Abschied vom Prunk
Materieller Protz ist out, Kennerschaft das neue Maß der Dinge. Statussymbole verändern sich, der Zweck bleibt derselbe. Es ist die Frage: Wer steht unter mir?
Entschuldigung, aber wir müssen noch einmal auf Donald Trump zurückkommen. Er verkörpert nämlich in idealer Weise ein Statusdenken, das aus der Zeit gefallen scheint – in Europa noch mehr als gegenwärtig in den USA. Und damit stützt der abgewählte US-Präsident wie kein zweiter unsere These, dass die Symbole, von denen er noch immer glaubt, dass sie ihm Bewunderung verleihen (meine Golfclubs, mein Privatjet, meine Hotels – und als Krönung: mein Weißes Haus), wie er selbst massiv an Bedeutung verloren haben. Was dieser Mann nie hatte und auch nie besitzen wird: Bildung, Witz, Stil.
Dabei sind es genau diese Merkmale, die Soziologen und Trendforschern zufolge zunehmend das Besondere verkörpern, mit dem Zeitgenossen sich Geltung zu verschaffen suchen. Protz ist out, Wissen, Werte und Understatement sind in. Trumps smarter Amtsvorgänger Barack Obama hatte das begriffen, auch die Bidens machen mehr durch die Sympathie für ihre Hunde von sich reden als durch Pläne, die größte und schönste Luxusjacht der Welt – nein, des Universums – zu bauen.
Zur Schau gestelltes Konsumverhalten zählt kaum noch als Ausweis von Elite. Wie könnte es auch, in einer Zeit, in der Discounter Champagner zu Schnäppchenpreisen feilbieten und Edelklamotten secondhand für kleines Geld im Internet vertickt werden? Ein Louis-Vuitton-Täschchen erregt heute vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil es die Frage aufwirft, ob seine Trägerin oder sein Träger sich das Teil tatsächlich leisten konnten oder womöglich zur Fälschung gegriffen haben. Andererseits: Kredite sind billig wie nie. „Demokratisierung des demonstrativen Konsums“nennt die US-Soziologin Elizabeth Currid-Halkett diese Entwicklung. Die Kehrseite ist, dass das Demonstrative auf diese Weise seine Wirkung einbüßt.
Betreten wir dagegen auf der Suche nach dem Chef die Räume eines Start-ups, das an der Börse gerade durch die Decke geht, kann es passieren, dass wir auf lauter gleich aussehende, schlichte Arbeitsplätze treffen, an denen lauter lässig gekleidete Leute sitzen, und in irgendeiner Ecke werden wir unter Umständen bei einer Person fündig, die wir für den Praktikanten gehalten hätten. So was wirkt zugegebenermaßen erfrischender als ein Schlipsträger hinter einem schweren Schreibtisch.
„Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der sich der materielle Status und seine Symbolik erschöpft haben“, fasst der Trendforscher Tristan Horx zusammen. Es gehe nicht mehr darum, wie viel man besitze, sondern wie zufrieden oder gesund man sei. Zum Profil des modernen Standesvertreters gehört eher das Fahrrad (gerne mit Ökostrom-Unterstützung) als der Dienstwagen, der Bio-Smoothie anstelle des Lachsbrötchens, das aus Plastikmüll recycelte Shirt anstatt des Markenhemdes. Materielles Downsizing soll Raum schaffen für Wichtigeres: Gewissenhaftigkeit, Achtsamkeit, Zeit für Freunde und Familie. Das Moralische ersetzt das Materielle. Nicht, was man ist, zählt, sondern was man wird. Die neue Form von Elite entsteht oftmals durch geheime Zeichen, die nur für Eingeweihte erkennbar sind.
Nun ist es keineswegs so, dass Zufriedenheit oder Gesundheit zum Nulltarif zu haben wären. Wer zur Arbeit radelt, muss es sich leisten können, nicht in der Pampa wohnen zu müssen. Dasselbe gilt für Wellness und ausgewogene Ernährung, ebenso für den Urlaub, der an der nahen Ostsee nun mal teurer ist als im fernen Thailand. Auch bedürfen immaterielle Güter wie der Erwerb von Bildung, Geschmack oder Zeit zur freien Verfügung nach wie vor eines einigermaßen soliden finanziellen Fundaments. Wenngleich deutlich subtiler zur Schau getragen, erfüllen die neuen Statussymbole an diesem Punkt durchaus den Zweck, den schon die alten hatten – sie signalisieren den Platz in der Gesellschaft, der sich aus der wohlbekannten Frage ergibt: Wer steht unter mir?
Durch Abgrenzung und Zugehörigkeit entsteht Identität. Diesem unsichtbaren Gesetz folgen die menschlichen Gesellschaften, seit es sie gibt. Identität allerdings ist stets verbunden mit Hierarchie und Polarisierung, was schnurstracks ins Politische führt: Der Soziologe Andreas Reckwitz konstatiert, dass jene, die ihr individuelles kulturelles Kapital nach außen kehren, mehr und mehr die neue Mittelklasse bildeten, was in der alten Mittelklasse, die weiter auf das Allgemeine und Verbindende setze, zu einem Gefühl der Abwertung geführt habe. In seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“sieht Reckwitz darin einen Grund für das Erstarken rechtspopulistischer und nationalistischer Gruppen, die im Gegenzug das Traditionelle und Heimische betonten.
Längst macht das Wort von Lifestyle-Linken die Runde, die im Gewand der Tugend daherkämen, obwohl sie ihren Status bloß ihren Privilegien verdankten. Die ihre Kennerschaft vor allem dazu nutzen, ihre Gruppenzugehörigkeit Gleichgesinnten zu signalisieren, nicht aber, um die Welt zu verbessern. Für die wegen ihrer selbstkritischen Töne in den eigenen Reihen in Ungnade gefallene Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht besteht „Fridays for Future“aus einer Bewegung bessergestellter Menschen, die sich um die Zukunft der Welt kümmern könnten, weil sie sich um die eigene nicht sorgen müssten. Viele Linksliberale interessierten sich heute mehr für die Bessergebildeten und Besserverdienenden als für wirklich Bedürftige.
Der Vorwurf, dass dabei nicht zuletzt eine gehörige Portion Besserwisserei zum Vorschein komme, nagt seit geraumer Zeit auch am Image der Grünen. Nach Veggie Day, Tempolimit und Fahrverboten hatte Fraktionschef Anton Hofreiter zu Beginn des Wahljahres Zweifel am Neubau von Einfamilienhäusern geäußert. Dass Letzteres keineswegs auf dem Friedhof der Statussymbole gelandet ist, mussten die Grünen schmerzlich erfahren. Immerhin 75 Prozent der Deutschen träumen nach wie vor vom Eigenheim.
Wenn materieller Protz out ist, Wissen, Werte und ein Bekenntnis zu Nachhaltigkeit stattdessen das persönliche Profil schärfen, ist das im Grunde eine prima Sache. Es kommt halt darauf an, wie eine solche Haltung rüberkommt. Das Design bestimmt eben nicht das Bewusstsein. Wer Bescheidenheit der Show vorzieht, hat automatisch Status – und keinen nötig. Er oder sie taugt dann vielleicht sogar zum Vorbild.
Das Moralische ersetzt das Materielle – nicht, was man ist, zählt, sondern was man wird