„In einer existenziellen Situation“
Die Co-Vorsitzende der Linken über die Folgen der Wahlniederlage ihrer Partei.
Frau Wissler, wäre die Linke gerade gerne Teil der Bundesregierung? In diesen Corona-Zeiten ist Opposition doch gar nicht so schlecht, oder?
WISSLER Natürlich würden wir gerne die Politik mitbestimmen und Einfluss darauf nehmen, dass es Millionen Menschen besser geht. Es ist genug Geld da in diesem Land, doch es bleibt falsch verteilt. Wer die Reichen schont, versündigt sich an denen, die wenig oder nichts haben. Mit der Ampel wird es keine Umverteilung von oben nach unten geben und keine Vermögensteuer. Wir brauchen aber dringend eine andere Steuerpolitik, um in Klimaschutz zu investieren, die Schulen und Krankenhäuser besser auszustatten und die Armut zu bekämpfen. Wer dazu noch die Schuldenbremse für sakrosankt erklärt, hat kein Geld, diese großen Zukunftsthemen zu finanzieren.
Kommt Deutschland in diesem Corona-Winter noch an einem Lockdown vorbei?
WISSLER So wie es jetzt aussieht: Nein. Aber man hätte es verhindern können. Diese vierte Welle war vermeidbar. Wir haben die Impfstoffe, und wir haben die Erfahrung aus den ersten drei Wellen. Entgegen allen Warnungen hat die Bundesregierung zugeschaut, wie die Infektionszahlen anstiegen. Die Schließung der Impfzentren und die Abschaffung der kostenfreien Tests waren ein Fehler und haben dazu beigetragen, dass die Lage außer Kontrolle geriet. Jetzt muss das öffentliche Leben in weiten Bereichen
wieder heruntergefahren werden. Großveranstaltungen gehören abgesagt. Es geht nicht, dass man in einer Lage wie dieser 15.000 Zuschauer in ein Fußballstadion lässt.
Auch Schulen und Kindertagesstätten?
WISSLER Kinder sollten absolute Priorität haben. Es kann nicht sein, dass das Weihnachtsshoppen fröhlich weitergeht, aber Schulen schließen müssen. Aber ich befürchte, man kann derzeit gar nichts ausschließen. Denn leider wurde versäumt, die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, um die Kinder in den Schulen zu schützen. Wir haben immer noch viel zu wenige Luftfilter in den Klassenzimmern. Die hätte man längst flächendeckend haben können.
Ist Ihre Partei in der Existenz gefährdet?
WISSLER Wir sind in einer schwierigen und durchaus existenziellen Situation. Das Wahlergebnis war desaströs. Aber: Es gibt uns noch. Und: Die Linke wird gebraucht. Wir sind die Opposition von links zu einer Ampel, die viele Zukunftsprobleme nicht lösen wird. Die Vielstimmigkeit der Linken, die den Eindruck von Zerstrittenheit erzeugt, müssen wir überwinden und sozial gerecht Alternativen aufzeigen. Wenn wir mit einander widersprechenden Positionen in der Öffentlichkeit stehen, haben wir ein Problem. Nach der Linken gefragt, muss das klare Bild sein: Die Linke, das ist die Gerechtigkeitspartei, die will, dass Pflegekräfte mehr Geld verdienen, die sich für bezahlbare Mieten einsetzt, die Armut bekämpfen und Reichtum gerecht verteilen will. Daran müssen wir arbeiten.
Entscheiden die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und im Saarland über die Existenz der Linken?
WISSLER: Das sind wichtige Wahlen, und wir können in allen Ländern den Einzug in die Landtage schaffen. Gerade dieses Wahljahr hat ja gezeigt, wie volatil die Stimmung ist und welche Aufs und Abs es in den Umfragen geben kann. Wir haben eine Chance, wenn wir uns profilieren können als moderne Gerechtigkeitspartei, die für soziale und demokratische Rechte, Klimaschutz und Frieden eintritt.