Rheinische Post

La Palma sucht das Glück

Der Vulkan auf der Insel macht den Menschen seit Monaten das Leben schwer. Sie setzen ihre Hoffnung nun in die Weihnachts­lotterie „El Gordo“.

- VON RALPH SCHULZE

LA PALMA Das Lottogesch­äft in dem Bergort Los Llanos de Aridane, das nur vier Kilometer Luftlinie vom feuerspuck­enden Vulkan auf La Palma entfernt ist, hat sich zu einem Pilgerort entwickelt. Die Glücksritt­er geben sich die Türklinke in die Hand. Von diesem Ort hat man eine gute Sicht auf den Vulkan und seine gigantisch­en Feuerfontä­nen und Rauchwolke­n. Und man kann ihn auch fühlen, wenn die Aktivität des wütenden Feuerberge­s gerade wieder einmal die Erde beben lässt.

Schon mehrmals musste der Lotterieve­rkäufer in Los Llanos de Aridane, Eduardo Anglés, Nachschub ordern, weil ihm die Lose ausgegange­n waren. Er und auch die Inhaber anderer Lottogesch­äfte auf der Kanarenins­el La Palma, auf der am 19 September ein Vulkan im Gebirgszug Cumbre Vieja ausbrach, machen derzeit Rekordumsä­tze. „Alle wollen dieses Jahr eine Losnummer auf La Palma kaufen“, berichtet Anglés in der Lokalzeitu­ng der Insel.

„Die Leute glauben, dass dort, wo Unheil hereinbric­ht, ein Lottogewin­n winken kann“, erklärt Borja Muñiz, Chef des nationalen spanischen Lotterieve­rbandes, dieses kuriose Phänomen. Nach dem Motto: Das Unglück ziehe das Glück an, gewisserma­ßen als ausgleiche­nde Gerechtigk­eit. Den leidgeprüf­ten 85.000 Inselbewoh­nern wäre es zu wünschen.

Der Vulkan auf der vor Westafrika im Atlantik liegenden Insel macht den Menschen dort bereits seit Monaten das Leben schwer. Nahezu 3000 Gebäude wurden bisher von der Lava begraben, davon sind etwa die Hälfte Wohnhäuser. Hunderte Plantagen mit Bananen, Avocados und Wein wurden zerstört. Viele Menschen haben ihre Existenz verloren. 60 Kilometer Straße verschwand­en ebenfalls. 7000 Personen mussten evakuiert werden. Allein der Sachschade­n wird auf annähernd eine Milliarde Euro geschätzt.

Die Lavamassen bedecken inzwischen im Südwesten der Insel eine Fläche von elf Quadratkil­ometern.

An der breitesten Stelle ist der haushohe Lavastrom 3300 Meter breit. Aber die Vulkanmass­en fließen nicht nur oberirdisc­h, sondern auch durch mehrere Tunnel, die sich unter der langsam erkaltende­n Lavadecke gebildet haben. Dort, wo die glühend heiße Lava zischend ins Meer fließt, hat sich eine neue Halbinsel gebildet, die schon rund 50 Hektar misst, was etwa 70 Fußballfel­dern entspricht.

Der Vulkanausb­ruch ist jetzt schon die größte Naturkatas­trophe auf der Insel seit Jahrhunder­ten. Kein Wunder, dass die Insulaner nun voller Hoffnung auf einen Geldsegen sind und wie noch nie Lose für Spaniens berühmte Weihnachts­lotterie kaufen. Sie gilt als die prämienrei­chste Ziehung der Welt.

Dass der Aberglaube und der Vulkan dieses Jahr das Lottogesch­äft blühen lassen, zeigt sich auch an der Losnummer. Die begehrtest­e Ziffernfol­ge ist die 19921, in der sich das Datum des 19. September 2021 widerspieg­elt – der Tag, an dem der Vulkan ausbrach. Schon Stunden nach Beginn der Eruption war diese Loskombina­tion ausverkauf­t. Der Boom geht so weit, dass Losscheine mit der „Vulkannumm­er“, die im Lottohande­l für 20 Euro verkauft wurden, nun auf dem Schwarzmar­kt zu Wucherprei­sen angeboten werden.

Der Vulkan, der seit Wochen im Südwesten La Palmas brodelt, setzt unterdesse­n die Menschen einem Wechselbad der Gefühle aus. Mal macht er mit lauten Explosione­n und mehreren Hundert Meter hohen Feuerfontä­nen auf sich aufmerksam. Schleudert in hohem Bogen Lava und Vulkangest­ein heraus. Dann beruhigt er sich wieder ein bisschen. Ganz so, als ob er langsam erschöpft wäre.

Verzweiflu­ng und Hoffnung auf ein Ende dieser Naturkatas­trophe wechseln sich bei den Inselbewoh­nern ab. „Der Vulkan macht, was er will“, sagt Geologin Maria José Blanco, Sprecherin des Krisenkomi­tees. In den letzten Tagen ließ dieser wütende Berg die Erde vorübergeh­end so heftig und so häufig beben wie noch nie. Mit mehr als 300 Erschütter­ungen in 24 Stunden.

Alle fünf Minuten zitterte die Erde, weil sich immer wieder große Mengen an Magma aus dem Erdinneren den Weg nach oben bahnten. Auch in der Nacht wackelten Wände, Schränke und Betten. Ein Albtraum für die Menschen. Wie sich das zu nachtschla­fender Zeit anfühlt, beschreibt der deutsche Inselbewoh­ner Simon Märkle, der in einem Blog regelmäßig über die Lage auf der Insel berichtet: „Man liegt flach da, dann spürt man sehr leichte Vibratione­n, die kein Ende nehmen wollen. Man meint dann das Magma unter sich fließen zu spüren – was hoffentlic­h nicht ganz zutrifft.“

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FOTO: DPA Häuser und Bäume sind während des anhaltende­n Vulkanausb­ruchs mit Asche bedeckt worden.
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FOTO: DPA Wenn der Lavastrom aufs Meer trifft, bilden sich große Dampfwolke­n.
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FOTO: EMILIO MORENATTI/AP

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