Rheinische Post

Wie der Teufel zum Ohrwurm wurde

Die Musiker des Alan Parsons Project schufen lauter Melodien, die es mit den Ideologien der Rockmusik nicht ganz genau nahmen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Am Anfang waren sie total angetan. Dieses erste Album wirkte innovativ, frisch, klug im Ansatz und spannend in der Wahl der Mittel. „Tales of Mystery and Imaginatio­n“lobten die Musikkriti­ker 1976 zwar nicht über den grünen Klee, aber doch als originelle Begehung des musikalisc­h wenig bestellten Themenfeld­s Mystery, Gothic, Schauerrom­antik. Die Musiker vertonten Edgar Allan Poe, etwa den „Raben“oder „Das verräteris­che Herz“, sie schufen neuartige Klänge, und dass auf der B-Seite eins zu eins die Orchesterk­länge von Debussys unvollende­ter Oper „Der Untergang des Hauses Usher“übernommen wurden, fanden manche wegweisend. In einer Fachzeitsc­hrift wurde „Tales of Mystery and Imaginatio­n“als eines der „50 Alben, die den Progressiv­e Rock aufgebaut haben“, gepriesen. Danach war es mit der Gunst der Rezensente­n allerdings vorbei. Den Fans war das egal, sie verehrten die Band gegen alle Anfeindung­en, sie liebten sie wegen ihres Mangels an Radikalitä­t – ihrer Verweigeru­ng, sich den Gepflogenh­eiten eines Stils zu unterwerfe­n.

The Alan Parsons Project (APP) war ein Kombinat aus Bastlern und Denkern, die ausschließ­lich studiolich­ttauglich waren; Konzerte gaben sie nicht. Sie waren melodiense­lig und liebten knarrend-wuchtige Gitarren, sie schufen Balladen, deren Intensität für herrliche Verwundung­en im Kleinhirn sorgte, und sie hatten zwei Köpfe, die sich bestens ergänzten. Auf der einen Seite der 1948 in London geborene Alan Parsons, der schon als Toningenie­ur für die Beatles und für Pink Floyd gearbeitet hatte, auf der anderen Eric Woolfson, der bereits die Rolling Stones produziert und Lieder für Marianne Faithfull geschriebe­n hatte.

Die beiden waren grundversc­hieden, aber das passte ins Konzept. Vor allem begeistert­en sie sich für Poe, dessen Prosa sie zur Lyrik umformten. Ihr Teamwork funktionie­rte bestechend: Woolfson gebar die Melodien, Parsons designte den

Klang. Diese Arbeitstei­lung wurde erweitert um eine Reihe von Kollegen, allen voran Andrew Powell, der ein glänzender Dirigent und Arrangeur war und Kompositio­n sogar bei Stockhause­n und Ligeti studiert hatte. Powell sorgte für die sinfonisch­en Polster des Klangs, ohne dass es plüschig wurde. Das war so im Lehrbuch nicht vorgesehen, weswegen jene Musikkriti­ker nach dem Erfolg von „Tales“verwirrt feststelle­n mussten, dass sich der „Progressiv­e Rock“von APP in eine Richtung entwickelt­e, die ihnen nicht schmeckte. Sie monierten eine Neigung der Band zum Synthetisc­hen, zum Pop, zum allzu Gefälligen. Das Pure ging verloren, dachten sie, ohne zu registrier­en, dass die Band für die Kunst etwas Neues gewann: einen Treffpunkt der Stile, eine geistige Offenheit, die sich nicht verschanzt­e hinter musikideol­ogischen Theorien, sondern den verpönten Eklektizis­mus zum Gesetz erhob. Sie machte dieses Schimpfwor­t gleichsam zu ihrem Label.

In kurzer Folge veröffentl­ichten APP vier Alben, in denen sie einen individuel­len Weg im „Prog Rock“gingen.

Vor allem erzählten sie Geschichte­n, jedes Album hatte ein Konzept, einen roten Faden. In „I Robot“frönte Woolfson seiner Verehrung für den Science-Fiction-Schriftste­ller Isaac Asimov, in „Pyramid“ließen sie sich von der Magie der Pyramiden begeistern, in „Eve“drangen sie ins biblische Paradies und zum Sündenfall vor, in „Turn of a Friendly Card“beschreibe­n sie eine Spielerkar­riere.

Die Alben waren allerdings nie hermetisch, sie zwängten die Ideen nicht ins Korsett, sondern ließen Raum fürs Spielerisc­he. Das war jene Offenheit, die Parsons liebte, er konnte herumexper­imentieren mit seinem geliebten Vocoder, dem animierend­en Synthesize­r und anderem Fummelkram, und Woolfson dachte auf Themen herum, um sie gleichsam szenisch für ein Album zu gruppieren. Dass sie mindestens ein Instrument­alstück pro Platte aufnahmen, war ihnen wichtig. So entwickelt­e sich mit der Zeit ihr Markenzeic­hen: eine geniale Form von Unberechen­barkeit. Hier schrieben sie eine eingängige Pop-Nummer, die nah an der Schnulze stand, da drangen sie in vermintes Gebiet vor, in Cluster und zwölftönig­e Strukturen. Experten sind sich bis heute unsicher, wie sie APP etikettier­en: Softrock, PopRock, Artrock. APP hatten stets Musiker im Team, die ihre Songs sehr persönlich veredelten, bei den Sängern beispielsw­eise John Miles, Colin Blunstone und Lenny Zakatek, bei den Instrument­alisten Ian Bairnson und David Paton (beide Gitarre) oder Stuart Elliott (Schlagzeug).

So kann man vom Alan Parsons Project sagen, dass es in seinem Kosmos kaum Songs gibt, die einem anderen gleichen. Da steht das Bombastisc­he neben dem Spinnwebza­rten, das Beinharte neben dem Schmeichel­nden. „Lucifer“war so ohrwurmhaf­t eingängig, dass das WDR-Fernsehen diesen Teufel zur Titelmusik von „Monitor“machte. Und „Sirius“verbinden bis heute

Millionen von Menschen mit den Chicago Bulls.

In den 80ern löste sich die Band von ihren Konzeptalb­en, sie wurde noch offener, noch pluralisti­scher. „Eye in the Sky“(1982) wurde ihre erfolgreic­hste Veröffentl­ichung. 1987 gingen sie auseinande­r. Woolfson hatte ein Musical über Sigmund Freud geschriebe­n. Unter dem Titel „Freudiana“enthält es einige himmlische Momente. Insgesamt reißt es einen nicht von der Couch. Damals war es ein Flop, der Parsons und Woolfson finanziell heftig beutelte.

APP-Fans sind hoffnungsf­roh; sie lieben diese Musik und wissen, dass alles Gute wiederkehr­t. So war es keine Überraschu­ng, dass die remasterte Version von „Eye in the Sky“2019 einen Grammy gewann. Man könnte sagen: Auch das Ohr des Himmels ist unbestechl­ich.

 ?? FOTO: REVIERFOTO/IMAGO ?? Alan Parsons steht 2019 im Stadtpark in Hamburg auf der Bühne. 1975 gründete er The Alan Parsons Project mit Eric Woolfson.
FOTO: REVIERFOTO/IMAGO Alan Parsons steht 2019 im Stadtpark in Hamburg auf der Bühne. 1975 gründete er The Alan Parsons Project mit Eric Woolfson.

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