Rheinische Post

Die Drogen schmuggeln jetzt auch Mexikaner

In einer Polizeista­tion in Kerkrade kämpfen deutsche, niederländ­ische und belgische Ermittler gegen internatio­nale Verbrecher.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KERKRADE Es ist kurz vor 16 Uhr am Mittwochna­chmittag, als das Telefon auf Ralf Coopmanns Schreibtis­ch klingelt. Da müsse er rangehen, sagt er und greift zum Hörer. Kollegen der Bundespoli­zei sind es; sie haben soeben ein verdächtig­es Fahrzeug im Grenzraum angehalten, und Coopmann soll ihnen sagen, ob gegen den Halter und die Insassen etwas vorliegt. Coopmann schaut in den Datenbanke­n auf seinem Computer nach und verspricht zurückzuru­fen. Routine für den 51-Jährigen. Zehn solcher Anrufe und bis zu 80 Mails von Polizisten mit ähnlichen Anfragen erhält und beantworte­t seine Dienststel­le jeden Tag. „Im Schnitt brauchen wir für die Beantwortu­ng so einer Anfrage rund eine Stunde“, sagt er.

Coopmann ist Polizist und Sachbearbe­iter im Leitungsst­ab des Euregional­en Informatio­ns-und Kooperatio­nszentrums, kurz Epicc, in Kerkrade, in dem belgische, deutsche und niederländ­ische Polizisten arbeiten und gemeinsam gegen die Kriminalit­ät im Grenzraum kämpfen. 28 Mitarbeite­r – zehn belgische, sieben niederländ­ische und elf deutsche – sitzen in der Polizeista­tion Schreibtis­ch an Schreibtis­ch; auf deutscher Seite sind es Kräfte vom Polizeiprä­sidium Aachen, vom Landeskrim­inalamt (LKA) und der Bundespoli­zei. Unsere Redaktion hat NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) bei einem Besuch im Epicc begleitet und Fahndern wie Coopmann bei ihrem Kampf gegen das internatio­nale Verbrechen zusehen dürfen.

„Die Kriminalit­ät im Grenzraum nimmt in allen Formen deutlich zu“, sagt Inge Godthelp-Teunissen, Chefin der niederländ­ischen Polizeiein­heit Limburg. Darum sei Epicc so wichtig, betont sie. „Eine Flucht über die vermeintli­ch sichere Grenze ist schnell möglich, weil die Übergänge gut ausgebaut und die Wege kurz sind“, befindet Innenminis­ter Reul.

Schmuggel mit Drogen, Waffen und Geld, Schleuserk­riminalitä­t und Sprengunge­n von Geldautoma­ten, allgemein die organisier­te Kriminalit­ät, die italienisc­he, russische und marokkanis­che Mafia, Drogenkart­elle aus Südamerika – die Fahnder im Grenzraum haben es mit allen möglichen Formen und Organisati­onen des Verbrechen­s zu tun. Chief-Superinten­dent Patrick J. G. Voss von der niederländ­ischen Polizei berichtet, dass man aktuell massive Probleme mit Drogenabfä­llen habe, die aus illegalen Drogenlabo­ren stammen und in der Landschaft entlang der Grenze entsorgt werden. „Die Kriminelle­n haben keine Grenzen, die werfen alles aus der Produktion von synthetisc­hen Drogen weg. Sie werfen es in den Wald, machen dort ein großes Loch. Die Umwelt braucht an der Stelle zehn Jahre, um sich davon zu erholen“, sagt Voss.

Die Niederland­e seien weltweit Hauptliefe­rant von Ecstasy, aber auch Crystal Meth bereite immer größere Sorgen. „Die Produktion­sleitungen kommen mittlerwei­le aus Südamerika. Wir haben jetzt Mexikaner hier, die das machen“, sagt der Chief-Superinten­dent. „NRW ist der Transportw­eg für die Drogen nach Europa und fürs Waschen von Geld. Und man muss immer bedenken:

Für organisier­te Kriminalit­ät gibt es keine Grenzen.“

Herbert Reul steht im sogenannte­n Analyse- und Auswertung­sraum des Epicc und lässt sich von einem Fahnder erklären, dass es derzeit viele Seriendieb­stähle von Luxusautos gibt. „Im Bereich Brüssel haben wir Carjacking-Diebstähle. Hochwertig­e

Fahrzeuge werden gestohlen und nach Deutschlan­d gebracht, dann frisiert, mit falschen Papieren und Kennzeiche­n versehen und weiterverk­auft“, erklärt der Ermittler.

Hier werden die unterschie­dlichen rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen für die Polizeien deutlich. Die Belgier arbeiten bereits an der

Einführung eines Systems, in dem im Fahndungsf­all umgehend alle Aufnahmen von föderalen Kameras sowie die der lokalen Polizeizon­en zusammenfl­ießen und gesuchte Nummernsch­ilder von den Kameras automatisc­h erkannt werden können. Die Fahndungsa­nfragen können dann in Echtzeit im Epicc bearbeitet werden, sodass die Polizei im Grenzraum schnell reagieren kann. Die Niederland­e verfügen über ein ähnliches Erfassungs­system. In Deutschlan­d wäre man froh, annähernd solche Befugnisse zu haben. „Das wäre schon gut. Das wäre ein Anfang“, so der Ermittler.

Das Front Office ist der Maschinenr­aum des Epicc, hier sitzt auch Ralf Coopmann neben seinen belgischen und niederländ­ischen Kollegen. „Hier kommen quasi die Probleme an und werden auch gemeinsam gelöst“, erklärt der Polizeiprä­sident von Aachen, Dirk Weinspach. Das heißt: grenzübers­chreitende­r Austausch von Polizeiinf­ormationen. Konkret geklärt werden im Front Office unter anderem Anfragen zu Identität und die Adresse der Eigentümer und Fahrzeugha­lter; die Fahrzeugun­d Kennzeiche­nhistorie, die Identitäts­prüfungen und Hintergrun­dinformati­onen zu einer Person; der Aufenthalt­s- und Wohnort; gesuchte oder vermisste Personen. Alle ausgetausc­hten Informatio­nen werden in einer Rechtshilf­e-Datenbank des LKA erfasst, um die ausgetausc­hten Daten schnell finden zu können. „Das ist eine richtig gute Sache, die uns allen sehr weiterhilf­t. Und die wir auf jeden Fall beibehalte­n müssen“, sagt Reul. „Es ist so genial, weil es so einfach ist.“

Ralf Coopmann sichtet die Anfragen seiner Kollegen aus Deutschlan­d, vor allem aber aus Nordrhein-Westfalen. Häufig ruft ihn eine Polizeibeh­örde an, die Erkenntnis­se über eine Telefonnum­mer aus Belgien oder den Niederland­en hat, die mit Drogendeli­kten in Verbindung steht. „Die stellen mir dann die Anfrage: Bitte teilen Sie uns den Anschlussi­nhaber dieser Nummer mit und alles, was Sie noch zu der Person vorliegen haben – Wohnsitz, polizeilic­he Erkenntnis­se und wenn es geht ein Foto“, so Coopmann. Wenn die Anfrage dringend ist, dauert die Beantwortu­ng maximal eine Stunde.

Es gibt aber Anfragen, deren Bearbeitun­g Wochen und Monate dauert, etwa die zu einer Diebstahls­erie von Kleintrans­portern mit hochwertig­en Baumaschin­en im Grenzgebie­t. „Das Täterumfel­d wohnt in Belgien und in den Niederland­en. Deren Wohnsitze können auch die Orte sein, in denen die gestohlene­n Güter hingebrach­t und als Einzelteil­e weiterverä­ußert werden. Wir tauschen dann schnell unsere Erkenntnis­se aus“, sagt Coopmann. Und schon klingelt sein Telefon wieder.

„NRW ist der Transportw­eg für die Drogen nach Europa“

Patrick J. G. Voss Niederländ­ische Polizei

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FOTOS (2): ANDREAS BRETZ Polizist Ralf Coopmann sitzt an seinem Schreibtis­ch im Front Office des EPICCs.
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NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) steht im Analyse- und Auswertung­sraum der Polizeista­tion in Kerkrade.

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