Kampagnenstart ohne Kandidatin
Die Grünen stellen ihre Plakate für den Wahlkampfendspurt vor. Trotz der Querelen um Annalena Baerbock zeigen sie sich kampfeslustig.
BERLIN Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist gerade im Sommerurlaub, Co-Parteichef Robert Habeck auf Küstentour in Schleswig-Holstein. Deswegen stellt Wahlkampfmanager Michael Kellner am Montag die grüne Kampagne für die 75 Tage bis zur Bundestagswahl alleine vor. Es sei eine „optimistische Kampagne“, die auf Veränderung setze, sagt Kellner. Die Grünen würden mit ihrem Spitzenduo für einen „neuen Aufbruch“stehen. Doch das Spitzenduo ist nicht da, und so recht will der Funke dieser optimistischen Botschaft nicht überspringen.
Zumindest auf den neuen Wahlplakaten treten Baerbock und Habeck dann doch in Erscheinung. „Unser Land kann viel, wenn man es lässt“ist neben den Konterfeis der beiden lachenden Parteichefs auf grünem Hintergrund zu lesen. Auf einem anderen Plakat versprechen die Grünen „Klimaschutz mit Wirkung: sichere Arbeitsplätze“. Ein Motiv hebt Kellner hervor: Es zeigt nur Kanzlerkandidatin Baerbock, dazu der Spruch: „Wirtschaft und Klima ohne Krise“. Es sei das bisher meistbestellte Plakat, sagt der Wahlkampfmanager. Die große Nachfrage zeige, dass die Partei „hochmobilisiert“sei.
Mit dem Kampagnen-Auftakt wollen die Grünen aus der Defensive kommen. Die Diskussionen etwa um nachträglich gemeldete Einkünfte, Fehler in Lebenslauf und einem Buch der Kanzlerkandidatin haben der Partei geschadet, die Umfragewerte bröckeln. Auch intern muss plötzlich um jenen Zusammenhalt und jene Harmonie gerungen werden, die mitverantwortlich waren für den grünen Höhenflug zu Beginn dieses Wahljahres.
Kellner gibt sich dennoch kampfeslustig. In den letzten 16 Jahren unionsgeführter Regierung sei „vieles versäumt“worden und „vieles liegengeblieben“: „Das wollen wir angehen.“Die Grünen seien zwar der „Underdog“bei dieser Wahl, sagt Kellner und spielt damit auf die Mitgliederzahlen und den Wahlkampfetat an: Mit 117.000 Mitgliedern zählt die Partei derzeit etwas mehr als ein Viertel der der Mitgliederzahlen von CDU und SPD. Entsprechend liegt auch der Etat mit 12,5 Millionen Euro deutlich unter den rund 20 Millionen von CDU und SPD. Aber: „Wir nehmen diese Herausforderung an“, sagt Kellner.
Besonders stark wollen die Grünen die Generation 60 plus umwerben, die einen Großteil der Wahlberechtigten ausmacht. Und dann sind da noch die Briefwähler. Bei der vergangenen Bundestagwahl lag deren Anteil knapp unter 30 Prozent, diesmal spekuliert Kellner auf mehr als 50 Prozent. „So wie ein Eichhörnchen
im Herbst Nüsse sammelt für den Winter, so wollen wir Stimmen sammeln für eine Regierungsverantwortung, um dann unsere Ziele und Überzeugungen zu setzen.“
Und wo war Baerbock? Hätte es der angeschlagenen Kanzlerkandidatin nicht gutgetan, selbst die ersten Großplakate zu präsentieren? Die 40-Jährige entschied sich dagegen, ihren Urlaub mit Ehemann und den zwei Kindern zu unterbrechen. Zuletzt drängte sich der Eindruck auf, dass es neben handwerklichen und kommunikativen Patzern im Team Baerbock ein Stück weit an
Demut gemangelt haben könnte. Baerbock selbst surfte mit Genuss auf der Hype-Welle, den ihre Nominierung auslöste. Überall in der Republik war zu lesen, zu hören und zu sehen, dass da praktisch schon die nächste Kanzlerin im Anmarsch sei.
In solchen Momenten bei sich zu bleiben, Bodenhaftung zu behalten, ist schwierig. Der frühere SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz hätte für Baerbock ein warnendes Beispiel sein können. Schulz wurde ebenfalls medial und in der eigenen Partei anfangs wie ein Superstar gefeiert. Dann folgte der Absturz. Schulz reagierte störrisch, fühlte sich zu Unrecht kritisiert, griff seine Kritiker an. Baerbock verhielt sich in Teilen zunächst ähnlich. Statt etwa sofort Fehler bei Quellennachweisen in ihrem Buch einzuräumen, schaltete sie einen prominenten Medienanwalt ein. Die Parteizentrale sprach von einer „Rufmord“-Kampagne. Inzwischen kündigte Baerbock an, wieder aus dem „Schützengraben“herauszukommen.
In der nächsten Woche will sie wieder Termine wahrnehmen, bevor sie vom 9. August an – teils gemeinsam mit Robert Habeck und oft auch solo – auf große Deutschland-Wahlkampfreise geht. Ihr CoChef startete am Montag in seiner schleswig-holsteinischen Heimat eine einwöchige Küstentour. Der weitere Verlauf von Baerbocks Kanzlerkandidatur wird auch davon abhängen, wie solidarisch Habeck ist und wie glaubwürdig das Spitzenduo gemeinsam agiert. Dass Baerbock noch zurückzieht und für ihn Platz als Kanzlerkandidaten macht, bezeichnete Habeck als „Kokolores“.
Stromausfall Auch andernorts auf der Insel wurde protestiert, darunter in der Kleinstadt San Antonio de los Baños, wo Menschen über Stromausfälle schimpften.
Besuch Präsident Miguel Díaz-Canel besuchte einige Häuser der Kleinstadt und ließ sich von Bewohnern Fragen stellen.