„Klimapolitik kann sozial gerecht sein“
Der Chef des Potsdam-Instituts über steigende CO2-Preise und darüber, ob der Kampf gegen die Erderwärmung noch zu gewinnen ist.
Herr Edenhofer, sprechen Sie eigentlich von einer Klimakrise oder Klimakatastrophe?
EDENHOFER Ich spreche von einer Klimakrise. Die Katastrophe ist noch abwendbar.
Extreme Hitze in Amerika oder Lappland klingt nach katastrophalen Zuständen. Was sind die Gründe?
EDENHOFER Wir erleben gerade einen Teil des unvermeidbaren Klimawandels. Wir haben schon so viel Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen in der Atmosphäre abgelagert, dass wir den Klimawandel nicht mehr vollständig vermeiden können. Wir können aber einen gefährlichen Klimawandel vermeiden. Die aktuell mancherorts extremen Temperaturen liegen mehr oder weniger im Rahmen dessen, was die Klimawissenschaften seit geraumer Zeit prognostizieren, was aber viele nicht so ernst genommen haben. Jetzt wird es ernst.
Was meinen Sie damit?
EDENHOFER Für die betroffenen Menschen sind solche Einzelereignisse schon heute dramatisch, bei erst etwas mehr als einem Grad globaler Erwärmung. Wir bewegen uns jedoch derzeit auf eine Welt zu, deren globale Mitteltemperatur eher um vier Grad steigt, wenn wir so weitermachen wie bisher. Dabei sollten wir den Anstieg auf deutlich unter zwei Grad begrenzen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, nur wird sie angesichts der Klimafolgen immer dringlicher. Aber noch mal: Wir können den gefährlichen Klimawandel und damit die Katastrophe noch abwenden – technisch wie ökonomisch. Die Frage ist, ob es uns gelingt, die dafür notwendigen Veränderungen gesellschaftlich und politisch schnell genug umzusetzen.
Kann die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden?
EDENHOFER Ja, ich halte das noch für möglich. Aber es wird sehr knapp, und wir müssen extrem schnell umsteuern. Für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels kann noch CO2 in einer Größenordnung von 400 Gigatonnen ausgestoßen werden. Der IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, d.Red.) äußert sich sehr skeptisch, ob das tatsächlich eingehalten werden kann, aber das ist eine Frage der Politik. Das Paris-Abkommen hat jedenfalls einen klugen Vorschlag gemacht, indem es das Ziel festlegt, die Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, verbunden mit dem starken Bemühen, 1,5 Grad zu erreichen. Es zählt jedes Zehntelgrad. Dafür können wir uns nicht erlauben, noch einmal eine Dekade zu verbummeln, so wie wir das seit 2010 gemacht haben. Wir müssen jetzt schleunigst vorankommen.
Und wie optimistisch sind Sie?
EDENHOFER Die Menschheit als Ganzes ist derzeit bei Weitem noch nicht auf dem Pfad, auf den wir kommen müssen. Es ist ein feiner Grat zwischen dem Fatalismus, es sei eh schon zu spät und wir könnten nur noch den Untergang verwalten, und dem Drängen auf ein übereiltes Handeln. Ich sage: Wir haben noch die Zeit, überlegt zu handeln, aber wir haben nicht mehr die Zeit zu einer großen Bummelveranstaltung.
Die Union will den Weg zu höheren CO2-Preisen „straffen“. Zahlen bleibt sie im Wahlprogramm schuldig. Was sagen Sie dazu?
EDENHOFER Wenn Deutschland seine selbstgesteckten Ziele erreichen will, bleibt der neuen Bundesregierung nichts anderes übrig als den CO2 Preis schneller anzuheben. Ich gehe davon aus, dass wir nach 2026 in Deutschland steigende CO2-Preise in den Sektoren Verkehr und Gebäude haben werden. Auf europäischer Ebene wird der zweite Emissionshandel erst nach 2027 zu wirken beginnen. Die EU wird von den in Deutschland gemachten Erfahrungen profitieren. Jede mögliche Koalition, die nach der Bundestagswahl die Regierungsgeschäfte übernehmen wird, wird das akzeptieren – da bin ich mir sicher.
Was macht Sie so sicher?
EDENHOFER Alle rationalen Akteure wissen um den Ernst der Klimakrise. Und es gibt noch einen ganz einfachen Grund: Die Politik braucht dringend die zusätzlichen Einnahmen aus dem CO2-Preis, um die Förderund Subventionsprogramme zu finanzieren. Die nächste Bundesregierung wird sich schon aus Eigeninteresse dafür einsetzen müssen, dass auf EU-Ebene das 65-Prozent-Ziel erreicht wird; auch auf der EU-Ebene wird man durch den zweiten EU-Emissionshandel Einnahmen erzielen wollen. Sich an der EU-Ebene zu orientieren bedeutet also im Kern, dass auch auf EU-Ebene höhere Preise durchgesetzt werden.
Wie glaubwürdig ist es, wenn Spitzenleute von Union und SPD von einer „Spritpreisbremse“sprechen?
EDENHOFER Eine Spritpreisbremse ist keine sinnvolle Forderung, sie ist mit der Quadratur des Kreises vergleichbar. Es ist völlig klar, dass die Spritpreise steigen müssen, wenn wir die Emissionen im Verkehrssektor senken wollen. Das ist auch innerhalb der Union klar. Die wichtige Frage ist, wie wir dabei einkommensschwache Haushalte entlasten.
Werden Klimaschutz und sozialer Ausgleich gegeneinander ausgespielt?
EDENHOFER Es ist eine rhetorische Finte, sozialpolitische Verwerfungen vorzuschieben, um den Klimaschutz abzuschmettern. Einen Zielkonflikt, der hier von manchen beschworen wird, gibt es dann nicht, wenn man einkommensschwache Haushalte entlastet. Klimapolitik kann sehr wohl sozial gerecht sein. Wir haben das durchgerechnet: Gerade einkommensschwache Haushalte können bei kluger Ausgestaltung der Rückerstattung von CO2-Bepreisung unter dem Strich sogar profitieren. Natürlich: Wer Klimaschutz
betreiben will, muss höhere Vermeidungskosten akzeptieren. Und zwar unabhängig davon, ob das durch einen CO2-Preis, Flottenverbrauchstandards oder Verbote umgesetzt wird. Klimapolitik verursacht Kosten, die die Verbraucher am Ende zahlen müssen. Wenn wir eine ambitionierte Klimapolitik haben wollen, wird es notwendigerweise zu Verhaltensänderungen und zu zusätzlichen Innovationen führen müssen. Dafür muss es Anreize geben. Man kann CO2-intensives Produzieren und Konsumieren verteuern – durch Steuern oder Verbote – oder CO2-freie Alternative subventionieren. Das ist ein ehernes Gesetz der Marktwirtschaft, an dem man nicht vorbeikommen wird.
Und wofür plädieren Sie?
EDENHOFER Man sollte die CO2-intensiven Produktions- und Verhaltensweisen bepreisen, durch eine Steuer oder einen Emissionshandel. Denn damit werden die fossilen Energieträger teurer und somit auch aus dem Markt gedrängt. Subventionen führen zwar dazu, dass E-Autos und Fotovoltaik billiger werden, doch man wird damit Diesel, Benziner und Kohlestrom nicht aus dem Markt drängen. In einer sinnvollen Klima- und Industriepolitik müssen wir die alten Technologien ablösen und das Neue auf dem Markt etablieren. Das schafft der CO2-Preis sehr viel besser als Subventionen. Und so entstehen auch die Einnahmen, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten. Die sozialpolitischen Argumente des Lastenausgleichs oder der Armutsbekämpfung werden leider oft vorgeschoben, um ambitionierte Klimapolitik abzuwehren. Dabei würde ungebremster Klimawandel wirklich soziale Härten bedeutet.
Greta Thunberg kritisierte die Regierungschefs der Industrienationen kürzlich für ein verlogenes Theaterspiel. Würden Sie so weit gehen?
EDENHOFER Nein, das finde ich falsch. Dafür haben wir in den letzten drei, vier Jahren alle gemeinsam viel zu viel erreicht. Politiker können klimapolitische Maßnahmen nur durchsetzen, wenn auch die Verteilungskonflikte gelöst werden. Diese werden nicht dadurch gelöst, dass Politiker unter einen moralischen Generalverdacht gestellt werden. Menschen werden nur bereit sein, eine ambitionierte Klimapolitik zu unterstützen, wenn sie das Gefühl haben, dass es fair und gerecht zugeht. Dafür muss ein sozialer Ausgleich vorgesehen sein. Dennoch lehne ich ab, wenn manche Politiker sagen: Weil es zu sozialen Verwerfungen führen könnte, wollen wir keine ambitionierte Klimapolitik. Soziale Verwerfungen gibt es nur, wenn man die Klimapolitik falsch anpackt.
Worauf muss sich die nächste Regierung klimapolitisch einstellen?
EDENHOFER Ich sehe drei fundamentale Herausforderungen. Erstens: Deutschland hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und durch das Klimaschutzgesetz zu einem sehr ambitionierten Pfad verpflichtet. Der muss nun auch zügig gegangen werden. Zweitens: Der europäische „Green Deal“wird für Deutschland ein prall gefülltes Hausaufgabenheft mit sich bringen, das für jede neue Regierung sehr anspruchsvoll sein wird. Welche Farben auch immer die neue Koalition hat, sie muss sich diesen europäischen Aufgaben stellen. Die dritte Herausforderung ist die internationale Kooperation. Die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, China und Europa muss vertieft werden. Ohne diese Kooperation, ohne eine aktive Klima-Außenpolitik, wird es uns nicht gelingen, auch nur annähernd unter der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben. Um diese Herausforderungen – national, europäisch und international – zu bewältigen, muss sich jede denkbare neue Koalition zu mehr klimapolitischer Ehrlichkeit durchringen.