Ruf nach Impfpflicht für Lehrkräfte
Der Mediziner Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat sieht eine hohe Verantwortung des Personals an Schulen und Kitas. Lehrer und Eltern in NRW lehnen einen Zwang ab. Eine Impfquote für Lehrkräfte kann das Land nicht nennen.
DÜSSELDORF Lockerungen als Anreiz, unkomplizierte Terminvergabe und kreative Aktionen: Bund und Länder bemühen sich, die Impfquote in Deutschland voranzubringen. Wolfram Henn, Mitglied des Deutschen Ethikrates, hat sich nun dafür ausgesprochen, bestimmte Berufsgruppen noch stärker einzubinden. „Wir brauchen eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen“, sagte der Mediziner unserer Redaktion. Lehrkräfte und Kita-Erzieherinnen sollten so vor allem Kinder unter zwölf Jahren schützen, die keine Impfung bekommen können. „Wer sich aus freier Berufswahl in eine Gruppe vulnerabler Personen hineinbegibt, trägt eben besondere berufsbezogene Verantwortung“, unterstrich Henn, der Professor für Humangenetik an der Universität des Saarlandes ist.
Er fügte hinzu, zwar hätten Kinder selbst nur ein geringes Risiko, schwer an Covid zu erkranken: „Man muss aber weiter damit rechnen, dass sie das Virus in ihre Familien tragen und Menschen aus Risikogruppen infizieren.“Es gebe beispielsweise nicht wenige Krebspatienten in Familien, die aufgrund akuter Therapien noch gar nicht hätten geimpft werden können. Diese Gruppe gelte es jetzt durch eine Impfpflicht bestimmter Berufsgruppen zu schützen. Eine allgemeine Impfpflicht lehnt Ethikratsmitglied Henn aber ebenso ab wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Das bestätigt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage: „Hauptanreiz für eine Impfung sollte für alle sein, sich und andere zu schützen.“Weitere Anreize ergäben sich durch Regelungen bei Reisen, Veranstaltungen, beim Kino- oder Restaurantbesuch. „Materielle Anreizsysteme zu schaffen, wird vom Bundesgesundheitsministerium dagegen nicht erwogen“, hieß es.
Auch in Nordrhein-Westfalen will man weiter lediglich auf Werbe- und Aufklärungsmaßnahmen setzen: „Wir halten eine Impfpflicht für den falschen Weg“, sagte ein Sprecher
des Landesministeriums für Arbeit und Gesundheit. Es bleibe eine individuelle Entscheidung, sich impfen zu lassen. Vor-Ort-Angebote ohne Termin sollen allerdings verstärkt werden.
Wie hoch die Impfquote bei den gut 170.000 Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen ist, kann das Land indes nicht sagen – die Daten dazu seien nicht erhoben worden. Ein Angebot sei allerdings allen gemacht worden, heißt es aus dem Ministerium. Andreas Bartsch vom Lehrerverband NRW schätzt, dass 70 Prozent aller Lehrkräfte eine Erstimpfung und 40 Prozent beide Impfungen erhalten haben. Gezielte Angebote für die Berufsgruppe hält er für sinnvoll. Eine Impfpflicht sieht Bartsch allerdings kritisch, zumindest zum aktuellen Zeitpunkt: „Wenn das Coronavirus dauerhaft bleibt wie ein Grippevirus, kann man darüber nachdenken.“
Eine andere Pflichtimpfung für diese Berufsgruppe gibt es bereits: Seit im März 2020 das Masernschutzgesetz in Kraft getreten ist, müssen nicht nur Kinder, sondern alle Personen, die in Gemeinschaftsoder medizinischen Einrichtungen tätig sind, eine Masernimpfung (oder eine durchgemachte Erkrankung) nachweisen. Das gilt im Schulbetrieb für Lehrkräfte, Referendare, Praktikanten, Sekretärinnen, Hausmeister und
Sozialarbeiter. Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes hatte der Bund entschieden – das gleiche gälte für eine Corona-Impfpflicht.
In der Pflege war die Idee verworfen worden – anders als in Frankreich, wo Pflegekräfte jetzt zu einer Impfung verpflichtet werden sollen. Henn hält das für richtig: „Die Nutzen-Schaden-Abwägung bei der Covid-Impfung ist derart klar, dass ein Verstecken einzelner hinter möglichen Langzeitschäden nicht mehr tragfähig ist“, sagte er – gerade weil es inzwischen Wahlfreiheit bei den Impfstoffen gebe.
Der Elternverein Nordrhein-Westfalen hielte es für „völlig überzogen“, Lehrkräfte grundsätzlich zu verpflichten. „Die Impfung bietet einen gewissen Schutz für die Geimpften, aber sich darauf völlig zu verlassen, wäre falsch“, sagte Andrea Heck, Sprecherin des Elternvereins. Weil nicht auszuschließen sei, dass auch Geimpfte das Virus übertragen, sei der Vergleich mit der Masernimpfung nicht angebracht.