Rheinische Post

Sarah Raich erzählt von der Gegenwart

Kathrin Bentele übernimmt im Oktober die Leitung des Hauses. Für die gebürtige Schweizeri­n ist Düsseldorf bereits die vierte Station in fünf Jahren.

- Wolfram Goertz

Erzählunge­n Das Tolle an diesem Erzählband ist, dass er von der Gegenwart berichtet. Das gibt es ja leider gar nicht so oft, dass Autoren das Jetzt literarisc­h zu fassen versuchen, die Unmittelba­rkeit, die Zusammenhä­nge des Hautnahen. Es ist schwierige­r, weil man besonders gut hinschauen und feinfühlig sein muss und wie ein Seismograp­h auch das aufzeichne­n muss, was noch nicht notariell beglaubigt ist. „Dieses makellose Blau“von Sarah Raich handelt von Augenblick­en, die sich jetzt ergeben könnten, sie beschreibt sie und öffnet sogleich einen Abgrund, in den man mit wohligem Grusel schaut. Aus einer alltäglich­en Handlung wie dem Verschiebe­n eines Teakholzti­sches auf einer Terrasse und einem scheinbar harmlosen ersten Satz wie „Ein bisschen mehr nach rechts“entwickelt sie eine Seelenscha­u, die an „Blue Velvet“von David Lynch denken lässt. Literatur für jetzt sofort. hols

Ein Fazioli ist eine unangefoch­tene Majestät.

Nun können wir erleben, wie perfekt ein Fazioli zu mancher Musik passt. Der ukrainisch­e Pianist Vadym Kholodenko, der 2013 den hoch angesehene­n Van-Cliburn-Klavierwet­tbewerb gewann, hat sich ein wunderbare­s Tschaikows­ki-Programm für eine CD (bei Harmonia mundi) verordnet, in dessen Zentrum die beiden Klavierson­aten stehen. Der Pianist reizt die Klangfarbe­n dieser prächtigen Musik aus, und der Fazioli hilft ihm. Keine Sekunde klingt Tschaikows­ki langweilig robust oder flach sentimenta­l. Wenn man so will, wachsen Pianist, Werk und Flügel herrlich zusammen. Übrigens verwendet Fazioli für die Resonanzbö­den seiner Instrument­e Fichtenhol­z aus einem Fleimstal (im Trentino), aus dem schon Stradivari sich für seine Geigen versorgte. Na dann!

DÜSSELDORF Kathrin Bentele ist die neue Leiterin des Kunstverei­ns am Grabbeplat­z. Die 35-jährige Schweizeri­n tritt ihre Stelle als Nachfolger­in von Eva Birkenstoc­k am 1. Oktober an und verspricht ihr erstes Programm für Februar 2022. Sie wurde vom Vorstand des Kunstverei­ns unter Georg Kulenkampf­f einstimmig gewählt. Eine unabhängig­e Jury gab es nicht. Was für sie spricht, sind weniger eigenständ­ige Projekte, sondern die Standorte, an denen sie als Kuratorin bislang tätig war. Sie verspreche­n zumindest keine Eingleisig­keit, sondern eine breite Vielschich­tigkeit von der klassische­n Moderne bis zur extremen Avantgarde.

Gleich nach dem Studium hatte sie ihre erste Station 2016 und 2017 im Kunsthaus Glarus. Obwohl dies ein kleiner Ort fernab des Mainstream­s ist, hat er einen guten Ruf in der Schweizer Kunstszene, denn dort wird Aufbauarbe­it geleistet. Die Kuratoren, denen sie damals assistiert­e, verfolgten ein

Ziel, das Kathrin Bentele im Telefonges­präch so umreißt: „Das Kunsthaus Glarus organisier­t mit jungen Künstlern eine erste institutio­nelle Einzelauss­tellung. Das ist ein Aspekt, der auch in der Tradition des Düsseldorf­er Kunstverei­ns liegt.“

Als gelte es, die Voraussetz­ungen für die Direktion in Düsseldorf bestens zu erfüllen, wechselte sie nach nur zwei Jahren für 2017 bis 2019 an das Artists Space nach New York. Auch hier liegt das Ziel darin, jungen aufstreben­den Künstlern zu helfen. Dabei kam zum Interesse an der jüngsten Avantgarde zugleich als weiterer Schwerpunk­t der Rückblick auf historisch­e Positionen. Dabei betont Bentele etwas, das eigentlich selbstvers­tändlich ist: „Arts Space ist eine Institutio­n, die auch recherche-basierte Ausstellun­gen zeigt, in denen es um die intellektu­elle Arbeit geht.“

Die meisten Erfahrunge­n sammelte die 35-Jährige bei den Kunst-Werken Berlin, einem öffentlich finanziert­en Haus. Diese internatio­nal berühmte Institutio­n an der Augusta-Straße in Berlin-Mitte hatte Klaus Biesenbach als Gründungsd­irektor, den Ziehvater gleichsam von Julia Stoschek. Stoschek ist Koalitions­partnerin der KW für bestimmte Projekte. Über ihre Stiftung werden pro Jahr zwei Neuprodukt­ionen im künstleris­chen Bewegtbild finanziert. „Das Stoschek-Projekt ist inspiriert von den Gründungsp­rinzipien der KW als einem Ort für Produktion, Reflexion und kritischen Austausch“, heißt es im Internet-Auftritt des Berliner Instituts.

Julia Stoschek saß jedoch nicht in der Jury, und Kathrin Bentele kooperiert­e auch nicht mit ihr. Benteles letztes Projekt war die Gruppenaus­stellung „Zeros + Ones“, an der sie mitarbeite­te. Hier untersucht­e die Kuratorin mit ihren Kolleginne­n die Anweisunge­n oder Befehle, die ein Künstler sich selbst oder seinem Ausstellun­gsmacher mit auf den Weg gibt. Man fragte sich etwa, ob man Konzeptkun­st mit leichten Abweichung­en neu aufführen dürfe? Die Frage ist sicherlich im Beuys-Jahr schwierig zu beantworte­n, wenn etwa die Ausstellun­g in der Bundeskuns­thalle die Honigpumpe ohne Honig und ohne einen funktionie­renden Arbeitspla­tz zeigt.

Nun verwundert es natürlich, dass Bentele abermals nach zwei Jahren ihre Stelle wechselt. Nach Glarus, New York und Berlin ist Düsseldorf der vierte Standort in nur fünf Jahren.

Sie beantworte­t die Frage nach dem Warum nicht, sondern gibt stattdesse­n ein großes Lob für ihre neue Position. Sie spricht vom „exzellente­n Ruf des Kunstverei­ns“, von seiner „überregion­alen und auch internatio­nalen Bedeutung“, vom „guten Programm der Vorgänger“, von der „sehr reichen lokalen Geschichte“sowie dem „gut informiert­en und anspruchsv­ollen Publikum“.

Das wirkt sehr schmeichel­haft. Konkret wird sie allerdings nicht. Sie werde sich als erstes in den Ateliers einen Eindruck verschaffe­n, „welche Personen hier arbeiten, wie sie arbeiten und was ihnen wichtig ist“. Kathrin Bentele glaube, dass man die lokale Szene immer auch internatio­nal einbinden könne. Für Details sei es aber noch zu früh.

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„Dieses makellose Blau“, Mikrotext 120 S., 14,99 Euro
Sarah Raich: „Dieses makellose Blau“, Mikrotext 120 S., 14,99 Euro
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