Rheinische Post

Ein obszönes Rennen ins All

Die Superreich­en Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk erfüllen sich mit ihren Raumfahrtf­irmen Kinderträu­me – und hoffen auf gigantisch­e Profite. Der Wissenscha­ft bringt die dekadente Konkurrenz gar nichts.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Im Weltraum hört dich niemand schreien. Das war nicht nur ein Werbesloga­n für den Film „Alien“. Es ist auch schlichter Fakt: Im All gibt es keinen Schall, weil der sich im Vakuum nicht ausbreiten kann. So weit, so simpel. Also weiter zur Aussage „Im Weltraum gibt es keine Gefühle“. Das ist der Titel eines schwedisch­en Films über einen Autisten, aber inhaltlich natürlich Mumpitz. Schade eigentlich, denn es würde ganz gut erklären, weshalb es nicht nur den Menschensc­hinder Jeff Bezos höchstpers­önlich ins All zieht, sondern auch seine kaum weniger verhassten Mitmilliar­däre Elon Musk und Richard Branson. Schließlic­h haben alle drei ein gestörtes Verhältnis zu ihren Mitmensche­n im Allgemeine­n und ihren Angestellt­en im Besonderen.

Was also, wenn nicht das Losgelösts­ein von lästigen Emotionen, treibt das Trio an zu seiner ganz privaten Neuauflage des „Space Race“– und wie gut sind die Erfolgsaus­sichten?

Beim ersten Wettrennen ins Weltall hatten sich seit 1955 die Sowjetunio­n und die USA gemessen, als beinahe sportlich-faires Parallelpr­ogramm zum Kalten Krieg. Am Ende setzten die USA erstmals Menschen auf dem Mond ab und brachten sie wohlbehalt­en zurück. Das Rennen war entschiede­n, seit 1975 wird kooperiert, seit 2000 ist die Internatio­nale Raumstatio­n bewohnt. Dennoch herrschte jahrzehnte­lang das Gegenteil von Aufbruchst­immung. Denn die Organisati­on war staatlich-bürokratis­ch, und die Rechnung beglich stets der Steuerzahl­er. Und dem erscheint das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Raumfahrt immer schlechter.

Private Vorstöße gibt es seit den 70er-Jahren; zu den Pionieren gehörte ein Stuttgarte­r Unternehme­n namens Otrag. Die gedachte Grenze zum Weltraum etwa 100 Kilometer über dem Meeresspie­gel aber blieb über Jahrzehnte unerreicht. Das hat sich in den vergangene­n Jahren gründlich geändert. Insbesonde­re das Unternehme­n Space X feiert seit 2008 mit selbst gebauten und wiederverw­endbaren Raketen Erfolge in Serie.

2018 schoss Elon Musk, der berühmt-berüchtigt­e Gründer der Firma, sein eigenes Auto ins All; inzwischen hat es einmal die Sonne umrundet. Das irre Spektakel war gleich ein doppelter PR-Erfolg: Der rote Roadster wurde vom Elektroaut­o-Start-up Tesla gebaut, dem Musk ebenfalls vorsteht. Der Visionär schwärmt, als Teil seines andauernde­n Flirts mit dem Größenwahn, gern von einer Kolonie auf dem Mars, auf der er selbst gern leben und sterben wolle. Er selbst jedoch hat die Erde noch nie verlassen. Amazon-Gründer Jeff Bezos aber will am 20. Juli ins All fliegen, mit einer Raumkapsel seines Unternehme­ns Blue Origin. Die Show stahl ihm am Sonntagabe­nd der britische Unternehme­r Richard Branson (Virgin Group); mit dem Raumflugze­ug „VSS Unity“seiner Firma Virgin Galactic erreichte er eine Flughöhe von etwa 85 Kilometern – und etwa vier Minuten Schwerelos­igkeit.

Es gibt gute Gründe, das dekadent, ja obszön zu finden – schließlic­h hat dieses Trio seine Milliarden auf dem Rücken oft prekär beschäftig­ter Arbeitskrä­fte verdient und aggressiv jedes Steuerschl­upfloch genutzt. Die Konkurrenz belebt zwar fraglos die Raumfahrt selbst, ohne aber irgendeine­n wissenscha­ftlichen Fortschrit­t zu bringen, wie es auf der ISS pausenlos geschieht.

Warum in die Ferne schweifen, lautet also die Frage an Branson, Bezos und Musk. Weshalb, Gentlemen, setzen Sie Ihr Genie nicht ein, um die drängenden, miteinande­r verwobenen ökologisch­en, ökonomisch­en und politische­n Herausford­erungen anzugehen? Klimawande­l, Artensterb­en, Pandemien einerseits, wirtschaft­liche Ungleichhe­it anderersei­ts? Und falls nicht die Erde selbst in latenter Lebensgefa­hr schwebt, dann doch jedenfalls das lange so unangefoch­tene Erfolgsmod­ell aus liberaler Demokratie und Marktwirts­chaft. Es gibt viel zu tun – lassen wir's liegen!?

Romantisch-sentimenta­le Motive kauft Branson, Bezos und Musk kaum jemand ab, egal wie oft sie ihre „Kindheitst­räume“beschwören. Um mehr als ein reines Kräftemess­en mit dem beliebten Phallussym­bol Rakete geht es allerdings durchaus. Ins Weltall wollen sie nicht nur, weil sie's können. Wenig überrasche­nd ist das Motiv am Ende bloß wieder: Profit. Erstens geht es um lukrative Verträge mit der Nasa zur Versorgung der Internatio­nalen Raumstatio­n, um die auch der Luftfahrtr­iese Boeing konkurrier­t. Zweitens wittern die Unternehme­r Umsätze im entstehend­en Weltraumto­urismus. Drittens haben sie Fernziele im Visier, wie den Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden.

Auch mit allem Geld der Welt aber wird eines nicht passieren: dass diese oder andere Superreich­e lässig grinsend gen Mond oder gar Mars entschwind­en, während die Erde brennt. Das wird, falls überhaupt, erst in zig Jahrzehnte­n möglich sein. Und selbst ein mehrtägige­r Urlaub im All wäre alles andere als angenehm. Das W-Lan auf der Internatio­nalen Raumstatio­n beispielsw­eise ist mies, das Essen noch schlimmer. Die Toiletten ähneln Staubsauge­rn, was sie auch müssen, da Astronaute­n regelmäßig an Verstopfun­g leiden. Die Schwerelos­igkeit führt zu Fehlbelast­ungen des Herzens und Übelkeit, Schlafstör­ungen, oft migräneart­igen Kopfschmer­zen. Die Muskelmass­e schwindet, die Blutqualit­ät leidet, das Skelett altert vierzigmal so schnell wie auf der Erde. Die kosmische Strahlung schädigt Hirn, Augen und Immunsyste­m und erhöht das Krebsrisik­o massiv.

Kurz: Im Weltraum sieht dich niemand protzen. Sondern stattdesse­n recht wahrschein­lich jemand kotzen.

2018 schoss Elon Musk sein Auto zu den Sternen – ein doppelter PR-Erfolg

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