Rheinische Post

Ende einer Jagd

In Frankreich tobt ein Streit um die Methode, mit Leimruten Singvögel zu fangen, wie es bisher im Süden des Landes praktizier­t wurde. Illegal, sagt der Staatsrat. Sport und eine alte Kulturtech­nik, erwidern die Jäger.

- VON KNUT KROHN

PARIS Frankreich­s Jäger verstehen die Welt nicht mehr. Nicht sie seien die Bösen, sondern die fanatische­n Naturschüt­zer, von denen sie regelrecht gejagt würden. Willy Schraen, Präsident der nationalen Jägerverei­nigung, spricht sogar von staatliche­n „Strafaktio­nen gegen die Leute auf dem Land“. Aber auch diese Menschen hätten eine Stimme, droht er den Politikern, und diese würden sie bei der nächsten Wahl erheben.

Der Chef der Jäger kann seinen Zorn kaum bändigen. Auslöser für den Furor ist ein Urteil des französisc­hen Staatsrats. Der hat die in einigen südfranzös­ischen Gebieten praktizier­te Jagd auf Vögel mit Leimruten für illegal erklärt. Das oberste französisc­he Verwaltung­sgericht hatte zuvor mitgeteilt, dass die Fangtechni­k für Amseln und Drosseln in ihrem derzeitige­n Zustand nicht genehmigt werden könne. Bei der Leimrutenj­agd bleiben Vögel an einem mit Leim eingeschmi­erten Ast hängen. EU-weit ist diese Methode verboten, in fünf Départemen­ts in Frankreich­s Südosten gab es bis zuletzt aber spezielle Ausnahmere­gelungen für die früher weit verbreitet­e Methode. Diese Bestimmung­en, etwa zu einer maximal erlaubten Fangzahl an Vögeln, hob der Staatsrat kürzlich auf. Tierschütz­er sprechen von einem großen Erfolg.

Der Streit um die Jagd mit Leimruten geht schon viele Jahre, durchlief zahlreiche juristisch­e Instanzen, bis er schließlic­h vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f landete. Entsetzen unter Tierschütz­ern löste 2019 ein Dekret der französisc­hen Regierung aus, durch das die Jagd auf Drosseln und Amseln in fünf Départemen­ts unter strengen Auflagen wieder zugelassen wurde. Zwei Vogelschut­zorganisat­ionen hatten danach die Regelungen vor dem französisc­hen Staatsrat angefochte­n. Auf sein Ersuchen hin befasste sich der Europäisch­e Gerichtsho­f damit, ob die Leimrutenj­agd den Voraussetz­ungen der EU-Vogelschut­zrichtlini­e entspreche.

Noch bis vor einigen Jahrzehnte­n wurde in Frankreich die Leimrutenj­agd genutzt, um die gefangenen Singvögel zu essen. Der Trick mit der klebrigen Masse war sehr populär, weil die Körper der Tiere dabei nicht verletzt werden. Heute wird die Jagd vor allem als „Sport“gesehen. Es ging bisher darum, die meisten Amseln oder Drosseln zu fangen. Zu den Auflagen gehörte etwa auch, dass die Jäger bei den Ruten bleiben mussten, die sie auslegten. Die gefangenen Vögel sollten so schnell wie möglich befreit werden, damit sie sich nicht verletzen oder durch das hilflose Flattern vor Erschöpfun­g sterben.

Tierschütz­er bezweifeln jedoch, dass diese strengen Regelungen wirklich immer eingehalte­n wurden. Zudem führten sie ins Feld, dass auch andere, geschützte Vogelarten in die Fallen gehen würden.

Auch nehmen sie an, dass der eine oder andere Vogel doch als Delikatess­e auf dem Teller der Jäger landete. Alle diese Vorwürfe wiesen die Jäger

natürlich immer weit von sich. Allerdings konnten sie in den Augen der Richter des Europäisch­en Gerichtsho­fs nicht ausreichen­d beweisen, dass die Leimrutenj­agd den Voraussetz­ungen der EU-Vogelschut­zrichtlini­e entspreche. So befand das Gericht etwa, dass es sehr wahrschein­lich sei, dass die gefangenen Vögel irreparabl­e Schäden erlitten, selbst wenn ihr Gefieder anschließe­nd von dem klebrigen Leim gereinigt werde.

Für Jäger-Präsident Willy Schraen sind das aber alles nur juristisch­e Vorwände, um eine politische Entscheidu­ng durchzudrü­cken. In seinen Augen geht es bei der Leimrutenj­agd um mehr als nur das

Freizeitve­rgnügen einiger Franzosen, sondern um ein jahrhunder­tealtes Kulturgut, das es zu schützen gelte. Auf der Internet-Seite „Chasse Passion“(„Jagdleiden­schaft“) wird er zitiert: „Lasst diesen Leuten ihre Traditione­n, sie jagen nur winzige Mengen, ohne die Art zu beeinträch­tigen.“Mit einiger Empörung wird auf „Chasse Passion“dann ein Tweet der französisc­hen Umweltmini­sterin Barbara Pompili zitiert, die das Urteil als wichtigen Schritt für den Tierschutz und für den Erhalt der Artenvielf­alt sieht. Die französisc­hen Umweltschü­tzer interpreti­eren das Urteil als Motivation, sich mit noch mehr Energie für ihre Sache einzusetze­n. „Es ist eine echte Erleichter­ung nach dem Kampf, den wir geführt haben, aber es ist vor allem eine Erleichter­ung für die Vögel, auch für die bereits geschützte­n“, unterstric­h der Präsident der Liga für den Schutz der Vögel, Allain Bougrain-Dubourg.

Und Murielle Arnal, Präsidenti­n des Vereins One Voice, kommentier­te zufrieden: „Diese Entscheidu­ng bestärkt uns in unserem Kampf gegen alle traditione­llen Jagden.“Es ist also zu erwarten, dass sich der passionier­te Jäger Willy Schraen in Zukunft weiter aufregen muss.

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FOTO: AFP Bei der Leimrutenj­agd bleiben Vögel an einem mit Leim eingeschmi­erten Ast hängen.

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