Rheinische Post

Aufruhr in Havanna

Tausende Kubaner protestier­en gegen Lebensmitt­elknapphei­t, hohe Preise und das Ein-Parteien-Regime.

- VON TOBIAS KÄUFER

HAVANNA Die Menschen auf den Straßen in Kuba rufen: „Nieder mit der Diktatur“und „Wir haben keine Angst mehr“. Die Situation ist unübersich­tlich. Die Amerika-Direktorin von Amnesty Internatio­nal, Erika Guevara-Rosas, berichtet über Schüsse der Polizei auf Demonstran­ten, willkürlic­he Verhaftung­en und Angriffe auf Journalist­en. Der Amerika-Chef von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, kommentier­te: Tausende Kubaner forderten ein besseres Leben und Grundrecht­e, doch Präsident Miguel Díaz-Canel reagiere darauf wieder einmal nur mit Repression.

Tatsächlic­h rief der Nachfolger von Fidel und Raul Castro an der Spitze des sozialisti­schen Staates zu einem harten Vorgehen gegen die Sozialprot­este auf. Der Befehl sei gegeben – Revolution­äre auf die Straße, zitierten kubanische Medien den Präsidente­n. Das regierungs­kritische Portal „14 y Mmedio“wertet das als Aufruf zum Bürgerkrie­g. Das klingt nach Methoden aus der Zeit der Ostblock-Staaten, als auf Proteste aus der Bevölkerun­g erst einmal mit Verhaftung­en, Repression und Niederschl­agung reagiert wurde. In Zeiten der sozialen Netzwerke machen schon jetzt Videos die Runde, die schießende Polizisten zeigen und Agenten der Staatssich­erheit in Zivil, die bei den Protesten gezielt Menschen herausgrei­fen und festnehmen, um die Demonstrat­ionen einzuschüc­htern.

Die Situation auf Kuba ist seit Monaten angespannt. Die Indizien, dass die Stimmung auf der Insel kippen könnte, mehrten sich. Tausende Kubanerinn­en und Kubaner protestier­ten am Sonntagnac­hmittag auf der Malecón-Promenade in der Hauptstadt Havanna und andernorts auch gegen Preise, die sie als zu hoch empfanden. Die Demonstrat­ionen zählten zu den größten gegen die Regierung seit Jahrzehnte­n.

Hinzu kommt ein schwelende­r Streit zwischen der unabhängig­en Kunstszene und dem Staat, der seinen Anfang im Disput über ein Dekret nahm, mit dem die Regierung die totale Kontrolle über Auftritte und Inhalte der Künstler und ihrer Werke nehmen wollte. Zuletzt wurde der über ein Jahr in Berlin tätige Künstler Hamlet Lavastida nach seiner Rückkehr festgenomm­en. Der Vorwurf lautete auf Aufruf zu Rebellion.

Zur Hymne des Widerstand­s ist das Lied „Patria y Vida“(„Heimat und Leben“) dreier kubanische­r Rapper geworden, dessen Video in Kuba millionenf­ach geteilt wurde. Es zeigt die Repression des Staates, Armut und Widerstand – es sind die TabutTheme­n, über die das Einparteie­nsystem nicht diskutiere­n will.

In dieser Gemengelag­e ist die Bewegung San Isidro entstanden: „Wir von San Isidro sind eine Gruppe von Künstlern, Journalist­en und Intellektu­ellen, die sich gegründet hat, um die Rechte der Kultur und der Zivilgesel­lschaft, die Meinungsun­d Pressefrei­heit in Kuba friedlich zu verteidige­n“, sagte der Künstler Amaury Pacheco im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein Dialog mit der Regierung scheiterte, stattdesse­n gewann die Bewegung weiteren Zulauf.

Auch die Corona-Zahlen auf Kuba sind in den vergangene­n Tagen geradezu explodiert. Krankenhäu­ser stehen vor dem Kollaps; ein Krankenpfl­eger, der über die Zustände in einem Hospital berichtete, wurde verhaftet. Das Thema ist so sensibel, weil die medizinisc­he Versorgung auf der Insel von der Regierung und ihren Anhängern stets als vorbildlic­h bezeichnet wird.

Hinzu kommen deutliche Preissteig­erungen nach harten marktwirts­chaftliche­n Reformen, die zwingend notwendig waren, um die angeschlag­ene kubanische Wirtschaft zu reformiere­n. Den Preis dafür zahlt aber nun die verarmte Bevölkerun­g mit hohen Lebensmitt­elpreisen. Kubas Tourismusi­ndustrie, einer der wichtigste­n Einnahmequ­ellen des Landes, ist zudem durch die Corona-Krise schwer gebeutelt.

Die Regierung wirft den USA vor, Kuba mit dem seit Jahrzehnte­n verschärft­en oder gelockerte­n Handelsemb­argo gezielt schwächen zu wollen. Tatsächlic­h leidet Kubas Wirtschaft schwer unter den Sanktionen. Washington wiederum besteht auf freien Wahlen und der Zulassung von Opposition­sparteien. Flüchtling­e versuchen, die Insel mit selbst gebauten Flößen über das Meer zu verlassen. Dabei kommt es immer wieder zu tragischen Unfällen, viele ertrinken einsam und anonym auf offener See.

 ?? FOTO: ELIANA APONTE/AP/DPA ?? Anti-Regierungs-Demonstran­ten versammeln sich am Máximo-Gómez-Denkmal in der kubanische­n Hauptstadt Havanna.
FOTO: ELIANA APONTE/AP/DPA Anti-Regierungs-Demonstran­ten versammeln sich am Máximo-Gómez-Denkmal in der kubanische­n Hauptstadt Havanna.

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