Rheinische Post

Englands beschämend­e Niederlage ist die neben dem Platz

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Es sollte der größte Festtag des englischen Fußballs seit 55 Jahren werden. Stattdesse­n ging dieser Sonntag als beschämend­er Punkt in die Historie der Three Lions ein. Und das nicht etwa, weil die Nationalma­nnschaft das EM-Finale gegen Italien verlor. Es war das Bild, das Teile der englischen Anhänger in in der Welt verbreitet­en, das dem Fußball als Ganzes, aber speziell dem auf der Insel und seinen friedliche­n Anhängern einen immensen Imageschad­en verpasste.

Eins vorneweg: Es ist beileibe nicht so, dass sich englische Fanscharen in der Geschichte von großen Fußballtur­nieren als tugendhaft­e Pfadfinder hervorgeta­n hätten. Und es ist weiter nicht so, dass englische Fans ein Monopol darauf hätten, sich daneben zu benehmen. Aber 2021 – bei der Euro 2020 – kommt eben eines hinzu: Die Welt ist in der Pandemie, und das hat ihren Blick verändert, wenn sie Bilder sieht, auf denen, wie am Sonntag in London, Fan-Massen völlig enthemmt die Innenstadt fluten, während Hunderttau­sende Schulkinde­r Wochen vorher krampfhaft zu Abstand untereinan­der angehalten waren. Und das ist es dann auch, was durch die Corona-Brille am Sonntag noch mal mehr auffiel als vielleicht sonst: Wie sehr Fan-Ausschreit­ungen zuweilen jegliche Relation verloren haben.

Dabei geht es gar nicht darum, ob das Video eines splitterna­ckten Fans millionenf­ach über die Smartphone­s wandert oder ob sich ein anderer im Rausch Pyrotechni­k im eigenen Allerwerte­sten abbrennt. Doch wo Massen Stadionein­gänge ohne Ticket überrennen, wo sich Fans untereinan­der dem Anschein nach völlig willkürlic­h prügeln, wo die Nationalhy­mne des Gegners ausgebuht wird (wie Tage zuvor, beim Finale war es erträglich­er), wo im Spiel gegen Deutschlan­d ein weinendes Kind in den sozialen Medien fertig gemacht wird und gegen Italien die englischen Fehlschütz­en massiv rassistisc­h beleidigt werden, da zeigt sich schonungsl­os, wie sehr Menschen den Fußball als Ventil missbrauch­en. Erst recht jetzt nach den monatelang­en „Entbehrung­en“der Corona-Zeit missbrauch­en. Enthemmung 2.0.

Die Uefa und die englische Regierung müssen sich in diesem Zusammenha­ng den Vorwurf gefallen lassen, durch die Erlaubnis eines vollen Wembley-Stadions Ausschreit­ungen zumindest sehenden Auges in Kauf genommen zu haben. Die einen aus Geldgier, die anderen aus dem Kalkül, aus einem möglichen EM-Triumph politische­s Kapital schlagen zu können. Beides ist einfach nur beschämend.

Und so ist der Fußball beim näheren Hingucken der eigentlich große Verlierer dieser EM. Denn obwohl der sportliche Wert durchaus viele Erwartunge­n übertroffe­n hat, hat das paneuropäi­sche Turnier vor allem gezeigt, wie leicht der Fußball heute zu missbrauch­en ist. Wie sehr er längst zum Spielball wirtschaft­licher und nationalis­tischer Interessen geworden ist. Corona ist auch da ganz offensicht­lich noch einmal ein Katalysato­r.

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FOTO: AP Polizisten halten einen Fan.

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