„Wer Ruhe sucht, der ist hier falsch!“
Die einen wollen feiern, die anderen wollen schlafen – und in der Mitte steht die Polizei. Rundgang mit dem Polizeipräsidenten.
Die einen wollen feiern, die anderen wollen schlafen – und in der Mitte steht die Polizei. Ein Rundgang mit dem Polizeipräsidenten.
ALTSTADT Vor der Altstadtwache, Heinrich-Heine-Allee 1, rutscht eine Bierflasche aus der Hand eines jungen Mannes und zerschellt auf dem Bürgersteig. Der Mann ist schon weg, als ein Polizist die grünen Scherben knirschend vom Pflaster kehrt. Aus der Wache schreitet Thorsten Fleiß, die Hände ruhen in seiner Schutzweste. „Dann wollen wir mal. Über die Ratinger zum Bolker Stern?“, fragt der Leiter der Polizeiinspektion Mitte fröhlich, als könnte er sich nichts Schöneres vorstellen als einen Altstadtspaziergang in einer Freitagnacht. Und er marschiert los.
Aus der abgesperrten Ratinger Straße, die ins Herz der Altstadt führt, fahren laut dröhnende und vollbesetzte Autos – die einen thronen im teuren Sportwagen, die anderen quetschen sich in den Zweitürer. Hauptsache hier, Hauptsache feiern. Die Clubs haben noch geschlossen, sie öffnen erst dann wieder ihre Pforten, wenn die Inzidenz sinken sollte. Ein Hindernis zur Party ist das nicht. Hohe Absätze stöckeln übers Kopfsteinpflaster, das Bier vom Büdchen ist sogar günstiger als in der Disco. Was drinnen war, ist nun draußen.
Thorsten Fleiß mag die Altstadt, noch immer. Auch wenn hier beinahe jedes Wochenende das Geschrei groß ist, nachts auf den Straßen, tagsüber von den Anwohnern, die sich über die Nacht beschweren – über Lärm bis in die frühen Morgenstunden, vollgepinkelte Hauseingänge, Rennen mit E-Scootern vor ihrer Tür. Zuvor war der Polizist privat hier, jetzt geschäftlich. „Entweder man mag es, sich durch diese Menge zu drängen oder eben nicht“, sagt er pragmatisch.
Seit wann es problematisch ist in der Altstadt, kann er ziemlich genau sagen. 2008 hat sich eingebrannt bei den Polizisten als das Jahr, in dem ein Dienstgruppenleiter der Altstadtwache einen achtseitigen Brandbrief schrieb und eine öffentliche Debatte um die Sicherheit in der Altstadt auslöste. Auch 2020 hat sich eingebrannt als das Jahr, in dem Corona jedes Wochenende tausende Menschen in die Gassen spülte, mit Musikboxen, Flaschen voller Alkohol und Energie, die sonst nirgendwo raus kann. Neu ist das aber nicht, sagt Fleiß. „Die Szene am Rheinufer hat sich über lange Zeit entwickelt.“
Junggesellenabschiede, Fußballfans, Sauftouristen, Gruppen junger Menschen, die nicht wissen, wohin sonst. Corona hat daran eigentlich nichts geändert, nur potenziert, sagt Fleiß. Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) hatte, noch als die Entscheidung des Landes in der Luft hing, gefordert, die Clubs zu öffnen in der Annahme, dass sich die Situation dann entspannt. Als sei das gering geschätzte Nachtleben ein tragender Stein in dem wackeligen Altstadt-Gebilde, das ohne ihn einfach zusammenfällt. „Schwer zu sagen, ob sich dadurch was ändert“, sagt Thorsten Fleiß nach einem tiefen Seufzer. Die Gruppen, die Probleme machen, sagt er, viele junge Männer auf einem Haufen, meist mit Migrationshintergrund, kommen sowieso in keinen Club. „Wir werden sehen.“
An jeder Ecke steht an diesem Abend ein Polizeiwagen. Am Grabbeplatz diskutiert ein junger Mann lautstark mit einem Polizisten. „Dafür soll ich jetzt zahlen?“, schreit er und nimmt immer wieder hastige Schlucke aus seiner Dose. Auf der Treppe nebenan küsst sich leidenschaftlich ein Paar. Viel Geduld brauchen die Einsatzkräfte für solche Momente, das Gespräch wird noch etwas dauern.
Auch Polizeipräsident Norbert Wesseler ist an diesem Abend in die Altstadt gekommen, um mit den Einsatzkräften vor Ort zu sprechen, aber auch, um sich „durch eigene Beobachtungen einen Eindruck von der Situation in der Altstadt zu verschaffen“, wie er sagt. Anwohner und Politiker hatten in den vergangenen Wochen seine Präsenz gefordert, nun ist er da, zum ersten Mal seit Corona, sagt Wesseler, als wäre das eine neue Zeitrechnung. Mindestens eine Hundertschaft fordert die Düsseldorfer Polizei jedes Wochenende an, diesmal kommen die Einsatzkräfte aus Bochum, Recklinghausen und Wuppertal. „Wir wollen präsent sein, aber nicht abschrecken“, sagt der Polizeipräsident.
Wegen einiger weniger, die Krawall machen, dürfe die Altstadt nicht unattraktiv werden. Die Beschwerden von Anwohnern könne er trotzdem nur bedingt verstehen. Wer Ruhe wolle, sei hier falsch, sagt Wesseler. „Das war schon immer so. Altstadt ist eben Altstadt.“
Das Flutlicht am Burgplatz ist eingeschaltet, 14 Kameras überwachen problematische Ecken. Schon am Nachmittag geht es los, dann sind die ersten Streifen unterwegs. Auf der Rheinwiese in Oberkassel hatte sich an diesem Tag bereits eine Gruppe von 150 Leuten versammelt, alkoholisiert und aggressiv, sagt Thorsten Fleiß. Die Polizei hat dort die ersten Platzverweise für die Altstadt verteilt. Das Credo: Gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.
„Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir frühzeitig und konsequent gegen gewaltbereite Randalierer vorgehen“, sagt der Polizeipräsident. Wer schon betrunken aus der U-Bahn in die Altstadt gespült wird, den haben die Polizistinnen und Polizisten auf dem Schirm. Thorsten Fleiß nickt zu einer Gruppe junger Männer, die an der Mauer am Rheinufer lehnen. Es riecht nach Hochprozentigem und Energydrinks. Sie gelten als mögliche Gefährder, die Polizei will sie schon früh am Abend ansprechen, bevor es eigentlich losgeht. Wer sich nicht benimmt, bekommt einen Platzverweis oder landet im schlimmsten Fall in der Gewahrsamszelle.
An den Kasematten schließt schon die Außengastronomie, auf der Promenade geht die Party erst richtig los. Am Kristallisationspunkt des nächtlichen Geschehens, der Freitreppe, ist es noch friedlich. Mehrfach mussten die Stufen im vergangenen Jahr geräumt werden, zu viele Menschen hatten sich hier getroffen – die allermeisten kommen nicht aus Düsseldorf. „Es ist ein ewiges Dilemma“, sagt Thorsten Fleiß. Wer eine lebendige Stadt mit Besuchern will, kann keine komplette Ruhe verlangen. „Wir könnten das zwar durchsetzen, die Frage ist aber, ob wir das als Gesellschaft wollen.“Absperren und den Zugang kontrollieren, fordern einige, die Altstadt ist kein Phantasialand, sagt Fleiß.
Es bleibt lange ruhig in dieser Nacht. Erst ab halb 3 häufen sich die Einsätze, Streitigkeiten, Körperverletzungen. Um sechs Uhr fangen noch einmal frische Polizeikräfte an – für die ganz Hartnäckigen. Bis sich irgendwann Altstadtbesucher und Kirchgänger in den Gassen treffen.