Scholz spricht schon von Wiederwahl
Die Sozialdemokraten stimmen für den Koalitionsvertrag. Eine Aufgabe muss der künftige Kanzler noch lösen: Wer darf ins Kabinett?
BERLIN Wer in der SPD Minister werden will, hatte am Wochenende besser sein Handy voll aufgeladen und mit laut eingeschaltetem Klingelton neben sich liegen. „Hallo, hier ist Olaf, ich habe mir überlegt, dass du...“, so ähnlich könnten die Gespräche begonnen haben, die der nächste Kanzler Olaf Scholz mit jenen Auserwählten führen wollte, die er für die SPD in sein Kabinett holt. Am Montagmorgen sollten die Personalien offiziell in den Parteigremien verkündet werden.
Acht Regierungstickets haben die Sozialdemokraten sich in den Verhandlungen mit Grünen und FDP gesichert, inklusive Kanzler Scholz. Als gesetzt galten nur Hubertus Heil (bisher Ressort Arbeit, wo er bleiben oder von wo er doch ins Verteidigungsministerium wechseln könnte), Wolfgang Schmidt (Kanzleramtsminister) und Svenja Schulze (bisher Umwelt, wahrscheinlich Bau). Hoher öffentlicher Druck lastete auf Scholz bei der Besetzung des Gesundheitsministeriums, in der Pandemie das Schlüsselressort. Viele wünschen sich den „Corona-Professor“Karl Lauterbach auf dem Posten. In der SPD ist der Gesundheitsexperte aber umstritten. Scholz ist bekannt dafür, dass der öffentliche Mainstream ihn eher weniger interessiert.
Am Samstag waren viele Spitzengenossen beim Sonderparteitag im Willy-Brandt-Haus in Berlin, wo der Koalitionsvertrag von den SPD-Delegierten mit fast 99 Prozent angenommen worden war. Am Rande wurden erste Geheimgespräche geführt, die über das Wochenende in viele Telefonate mündeten.
Angesichts des Paritätsversprechen von Scholz (siehe Infokasten) meldeten sich in der SPD gewichtige Gegenstimmen zu Wort, die den designierten Bundeskanzler warnten, den Paritätsgedanken in den eigenen Reihen auf die Spitze zu treiben. So sei aufgrund des Geschlechterproporzes bereits die
Bundestagsspitze an Bärbel Bas gegangen.
Beim Parteitag am Samstag betonte Scholz, dass er als Kanzler der ersten Dreierkoalition auf Bundesebene keine Episode sein wolle. Der 63-Jährige will mindestens acht Jahre lang regieren, die Wiederwahl 2025 ist sein erklärtes Ziel. Der Aufbruch, den SPD, Grüne und FDP Deutschland bei Klimaschutz, Wirtschaft und Digitalem geben wollten, sei in vier Jahren nicht getan. „Wir müssen dranbleiben, wollen wiedergewählt werden.“Seine Kanzlerschaft sei keine Selbstverständlichkeit. Scholz zog lange Linien. Generationen seien im Gefühl aufgewachsen, der Staat gehöre der CDU. Brandt, Schmidt und Schröder hätten jeweils das Machtabo durchbrochen, für gesellschaftlichen Aufbruch gesorgt: „Ein solcher Aufbruch soll uns wieder gelingen.“
Der künftige Generalsekretär Kevin Kühnert soll auf Wunsch der SPD-Spitze frühzeitig mit der Vorbereitung der Wiederwahlkampagne von Olaf Scholz für das Jahr 2025 beginnen. „Kevin Kühnert hat schon als Juso-Vorsitzender gezeigt, dass er gut Kampagnen organisieren kann. Die nächste Kampagne, die er organisieren wird, ist die Wiederwahl von Olaf Scholz“, sagte der designierte SPD-Chef Lars Klingbeil dem „Tagesspiegel“.
Lars Klingbeil, Saskia Esken, Kevin Kühnert und die fünf Vizevorsitzenden sollen am kommenden Sonntag bei einem weiteren SPDParteitag gewählt werden. Olaf Scholz soll bereits an diesem Mittwoch im Bundestag zum Kanzler und Nachfolger von Angela Merkel gewählt werden. Am Freitag will er seine erste Auslandsreise nach Brüssel und Paris unternehmen. Kühnert war in der Vergangenheit erklärter Gegenspieler von Scholz.
Der Start der Ampel verlief bislang nicht so geräuschlos, wie Scholz sich das erhoffte. Weil die FDP unbedingt aus dem Pandemie-Reglement der alten Bundesregierung aussteigen wollte, wirkte
Scholz während der Koalitionsverhandlungen zeitweise wie gefesselt. Erst in den Beratungen mit den Ministerpräsidenten befreite er sich, ging mit der Ansage einer allgemeinen Impfpflicht und harten 2G-Vorgaben voran, nahm seine Führungsrolle voll an. Die beschlossenen Einschränkungen seien „schwer zu ertragen“, sagte Scholz. Doch zu viele Deutsche seien noch ungeimpft. Bis Weihnachten strebt er bis zu 30 Millionen Impfungen an. Als Kanzler stehe er dafür, dass die neue Regierung sich nicht wegducke. Die vierte Welle müsse gebrochen werden.
Trotz der Pandemie wolle die Ampel das Land verändern und modernisieren: „Liebe Genossinnen und Genossen, stimmt dem Koalitionsvertrag zu, lasst uns mehr Fortschritt wagen“, ruft er. Für seine 28-Minuten-Rede wird er im Willy-Brandt-Haus gefeiert. Am Ende wird der Koalitionsvertrag mit einer überwältigenden Mehrheit von 98,8 Prozent angenommen. Bei 608 abgegebenen Stimmen gibt es 598 Ja- und nur sieben Nein-Stimmen. „Nun fangen wir mit der Arbeit an“, freut sich Scholz.