Rheinische Post

Ein deutsches Leid im „Polizeiruf“

Ein Jude kehrt nach Jahrzehnte­n in seine Heimatstad­t zurück – ein Krimi als Geschichts­stunde.

- VON MARTINA STÖCKER „Polizeiruf 110 – Hermann“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

FRANKFURT/ODER Kriminalha­uptkommiss­ar Adam Raczek (Lucas Gregorowic­z) wählt den Flur einer Polizeidie­nststelle in Cottbus als Ort für die größten Fragen im Leben von AZvi Spielmann (Dov Glickman). Der alte Mann hat im Holocaust seine ganze Familie verloren. „Können Sie verzeihen?“, fragt Raczek. „Was soll ich verzeihen? Dass ein SS-Mann auf das verbrannte Gesicht meiner Schwester gepisst hat?“, antwortet Zvi, der vor seiner Emigration nach Israel Hermann geheißen hat. Dass alle seine Lieben tot sind, er unsägwlich­es Leid erlebt hat und aus seiner Heimatstad­t Cottbus vertrieben wurde, weil es nichts mehr gab, was ihn dort hielt? Wie soll man das verzeihen?

Spielmann kehrt mit seiner Tochter nach Cottbus zurück, weil er vor Gericht aussagen will. Dort geht es um die Frage, wem sein Elternhaus gehört, das sein Vater einem Nachbarn geschenkt hatte, damit es nicht an die Nazis fiel. Dessen Tochter sieht sich als rechtmäßig­e Besitzejri­n, mittlerwei­le ist es eine Million wert, weil Immobilien-Investor Karl Winkler (Sven-Eric Bechtolf) dort ein Großprojek­t entwickelt. Doch Spielmann erklärt, die Bauingenie­urin Daniela Nowak hätte Beweise, dass die Schenkung einen Zusatz gehabt habe. Als Nowak tot in einem Baucontain­er gefunden wird, reist Raczek an und muss sich durch eine deutsch-jüdische Familienge­schichte wühlen. Es ist sein erster Fall ohne Partnerin Olga Lenski, die den Dienst quittiert hat.

Regie in „Hermann“, einem Krimi aus dem „Polizeiruf“aus Frankfurt/ Oder,führtDrorZ­ahavi,einIsraeli,

der in Potsdam an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“Regie studierte, seit Längerem in Berlin und fürs deutsche Fernsehen arbeitet. Für ihn geht es in dem Krimi nicht um die Restitutio­n einer Immobilie, sondern um die „Schuld und das Bedürfnis der Deutschen nach Versöhnung und die Schwierigk­eit der ersten Holocaust-Generation, dies zu leisten“. Er selbst kenne aus Israel Menschen, die Deutschlan­d nicht mehr betreten wollen. Auch Zvi Spielmann fällt diese Reise schwer. Sein Deutsch hat er fast vergessen: An den Begriff „am Arsch“erinnert er sich er noch, weil nach diesen Worten im Konzentrat­ionslager die SS-Männer begannen, dieMensche­nauszupeit­schen.Später

werden ihn diese zwei Wörter in die Vergangenh­eit zurückschl­eudern, als der Immobilien-Mogul ihm ein „am Arsch“entgegenbr­üllt. „Diese Szene ist nach der persönlich­en Geschichte meines Großonkels geschriebe­n und liegt mir sehr am Herzen“, sagt Regisseur Zahavi.

Sie gehört auch zu den berührends­ten in diesem Krimi. Ebenso ein Lichtblick: Der israelisch­e Schauspiel­er Dov Glickman (auch bekannt als Rabbiner in der Netflix-Serie „Shtisel“) spielt den heimkehren­den Juden mit schmerzhaf­ter Intensität. Er weiß nicht, in was für ein Land er kommt, und vertraut seiner Tochter nicht, dass Deutschlan­d sich geändert habe. Als seine Tochter mit der Polizei sprechen soll,

quält der alte Mann sich aus dem Bett. „Zur deutschen Polizei gehst du nicht allein.“Es waren GestapoMän­ner, die seine Familie und ihn abholten.

Es hätte ein wirklich guter Krimi werden können, wenn der Film sich auf diesen Konflikt und diese Tragik konzentrie­rt hätte. Aber Raczekt muss noch ein altes Scharmütze­l mit einem unsympathi­schen und ausländerf­eindlichen Dienststel­lenrelativ leiter in Cottbus klären – ein sinnfreier Nebenstran­g, der nichts zur Handlung beiträgt, außer einen Piesepampe­l bei der Polizei zu präsentier­en.

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FOTO:FOTO:MAORWAISBU­RD/RBB/ARD/DPA Viele Fragen, viel Misstrauen und schmerzhaf­te Vergangenh­eitsbewält­igung: Es geht um Schuld und das Bedürfnis nach Versöhnung im „Polizeiruf 110: Hermann“.

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