Was die globale Mindeststeuer bedeutet
Die G20-Länder stellen sich hinter eine große, weltumspannende Reform. Doch die muss noch weitere Hürden nehmen.
VENEDIG (dpa) Die großen Industrieund Handelsstaaten haben sich darauf verständigt, weltweit Steueroasen auszutrocknen und von großen digitalen Unternehmen mehr Steuern zu verlangen. Die Reform soll ein System umkrempeln, das nach rund 100 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist.
Das Problem In den vergangenen Jahrzehnten waren die Staaten weltweit gefangen in einem Wettrennen nach unten: Im Kampf um die Ansiedlung großer Firmen senkten sie ihre Unternehmensteuern immer weiter. „Das ist ein Rennen, das niemand gewonnen hat“, sagt US-Finanzministerin Janet Yellen. Stattdessen habe es den Ländern Ressourcen genommen, die sie eigentlich besser in die Bürger und in Infrastruktur, also in Schulen, Krankenhäuser oder in die Rente, gesteckt hätten. Letztlich zahlten global agierende Konzerne – besonders große Digitalunternehmen wie Amazon und Google – oft kaum Steuern, weil sie Gewinne in Steueroasen verschoben oder mit Tricks Milliarden sparten. Das sei unfair im Vergleich zum kleinen Handwerksbetrieb oder dem Buchladen um die Ecke, heißt es vom deutschen Finanzministerium.
Die Lösung Geplant sind nun zwei Neuerungen: Alle international tätigen Unternehmen sollen – egal wo sie ihren Sitz haben – mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Dabei wird keinem Staat ein Steuersatz vorgeschrieben. Aber zahlt ein Unternehmen mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger Steuern, kann der Heimatstaat die Differenz einkassieren. Es würde sich also nicht mehr lohnen, Gewinne in Steueroasen zu verlagern. Beim zweiten Teil der Reform geht es um die Verteilung des Steuerkuchens unter den Ländern. Große Unternehmen sollen nicht mehr nur in ihrem Mutterland besteuert werden, sondern auch da, wo sie gute Geschäfte machen. An der genauen Formel für die Verteilung wird noch gearbeitet.
Die Konsequenzen Die neuen Verteilungsregeln sollen nur für große und hochprofitable Konzerne gelten. Wie viele deutsche Unternehmen darunter fallen, ist unklar. Eine Studie des Ifo-Instituts für das Finanzministerium, aus der die „Welt am Sonntag“zitierte, listet acht Firmen auf: den Elektronikhändler Ceconomy, die Deutsche Telekom, Henkel, RWE, Bayer, SAP, Adidas und die Deutsche Post. Stärker aber dürften die großen amerikanischen Digitalkonzerne wie Google und Apple betroffen sein, die dann mehr Steuern in Europa zahlen müssten. Deutschland müsste seine Unternehmensbesteuerung von meist 30 Prozent wohl nicht anpassen. In elf anderen EU-Ländern dagegen gibt es nach Angaben von EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni derzeit Unternehmensteuern von unter 15 Prozent.
Die Vorteile Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet allein durch die Mindeststeuer mit 150 Milliarden Dollar Steuer-Mehreinnahmen weltweit. Die Umverteilung könnte den sogenannten Marktstaaten nochmals mehr als 100 Milliarden Dollar bringen.
Der Fahrplan 132 der 139 OECD-Staaten haben inzwischen auf Arbeitsebene zugestimmt, darunter auch bekannte Steueroasen wie die Cayman-Inseln. Die drei EU-Staaten Irland, Estland und Ungarn dagegen verweigern sich bisher – wohl auch, weil niedrige Unternehmensteuern ihr Geschäftsmodell sind. Nach dem Beschluss der G20-Staaten sollen jetzt Detailfragen geklärt werden, für die neuen Verteilungsregeln soll ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Die Mindeststeuer muss in den Staaten einzeln umgesetzt werden.
Die Schlupflöcher Ob die Reform den Wettkampf um die Ansiedlung großer Unternehmen wirklich ausbremsen kann, ist ungewiss. Denn niemand verbietet es den Staaten, Firmen mit anderen Erleichterungen zu locken. Denkbar wären zum Beispiel geringere Sozialabgaben, niedrigere Grundsteuern oder hohe Forschungszulagen und Ansiedlungszuschüsse. Kritiker, darunter Abgeordnete von Union und Grünen im Bundestag, monieren außerdem, dass Ausnahmen für Banken, Schifffahrt und Rohstoffindustrie geplant sind. Große Frachtschiffe können damit zum Beispiel weiter günstig unter der Flagge von Steueroasen wie Panama, Liberia oder den Marschall-Inseln fahren.