Die Drogen schmuggeln jetzt auch Mexikaner
In einer Polizeistation in Kerkrade kämpfen deutsche, niederländische und belgische Ermittler gegen internationale Verbrecher.
KERKRADE Es ist kurz vor 16 Uhr am Mittwochnachmittag, als das Telefon auf Ralf Coopmanns Schreibtisch klingelt. Da müsse er rangehen, sagt er und greift zum Hörer. Kollegen der Bundespolizei sind es; sie haben soeben ein verdächtiges Fahrzeug im Grenzraum angehalten, und Coopmann soll ihnen sagen, ob gegen den Halter und die Insassen etwas vorliegt. Coopmann schaut in den Datenbanken auf seinem Computer nach und verspricht zurückzurufen. Routine für den 51-Jährigen. Zehn solcher Anrufe und bis zu 80 Mails von Polizisten mit ähnlichen Anfragen erhält und beantwortet seine Dienststelle jeden Tag. „Im Schnitt brauchen wir für die Beantwortung so einer Anfrage rund eine Stunde“, sagt er.
Coopmann ist Polizist und Sachbearbeiter im Leitungsstab des Euregionalen Informations-und Kooperationszentrums, kurz Epicc, in Kerkrade, in dem belgische, deutsche und niederländische Polizisten arbeiten und gemeinsam gegen die Kriminalität im Grenzraum kämpfen. 28 Mitarbeiter – zehn belgische, sieben niederländische und elf deutsche – sitzen in der Polizeistation Schreibtisch an Schreibtisch; auf deutscher Seite sind es Kräfte vom Polizeipräsidium Aachen, vom Landeskriminalamt (LKA) und der Bundespolizei. Unsere Redaktion hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei einem Besuch im Epicc begleitet und Fahndern wie Coopmann bei ihrem Kampf gegen das internationale Verbrechen zusehen dürfen.
„Die Kriminalität im Grenzraum nimmt in allen Formen deutlich zu“, sagt Inge Godthelp-Teunissen, Chefin der niederländischen Polizeieinheit Limburg. Darum sei Epicc so wichtig, betont sie. „Eine Flucht über die vermeintlich sichere Grenze ist schnell möglich, weil die Übergänge gut ausgebaut und die Wege kurz sind“, befindet Innenminister Reul.
Schmuggel mit Drogen, Waffen und Geld, Schleuserkriminalität und Sprengungen von Geldautomaten, allgemein die organisierte Kriminalität, die italienische, russische und marokkanische Mafia, Drogenkartelle aus Südamerika – die Fahnder im Grenzraum haben es mit allen möglichen Formen und Organisationen des Verbrechens zu tun. Chief-Superintendent Patrick J. G. Voss von der niederländischen Polizei berichtet, dass man aktuell massive Probleme mit Drogenabfällen habe, die aus illegalen Drogenlaboren stammen und in der Landschaft entlang der Grenze entsorgt werden. „Die Kriminellen haben keine Grenzen, die werfen alles aus der Produktion von synthetischen Drogen weg. Sie werfen es in den Wald, machen dort ein großes Loch. Die Umwelt braucht an der Stelle zehn Jahre, um sich davon zu erholen“, sagt Voss.
Die Niederlande seien weltweit Hauptlieferant von Ecstasy, aber auch Crystal Meth bereite immer größere Sorgen. „Die Produktionsleitungen kommen mittlerweile aus Südamerika. Wir haben jetzt Mexikaner hier, die das machen“, sagt der Chief-Superintendent. „NRW ist der Transportweg für die Drogen nach Europa und fürs Waschen von Geld. Und man muss immer bedenken:
Für organisierte Kriminalität gibt es keine Grenzen.“
Herbert Reul steht im sogenannten Analyse- und Auswertungsraum des Epicc und lässt sich von einem Fahnder erklären, dass es derzeit viele Seriendiebstähle von Luxusautos gibt. „Im Bereich Brüssel haben wir Carjacking-Diebstähle. Hochwertige
Fahrzeuge werden gestohlen und nach Deutschland gebracht, dann frisiert, mit falschen Papieren und Kennzeichen versehen und weiterverkauft“, erklärt der Ermittler.
Hier werden die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Polizeien deutlich. Die Belgier arbeiten bereits an der
Einführung eines Systems, in dem im Fahndungsfall umgehend alle Aufnahmen von föderalen Kameras sowie die der lokalen Polizeizonen zusammenfließen und gesuchte Nummernschilder von den Kameras automatisch erkannt werden können. Die Fahndungsanfragen können dann in Echtzeit im Epicc bearbeitet werden, sodass die Polizei im Grenzraum schnell reagieren kann. Die Niederlande verfügen über ein ähnliches Erfassungssystem. In Deutschland wäre man froh, annähernd solche Befugnisse zu haben. „Das wäre schon gut. Das wäre ein Anfang“, so der Ermittler.
Das Front Office ist der Maschinenraum des Epicc, hier sitzt auch Ralf Coopmann neben seinen belgischen und niederländischen Kollegen. „Hier kommen quasi die Probleme an und werden auch gemeinsam gelöst“, erklärt der Polizeipräsident von Aachen, Dirk Weinspach. Das heißt: grenzüberschreitender Austausch von Polizeiinformationen. Konkret geklärt werden im Front Office unter anderem Anfragen zu Identität und die Adresse der Eigentümer und Fahrzeughalter; die Fahrzeugund Kennzeichenhistorie, die Identitätsprüfungen und Hintergrundinformationen zu einer Person; der Aufenthalts- und Wohnort; gesuchte oder vermisste Personen. Alle ausgetauschten Informationen werden in einer Rechtshilfe-Datenbank des LKA erfasst, um die ausgetauschten Daten schnell finden zu können. „Das ist eine richtig gute Sache, die uns allen sehr weiterhilft. Und die wir auf jeden Fall beibehalten müssen“, sagt Reul. „Es ist so genial, weil es so einfach ist.“
Ralf Coopmann sichtet die Anfragen seiner Kollegen aus Deutschland, vor allem aber aus Nordrhein-Westfalen. Häufig ruft ihn eine Polizeibehörde an, die Erkenntnisse über eine Telefonnummer aus Belgien oder den Niederlanden hat, die mit Drogendelikten in Verbindung steht. „Die stellen mir dann die Anfrage: Bitte teilen Sie uns den Anschlussinhaber dieser Nummer mit und alles, was Sie noch zu der Person vorliegen haben – Wohnsitz, polizeiliche Erkenntnisse und wenn es geht ein Foto“, so Coopmann. Wenn die Anfrage dringend ist, dauert die Beantwortung maximal eine Stunde.
Es gibt aber Anfragen, deren Bearbeitung Wochen und Monate dauert, etwa die zu einer Diebstahlserie von Kleintransportern mit hochwertigen Baumaschinen im Grenzgebiet. „Das Täterumfeld wohnt in Belgien und in den Niederlanden. Deren Wohnsitze können auch die Orte sein, in denen die gestohlenen Güter hingebracht und als Einzelteile weiterveräußert werden. Wir tauschen dann schnell unsere Erkenntnisse aus“, sagt Coopmann. Und schon klingelt sein Telefon wieder.
„NRW ist der Transportweg für die Drogen nach Europa“
Patrick J. G. Voss Niederländische Polizei