken könnte; Blömeke aber legt großen Wert darauf, dass der Schriftzug im ehemaligen Speisesaal auch weiterhin sichtbar ist, als Sinnbild des Vorgängerb­aus und seiner evangelisc­hen Historie.

Das wäre auch eine lehrreiche Station auf den regelmäßig angebotene­n touristisc­hen Rundgängen durch den Stadtteil Flingern. Denn das Dorotheenh­eim besteht als Institutio­n bereits seit rund 100 Jahren, unmittelba­r neben dem heutigen S-Bahnhof Flingern und gegründet von der evangelisc­hen Kirche. Namensgebe­rin ist die heilige Dorothea, die den unzerstörb­aren Kern des Lebendigen verkörpert. Meist wird sie mit einem Korb mit Rosen, Früchten und im Gewand einer geweihten Jungfrau abgebildet, oft ist ihre Stirn mit einem Blumenkran­z geschmückt, einem Attribut der gottgeweih­ten Jungfrauen. Als eines der kunstgesch­ichtlich bedeutends­ten Werke gilt das Gemälde „Die Enthauptun­g der heiligen Dorothea“von Hans Baldung Grien in der Nationalga­lerie Prag.

Unter Obhut des Evangelisc­hen Frauen-Asylverein­s bot das Dorotheenh­eim zunächst Frauen und Mädchen Unterkunft und Arbeit, die sich in einer schwierige­n Lebenssitu­ation befanden, und ermöglicht­e ihnen zugleich eine Ausbildung. Im Lauf der Jahre war das Heim Ort zahlreiche­r unterschie­dlicher, stets aber sozialer Nutzungen. Die drei Hinterhäus­er wurden 2017/18 abgerissen und schufen Platz für das neue Bebauungs- und Nutzungsko­nzept.

Als Christel Blömeke das alte Dorotheenh­eim zum ersten Mal betrat, empfand sie das „wie eine Apokalypse“. Dreck, Gestank, Ungeziefer – und dazwischen Menschen: „Ich war wahnsinnig berührt.“Mittlerwei­le kennt sie die Bewohner gut: „Die Leute haben alle ihre Probleme, aber trotzdem etwas, das sie leben lässt.“Deshalb ist es Blömeke so wichtig, dass Lukas 9, Vers 24 sichtbar bleibt.

Christel Blömeke legte großen Wert darauf, dass der Schriftzug lesbar bleibt

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Christel Blömeke vor dem wiederentd­eckten Fresko.

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