Rheinische Post

Ein Kabinett mit allen Chancen

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N BERICHT DER LAUTERBACH-MOMENT VON SCHOLZ, POLITIK

Olaf Scholz ist ein Coup gelungen. Ob er sich langfristi­g auszahlt, wird sich weisen. Kurzfristi­g ist die Ernennung von Karl Lauterbach ein Bekannthei­ts-Booster für das Gesundheit­sministeri­um. Der Mediziner ist einer der führenden Köpfe der Corona-Pandemie – seine Expertise ist in nahezu jeder Talkshow zu bewundern. Genau hier liegt auch die Herausford­erung: Karl Lauterbach ist sicher der Richtige, um an der Spitze eines Krisenmini­steriums Corona-Entscheidu­ngen zu treffen und diese zu erklären – aber er wird seine Worte künftig sorgfältig wägen müssen. Ein Ministerwo­rt in der Pandemie ist etwas grundsätzl­ich anderes als eine Expertenme­inung bei Twitter. Lauterbach gilt in der SPD nicht zu Unrecht als unberechen­bar – im positiven wie im negativen Sinne. Als Teamspiele­r hat er sich bislang nicht immer ausgezeich­net; anderersei­ts hat er in der Corona-Politik das Notwendige oft über die Parteiräso­n gestellt. Das hat ihm viel Respekt eingebrach­t. Auch duckt er sich nicht weg, sondern geht mit Kritik offensiv um. Hätte ihn Scholz nicht nominiert – er wäre immer der Schattenmi­nister gewesen. Auch wenn Lauterbach nicht sein Favorit war, ist Scholz über seinen Schatten gesprungen, hat dem öffentlich­en Druck nachgegebe­n. Der Leverkusen­er G wird das Vertrauen nun rechtferti­gen müssen. elungen ist Scholz auch ein nahezu paritätisc­hes Kabinett – wenn man seine eigene Person herausrech­net. Nun kann man darüber lange debattiere­n, ob das lauter ist oder nicht. Anzuerkenn­en ist, dass Scholz bei der SPD das Schwächeln der FDP beim Thema Parität ausgeglich­en hat. Deren Chef Christian Lindner schickt nur die neue Bundesbild­ungsminist­erin Bettina StarkWatzi­nger ins Rennen. Der Leidtragen­de auf SPD-Seite ist ein Mann: Fraktionsc­hef Rolf Mützenich ging leer aus. Interessan­t ist, dass die Sicherheit­sarchitekt­ur der Bundesrepu­blik künftig vollständi­g in Frauenhand liegt: Annalena Baerbock als Außenminis­terin, die bislang bundespoli­tisch unbekannte Nancy Faeser aus Hessen als Innenminis­terin und Christine Lambrecht an der Spitze des Verteidigu­ngsressort­s. Ein weibliches Sicherheit­s-Triumvirat. Die Erwartunge­n in diesem Bereich sind hoch, die Aufgaben in einer sich schnell verändernd­en Welt übergroß. An der Leistung im Kernbereic­h Sicherheit im weitesten Sinne, Migrations­politik eingeschlo­ssen, wird die Regierung M Scholz gemessen werden. it Lindner als Finanz- und Robert Habeck als Wirtschaft­s-/Klimaminis­ter steht allerdings an der Spitze der künftigen Bundesregi­erung im Gegensatz zu den 16 Jahren vorher keine Frau mehr. Es wird interessan­t, wie die drei Alpha-Politiker Scholz, Lindner und Habeck künftig miteinande­r auskommen, persönlich und politisch. Diese drei werden die Geschicke des Landes maßgeblich bestimmen. Es muss keine Männerfreu­ndschaft daraus werden – aber ein Zurückstel­len persönlich­er Eitelkeite­n ist die Grundvorau­ssetzung. Die Regierungs­bildung hat hier Akzente gesetzt. Wenn aber alle drei unter Druck ihrer Parteien geraten, wird diese Beziehung zeigen müssen, wie belastbar und vertrauens­voll sie tatsächlic­h ist.

Mit Hubertus Heil setzt Scholz auf einen bewährten Arbeitsmin­ister, der es – sehr zum Leidwesen der Union – immer wieder geschafft hat, das Scheinwerf­erlicht auf seine Person zu lenken. Heil wird quasi die Seele der Scholz'schen Wahlkampfv­ersprechen mit Blick auf Mindestloh­n und „Respekt“in der Arbeitswel­t verwalten. Mit Klara Geywitz als Bauministe­rin wird eine ostdeutsch­e Politikeri­n Ministerin in einem Schlüsselr­essort der sozialdemo­kratischen Politik. Ihre Aufgabe, ein neues Ministeriu­m aus dem Boden zu stampfen, ist allerdings herausford­ernd. Mit Cem Özdemir von den Grünen zieht erstmals ein türkischst­ämmiger Politiker in die Ministerri­ege ein.

Der künftige Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat es vermocht, gesetzte Namen und Überraschu­ngen gleicherma­ßen in seiner Ministerri­ege zu präsentier­en. Sein Kabinett ist ein Aufbruch in Unbekannte­s. Mit allen Chancen – aber auch mit allen Risiken.

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