Das kleine große Glück
Tatjana Franz baute sich gemeinsam mit ihrem Freund ihr eigenes Tiny House und zog aufs Land. So lebt es sich auf 23 Quadratmetern.
Vor zwei Jahren packte die 24-jährige Tatjana Franz gemeinsam mit ihrem Partner ihre Siebensachen und zog aufs Land nach Sachsen – genauer gesagt in ein Tiny House. Statt einer 60-Quadratmeter- Wohnung in der Innenstadt Hannovers nennt sie nun einen kleinen, umgebauten Schaustellerwagen mitten in der Natur ihr Zuhause.
Die Suche nach den eigenen vier Wänden
Tatjana hatte schon länger das Gefühl, rauszumüssen. Raus aus ihrer Straße, in der nur ein einzelner Baum steht, und rein ins Grüne zu Wiesen und Wäldern. Die Wohnung in Hannover, in der sie zusammen mit ihrem Freund lebte, war nach ihrem Geschmack viel zu groß für zwei Menschen, die doch eigentlich gar nicht so viel brauchten. „Im Schlafzimmer waren wir sowieso nur zum Schlafen und unser großer Flur war einfach verschenkter Platz“, erinnert sie sich. In ihrem Geografie-Studium lernte sie dann alternative Wohnkonzepte kennen. In ihr wuchs der Wunsch, selbst in einem Tiny House zu wohnen, aber mehr noch: selbst eines zu bauen.
Bevor es aber mit dem Bau losgehen konnte, musste sehr viel geplant werden. Die beiden verbrachten viel Zeit damit, einen geeigneten Wagen zu finden, der sich gut in ein mobiles Tiny House verwandeln lassen würde. Die meisten dieser Behausungen werden auf Autoanhängern gebaut, diese dürfen dann aber maximal 3,5 Tonnen tragen. Zu wenig für Tatjana, der dicke Wände und eine gute Dämmung wichtig sind. Also musste ein Lkw- Anhänger her, auf dem man bis zu 10 Tonnen verbauen kann.
Nach langer Suche fand sich ein über 40 Jahre alter Schaustellerwagen, den die beiden dann ein halbes Jahr lang von morgens bis abends umgebaut haben. Anfangs war das Handwerkliche für Tatjana gar nicht so leicht zu stemmen, doch mit jeder verbauten Holzlatte wurde sie besser und lernte dazu.
Insgesamt steckte das Paar 25 000 Euro in sein neues Heim, was drei Jahresmieten für die damalige Wohnung entsprach. Eigenen Berechnungen zufolge werden sie das Geld nach fünf Jahren „abgelebt“haben, denn die Nebenkosten im Tiny House sind gering, und sobald man selbst baut, ist das Projekt Tiny House vergleichsweise günstig: „Lässt man es hingegen bauen, kann es schon sehr teuer werden. Vor allem wenn man viele Sonderwünsche hat“, erklärt Tatjana.
In Deutschland ist es übrigens nicht möglich, autark zu bauen, ihr kleines Haus ist also ganz normal an Wasser und Strom angeschlossen.
Als das Tiny House endlich stand, war es ein Erfolg: „Ich konnte endlich sagen: Jetzt ist es meins! Und es ist unglaublich schön“, freut sich Tatjana. Und wenn der Garten zum zweiten Wohnzimmer wird, findet man auch zu dritt im 23 Quadratmeter kleinen Haus genügend Platz – eine Katze gehört nämlich ebenfalls zu den festen Bewohnern.
Der Alltag auf engstem Raum funktioniert
Die Küche bildet das Herzstück im Minihaus, denn Tatjana liebt es zu kochen und einzumachen. Alles andere wurde „drum herum“gebaut: Das Bad ist eine kleine Kammer, aber für die zwei ausreichend. „Wir sollten Räume neu denken, immer mit dem Gedanken, was wir wirklich brauchen.
200 Quadratmeter wird kaum jemand wirklich zum Leben benötigen“, findet Tatjana.
Einsam fühlt sie sich in ihrer Bleibe auf dem Land nicht. Sie hat viele Kontakte auf Social Media und auch das Zusammenleben mit dem Partner läuft gut. Was hilft, ist der synchronisierte Tagesablauf: Sie stehen zur selben Uhrzeit auf, er geht zur Arbeit, sie ins Büro. Tatjana hat nach ihrem Bachelorstudium angefangen, BWL zu studieren, und gründete einen Online-Shop für nachhaltige Haushalts- und Küchengeräte. Dafür braucht Tatjana Platz und Räumlichkeiten, um die ganzen Sachen zu lagern. Wenn es dann mal ins Homeoffice geht, helfen ihr gute Kopfhörer, um bei der Sache zu bleiben.
Einen Nachteil sieht Tatjana nur im nicht vorhandenen Flur, da so der ganze Schmutz mit in das Häuschen getragen wird. „Aber mit einmal fegen hat es sich dann“, erklärt sie lachend. Auch fehle eine Abstellkammer, um ein paar Dinge zu verstecken – wodurch man aber gleichzeitig gezwungen wird, häufiger aufzuräumen. Ändern würde Tatjana nach zwei Jahren in ihrem Tiny House aber kaum etwas. Nur die Schiebetüren würden manchmal stören, da sie nicht genau in den schiefen Bauwagen passen. „Wenn dann Besuch auf der Toilette ist, kann es schon mal unangenehm werden.“Durch den kleinen Raum ist eben alles ein bisschen hellhöriger. Für Partys oder Besuch im großen Stil ist im Tiny House definitiv kein Platz. Größere Treffen finden daher nur im Sommer statt. Dann
wird sowieso viel Zeit draußen im zweiten Wohnzimmer verbracht.
Minimalismus hat im Tiny House eine große Bedeutung. Es ist einfach kein Platz für unüberlegte Spontankäufe oder Dinge, die man gar nicht braucht. Seit sie in einem Tiny House wohnt, hat Tatjana das Gefühl, noch
nachhaltiger geworden zu sein. In dem kleinen Häuschen verbraucht
sie sehr wenig Ressourcen. Weniger Fläche bedeutet weniger Licht, das man anmacht, und weniger Strom, den man verbraucht.
Tiny Houses werden immer mehr zum Trend. Doch sich in Deutschland den Traum vom Minihaus zu erfüllen, ist gar nicht so einfach. Hierzulande benötigt man einen dauerhaften festen Wohnsitz, dazu eine Baugenehmigung zum Aufstellen des Tiny House auf einem Grundstück. Man darf sich – anders als in den USA – nicht einfach niederlassen, wo es einem gefällt. Obendrein lässt sich das Leben im Tiny House, abgelegen auf dem Land, für viele
nur schwer mit dem Job vereinbaren.
„Die Jahreszeiten bewusst wahrnehmen“
Aber genau das macht Tiny Houses ja auch aus: Leben in und mit der Natur. Tatjana hat darin ihr kleines großes Glück gefunden: „Am meisten schätze ich es, die Jahreszeiten bewusst wahrzunehmen. Ich beobachte morgens die Vögel, wie der Schnee fällt und höre nachts den Regen auf das Dach prasseln. Ich habe das Gefühl, viel näher an der Natur dran zu sein.“