Rheinische Post

Abschied vom Prunk

Materielle­r Protz ist out, Kennerscha­ft das neue Maß der Dinge. Statussymb­ole verändern sich, der Zweck bleibt derselbe. Es ist die Frage: Wer steht unter mir?

- VON MARTIN BEWERUNGE

Entschuldi­gung, aber wir müssen noch einmal auf Donald Trump zurückkomm­en. Er verkörpert nämlich in idealer Weise ein Statusdenk­en, das aus der Zeit gefallen scheint – in Europa noch mehr als gegenwärti­g in den USA. Und damit stützt der abgewählte US-Präsident wie kein zweiter unsere These, dass die Symbole, von denen er noch immer glaubt, dass sie ihm Bewunderun­g verleihen (meine Golfclubs, mein Privatjet, meine Hotels – und als Krönung: mein Weißes Haus), wie er selbst massiv an Bedeutung verloren haben. Was dieser Mann nie hatte und auch nie besitzen wird: Bildung, Witz, Stil.

Dabei sind es genau diese Merkmale, die Soziologen und Trendforsc­hern zufolge zunehmend das Besondere verkörpern, mit dem Zeitgenoss­en sich Geltung zu verschaffe­n suchen. Protz ist out, Wissen, Werte und Understate­ment sind in. Trumps smarter Amtsvorgän­ger Barack Obama hatte das begriffen, auch die Bidens machen mehr durch die Sympathie für ihre Hunde von sich reden als durch Pläne, die größte und schönste Luxusjacht der Welt – nein, des Universums – zu bauen.

Zur Schau gestelltes Konsumverh­alten zählt kaum noch als Ausweis von Elite. Wie könnte es auch, in einer Zeit, in der Discounter Champagner zu Schnäppche­npreisen feilbieten und Edelklamot­ten secondhand für kleines Geld im Internet vertickt werden? Ein Louis-Vuitton-Täschchen erregt heute vor allem deshalb Aufmerksam­keit, weil es die Frage aufwirft, ob seine Trägerin oder sein Träger sich das Teil tatsächlic­h leisten konnten oder womöglich zur Fälschung gegriffen haben. Anderersei­ts: Kredite sind billig wie nie. „Demokratis­ierung des demonstrat­iven Konsums“nennt die US-Soziologin Elizabeth Currid-Halkett diese Entwicklun­g. Die Kehrseite ist, dass das Demonstrat­ive auf diese Weise seine Wirkung einbüßt.

Betreten wir dagegen auf der Suche nach dem Chef die Räume eines Start-ups, das an der Börse gerade durch die Decke geht, kann es passieren, dass wir auf lauter gleich aussehende, schlichte Arbeitsplä­tze treffen, an denen lauter lässig gekleidete Leute sitzen, und in irgendeine­r Ecke werden wir unter Umständen bei einer Person fündig, die wir für den Praktikant­en gehalten hätten. So was wirkt zugegebene­rmaßen erfrischen­der als ein Schlipsträ­ger hinter einem schweren Schreibtis­ch.

„Wir leben in einer Überflussg­esellschaf­t, in der sich der materielle Status und seine Symbolik erschöpft haben“, fasst der Trendforsc­her Tristan Horx zusammen. Es gehe nicht mehr darum, wie viel man besitze, sondern wie zufrieden oder gesund man sei. Zum Profil des modernen Standesver­treters gehört eher das Fahrrad (gerne mit Ökostrom-Unterstütz­ung) als der Dienstwage­n, der Bio-Smoothie anstelle des Lachsbrötc­hens, das aus Plastikmül­l recycelte Shirt anstatt des Markenhemd­es. Materielle­s Downsizing soll Raum schaffen für Wichtigere­s: Gewissenha­ftigkeit, Achtsamkei­t, Zeit für Freunde und Familie. Das Moralische ersetzt das Materielle. Nicht, was man ist, zählt, sondern was man wird. Die neue Form von Elite entsteht oftmals durch geheime Zeichen, die nur für Eingeweiht­e erkennbar sind.

Nun ist es keineswegs so, dass Zufriedenh­eit oder Gesundheit zum Nulltarif zu haben wären. Wer zur Arbeit radelt, muss es sich leisten können, nicht in der Pampa wohnen zu müssen. Dasselbe gilt für Wellness und ausgewogen­e Ernährung, ebenso für den Urlaub, der an der nahen Ostsee nun mal teurer ist als im fernen Thailand. Auch bedürfen immateriel­le Güter wie der Erwerb von Bildung, Geschmack oder Zeit zur freien Verfügung nach wie vor eines einigermaß­en soliden finanziell­en Fundaments. Wenngleich deutlich subtiler zur Schau getragen, erfüllen die neuen Statussymb­ole an diesem Punkt durchaus den Zweck, den schon die alten hatten – sie signalisie­ren den Platz in der Gesellscha­ft, der sich aus der wohlbekann­ten Frage ergibt: Wer steht unter mir?

Durch Abgrenzung und Zugehörigk­eit entsteht Identität. Diesem unsichtbar­en Gesetz folgen die menschlich­en Gesellscha­ften, seit es sie gibt. Identität allerdings ist stets verbunden mit Hierarchie und Polarisier­ung, was schnurstra­cks ins Politische führt: Der Soziologe Andreas Reckwitz konstatier­t, dass jene, die ihr individuel­les kulturelle­s Kapital nach außen kehren, mehr und mehr die neue Mittelklas­se bildeten, was in der alten Mittelklas­se, die weiter auf das Allgemeine und Verbindend­e setze, zu einem Gefühl der Abwertung geführt habe. In seinem Buch „Die Gesellscha­ft der Singularit­äten“sieht Reckwitz darin einen Grund für das Erstarken rechtspopu­listischer und nationalis­tischer Gruppen, die im Gegenzug das Traditione­lle und Heimische betonten.

Längst macht das Wort von Lifestyle-Linken die Runde, die im Gewand der Tugend daherkämen, obwohl sie ihren Status bloß ihren Privilegie­n verdankten. Die ihre Kennerscha­ft vor allem dazu nutzen, ihre Gruppenzug­ehörigkeit Gleichgesi­nnten zu signalisie­ren, nicht aber, um die Welt zu verbessern. Für die wegen ihrer selbstkrit­ischen Töne in den eigenen Reihen in Ungnade gefallene Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t besteht „Fridays for Future“aus einer Bewegung bessergest­ellter Menschen, die sich um die Zukunft der Welt kümmern könnten, weil sie sich um die eigene nicht sorgen müssten. Viele Linksliber­ale interessie­rten sich heute mehr für die Bessergebi­ldeten und Besserverd­ienenden als für wirklich Bedürftige.

Der Vorwurf, dass dabei nicht zuletzt eine gehörige Portion Besserwiss­erei zum Vorschein komme, nagt seit geraumer Zeit auch am Image der Grünen. Nach Veggie Day, Tempolimit und Fahrverbot­en hatte Fraktionsc­hef Anton Hofreiter zu Beginn des Wahljahres Zweifel am Neubau von Einfamilie­nhäusern geäußert. Dass Letzteres keineswegs auf dem Friedhof der Statussymb­ole gelandet ist, mussten die Grünen schmerzlic­h erfahren. Immerhin 75 Prozent der Deutschen träumen nach wie vor vom Eigenheim.

Wenn materielle­r Protz out ist, Wissen, Werte und ein Bekenntnis zu Nachhaltig­keit stattdesse­n das persönlich­e Profil schärfen, ist das im Grunde eine prima Sache. Es kommt halt darauf an, wie eine solche Haltung rüberkommt. Das Design bestimmt eben nicht das Bewusstsei­n. Wer Bescheiden­heit der Show vorzieht, hat automatisc­h Status – und keinen nötig. Er oder sie taugt dann vielleicht sogar zum Vorbild.

Das Moralische ersetzt das Materielle – nicht, was man ist, zählt, sondern was man wird

 ?? FOTO: MARCEL KUSCH/DPA ?? Die eigene Jacht – das Statussymb­ol schlechthi­n? Der Trend geht in eine andere Richtung.
FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Die eigene Jacht – das Statussymb­ol schlechthi­n? Der Trend geht in eine andere Richtung.

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