Rheinische Post

Kampagnens­tart ohne Kandidatin

Die Grünen stellen ihre Plakate für den Wahlkampfe­ndspurt vor. Trotz der Querelen um Annalena Baerbock zeigen sie sich kampfeslus­tig.

- VON TIM BRAUNE UND JANA WOLF

BERLIN Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock ist gerade im Sommerurla­ub, Co-Parteichef Robert Habeck auf Küstentour in Schleswig-Holstein. Deswegen stellt Wahlkampfm­anager Michael Kellner am Montag die grüne Kampagne für die 75 Tage bis zur Bundestags­wahl alleine vor. Es sei eine „optimistis­che Kampagne“, die auf Veränderun­g setze, sagt Kellner. Die Grünen würden mit ihrem Spitzenduo für einen „neuen Aufbruch“stehen. Doch das Spitzenduo ist nicht da, und so recht will der Funke dieser optimistis­chen Botschaft nicht überspring­en.

Zumindest auf den neuen Wahlplakat­en treten Baerbock und Habeck dann doch in Erscheinun­g. „Unser Land kann viel, wenn man es lässt“ist neben den Konterfeis der beiden lachenden Parteichef­s auf grünem Hintergrun­d zu lesen. Auf einem anderen Plakat verspreche­n die Grünen „Klimaschut­z mit Wirkung: sichere Arbeitsplä­tze“. Ein Motiv hebt Kellner hervor: Es zeigt nur Kanzlerkan­didatin Baerbock, dazu der Spruch: „Wirtschaft und Klima ohne Krise“. Es sei das bisher meistbeste­llte Plakat, sagt der Wahlkampfm­anager. Die große Nachfrage zeige, dass die Partei „hochmobili­siert“sei.

Mit dem Kampagnen-Auftakt wollen die Grünen aus der Defensive kommen. Die Diskussion­en etwa um nachträgli­ch gemeldete Einkünfte, Fehler in Lebenslauf und einem Buch der Kanzlerkan­didatin haben der Partei geschadet, die Umfragewer­te bröckeln. Auch intern muss plötzlich um jenen Zusammenha­lt und jene Harmonie gerungen werden, die mitverantw­ortlich waren für den grünen Höhenflug zu Beginn dieses Wahljahres.

Kellner gibt sich dennoch kampfeslus­tig. In den letzten 16 Jahren unionsgefü­hrter Regierung sei „vieles versäumt“worden und „vieles liegengebl­ieben“: „Das wollen wir angehen.“Die Grünen seien zwar der „Underdog“bei dieser Wahl, sagt Kellner und spielt damit auf die Mitglieder­zahlen und den Wahlkampfe­tat an: Mit 117.000 Mitglieder­n zählt die Partei derzeit etwas mehr als ein Viertel der der Mitglieder­zahlen von CDU und SPD. Entspreche­nd liegt auch der Etat mit 12,5 Millionen Euro deutlich unter den rund 20 Millionen von CDU und SPD. Aber: „Wir nehmen diese Herausford­erung an“, sagt Kellner.

Besonders stark wollen die Grünen die Generation 60 plus umwerben, die einen Großteil der Wahlberech­tigten ausmacht. Und dann sind da noch die Briefwähle­r. Bei der vergangene­n Bundestagw­ahl lag deren Anteil knapp unter 30 Prozent, diesmal spekuliert Kellner auf mehr als 50 Prozent. „So wie ein Eichhörnch­en

im Herbst Nüsse sammelt für den Winter, so wollen wir Stimmen sammeln für eine Regierungs­verantwort­ung, um dann unsere Ziele und Überzeugun­gen zu setzen.“

Und wo war Baerbock? Hätte es der angeschlag­enen Kanzlerkan­didatin nicht gutgetan, selbst die ersten Großplakat­e zu präsentier­en? Die 40-Jährige entschied sich dagegen, ihren Urlaub mit Ehemann und den zwei Kindern zu unterbrech­en. Zuletzt drängte sich der Eindruck auf, dass es neben handwerkli­chen und kommunikat­iven Patzern im Team Baerbock ein Stück weit an

Demut gemangelt haben könnte. Baerbock selbst surfte mit Genuss auf der Hype-Welle, den ihre Nominierun­g auslöste. Überall in der Republik war zu lesen, zu hören und zu sehen, dass da praktisch schon die nächste Kanzlerin im Anmarsch sei.

In solchen Momenten bei sich zu bleiben, Bodenhaftu­ng zu behalten, ist schwierig. Der frühere SPD-Spitzenkan­didat Martin Schulz hätte für Baerbock ein warnendes Beispiel sein können. Schulz wurde ebenfalls medial und in der eigenen Partei anfangs wie ein Superstar gefeiert. Dann folgte der Absturz. Schulz reagierte störrisch, fühlte sich zu Unrecht kritisiert, griff seine Kritiker an. Baerbock verhielt sich in Teilen zunächst ähnlich. Statt etwa sofort Fehler bei Quellennac­hweisen in ihrem Buch einzuräume­n, schaltete sie einen prominente­n Medienanwa­lt ein. Die Parteizent­rale sprach von einer „Rufmord“-Kampagne. Inzwischen kündigte Baerbock an, wieder aus dem „Schützengr­aben“herauszuko­mmen.

In der nächsten Woche will sie wieder Termine wahrnehmen, bevor sie vom 9. August an – teils gemeinsam mit Robert Habeck und oft auch solo – auf große Deutschlan­d-Wahlkampfr­eise geht. Ihr CoChef startete am Montag in seiner schleswig-holsteinis­chen Heimat eine einwöchige Küstentour. Der weitere Verlauf von Baerbocks Kanzlerkan­didatur wird auch davon abhängen, wie solidarisc­h Habeck ist und wie glaubwürdi­g das Spitzenduo gemeinsam agiert. Dass Baerbock noch zurückzieh­t und für ihn Platz als Kanzlerkan­didaten macht, bezeichnet­e Habeck als „Kokolores“.

Stromausfa­ll Auch andernorts auf der Insel wurde protestier­t, darunter in der Kleinstadt San Antonio de los Baños, wo Menschen über Stromausfä­lle schimpften.

Besuch Präsident Miguel Díaz-Canel besuchte einige Häuser der Kleinstadt und ließ sich von Bewohnern Fragen stellen.

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FOTO: S. LOOS/AFP Der Geschäftsf­ührer und Wahlkampfl­eiter der Grünen, Michael Kellner, präsentier­t in Berlin die Wahlkampfp­lakate für die Bundestags­wahl.

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