Rheinische Post

Ein Goldfisch namens Trifonov

Der grandiose russische Pianist und das Orchestra di Santa Cecilia aus Rom beschworen in der Tonhalle den Geist der Wiener Klassik.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF In diesen Zeiten sind Trickreich­tum und Improvisat­ionsgabe dringend vonnöten – nicht um eine Verordnung zu umgehen, sondern um das Unmögliche möglich zu machen. So war es jetzt auch beim sehnsüchti­g erwarteten Gastkonzer­t des Orchestra dell'Accademia di Santa Cecilia aus Rom. Italiens bestes Orchester sollte im Heinersdor­ff-Konzert in der Tonhalle auftreten, doch die römischen Behörden hatten Probleme mit dessen Ausreise – die Musiker wollten ja ins Hochrisiko­land Deutschlan­d reisen.

Also Plan B: Chefdirige­nt Antonio Pappano und Heinersdor­ff-Geschäftsf­ührer Burkhard Glashoff ermittelte­n ein neues Programm und verschlank­ten die Besetzung: die fett spätromant­ische Symphonie Nr. 1 e-Moll von Sibelius und Brahms` Klavierkon­zert Nr. 1 d-Moll raus, Mozarts „Jeunehomme“-Klavierkon­zert und Beethovens tänzerisch-ekstatisch­e Siebte in A-Dur rein. Das Orchester mietete eine Chartermas­chine und verpflicht­ete sich, dass die Musiker nur im Hotel essen und überdies ein strenges Hygienekon­zept befolgen würden. Und spielen würden sie mit Maske – Bläser ausgenomme­n. Die Behörden stimmten zu, das Orchester durfte ausreisen.

Der doppelte Tausch war alles andere als ein Nachteil. Antonio Pappano ist gewiss kein Kostveräch­ter – er könnte auch einen Beethoven nach Sibelius klingen lassen, wenn er das wollte. Aber diese Siebte hat in seiner Interpreta­tion wahrhaft klassische­n Schliff, was keine Domestizie­rung bedeutet, im Gegenteil: Vor allem im Scherzo und im Finale klingt sie nach den ausgelasse­nen Saturnalie­n der alten Römer, wenn auch ohne den Konsum schweren Falerner-Weins.

Das Orchester musiziert straff, aber nicht stramm; Pappano sorgt dafür, dass bei allem Brio das Melodische nicht flöten geht. Die römischen Streicher legen sich ins Zeug, und die Holzbläser huldigen dem Gott des Lyrischen. Inmitten aller Turbulenz ein geradezu totenbleic­her langsamer, aber nicht schleppend­er Satz, mit der fasziniere­nden und durchaus gewaltigen Atmosphäre einer Trauerproz­ession. Das Finale fliegt einem um die Ohren. Von diesem Abend an könnte man Beethoven Siebte seine „Italienisc­he“nennen.

Vor der Pause gibt es die Begegnung mit einem Ausnahme-Pianisten: dem Russen Daniil Trifonov. Wir haben ihn fasziniert schon mit Chopin,

Skrjabin und Liszt gehört, neulich schenkte er der staunenden Musikwelt eine persönlich­e Platte mit lauter Kleinigkei­ten der Familie Bach; die CD rief die Illusion eines in die Romantik transferie­rten Cembalos oder eines erwachten Hammerklav­iers hervor. Und nun spielt er also Mozart: das „Jeunehomme“Konzert Nr. 9 in Es-Dur KV 271. Eigentlich

heißt es ja „Jenamy“-Konzert, benannt nach einer virtuosen Pianistin aus Mozarts Freundeskr­eis.

Trifonovs Mozart ist kein Blitzlicht­gewitter, keine brillante Demonstrat­ion. Was es hier an Geläufigke­it vorzuführe­n gibt, das erledigt der Pianist eher nebenbei. Trifonov gelingt es, die verspielte Gelassenhe­it

des Werks mit einer Art seriöser Erhabenhei­t zu überwölben, als sei es kein frühes, sondern ein reifes Werk Mozarts, sozusagen mehrere Hundert Nummern später im Köchel-Verzeichni­s positionie­rt.

Dieses famose, in jungen Jahren bereits geläuterte Klavierspi­el scheint an den größten Meistern geschult; ergreifend, wie sich Trifonov im langsamen c-Moll-Satz, einsam seine Bahnen ziehend, an Mozarts Traurigkei­t verliert. Wie schön und passend, dass er als Zugabe Carl Philipp Emanuel Bachs c-Moll-Rondo wählt, das ja in unbekannte Ausdrucksz­onen hineinlaus­cht.

Pappano, der selbst ein glänzender Pianist ist, legt Mozarts Orchesterp­art als die spannende Landschaft eines Aquariums an, in dem ein Goldfisch namens Trifonov schwimmt. In einem solch exquisit ausgeleuch­teten Szenario finden sämtliche toten und lebenden Beteiligte­n aus Rom, Wien, Moskau und Salzburg in Düsseldorf beispielha­ft zusammen. Das Resultat: dankbarste­r Beifall.

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FOTO: DARIO ACOSTA/HEINERSDOR­FF Der russische Pianist Daniil Trifonov.

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