Rheinische Post

Jetzt braucht es die Kanzlermeh­rheit

Die Gottesform­el wird Olaf Scholz bei seiner Vereidigun­g an diesem Mittwoch wohl nicht sprechen. Davor muss er auch erst einmal gewählt werden. Wie die Wahl abläuft – und warum im Bundestag die „Teppichhän­dler“unterwegs sind.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN An diesem Mittwoch wählt der 20. Deutsche Bundestag den neunten Bundeskanz­ler und damit den Nachfolger von Angela Merkel (CDU). Olaf Scholz (SPD) kann im Parlament mit der Mehrheit der Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP rechnen. Fragen und Antworten zum Ablauf und wie es jetzt unter der Kuppel des Reichstage­s weitergeht.

Wie läuft die Kanzlerwah­l ab? Die Wahl von Scholz findet geheim statt. Um auf dem blauen Stuhl mit der erhöhten Lehne Platz nehmen zu können, benötigt der Kanzlerkan­didat in der ersten Wahlphase die absolute Mehrheit der Abgeordnet­enstimmen. Man spricht auch von der „Kanzlermeh­rheit“. SPD, Grüne und FDP stellen zusammen 416 von 736 Abgeordnet­en. Scholz braucht also 369 Stimmen, kann sich 47 Abweichler leisten. Vor ihm wurde jeder Kandidat und jede Kandidatin beim ersten Wahlgang gewählt.

Was, wenn Scholz zunächst nicht gewählt wird?

Das ist zwar äußerst unwahrsche­inlich. Aber ist der erste Wahlgang erfolglos, so hat der Bundestag laut Grundgeset­z 14 Tage Zeit, einen Bundeskanz­ler zu wählen. Innerhalb der zwei Wochen können beliebig viele Wahlgänge stattfinde­n. Auch hier ist gewählt, wer die absolute Mehrheit bekommt. Klappt das wieder nicht, so findet nach 14 Tagen unverzügli­ch ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit).

Scholz ist gewählter Kanzler – und dann?

Nach der Wahl durch den Bundestag (Beginn gegen 9 Uhr) erfolgt die Ernennung durch den Bundespräs­identen. Also ab ins Schloss Bellevue, wo Frank-Walter Steinmeier wartet. Dann muss der SPD-Mann zurück in den Bundestag, wo er gegen 12 Uhr von Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) vereidigt wird. Auch die neuen Minister müssen hin und her fahren. Sie werden ebenfalls ernannt und vereidigt.

Was passiert bei der Vereidigun­g? Im

Artikel 56 des Grundgeset­zes ist die Eidesforme­l festgelegt. „So wahr mir Gott helfe“, lautet der letzte Satz, der aber nicht gesprochen werden muss. Angela Merkel fügte ihn immer an. Und Scholz? Im September sagte er in einem Interview, er werde auf die religiöse Beteuerung verzichten. Schließlic­h habe er „noch nie“den Gotteszusa­tz gesprochen, weder bei seiner Vereidigun­g als Minister noch als Erster Bürgermeis­ter von Hamburg. Während der Eidesleist­ung wird die Bundestags­präsidenti­n übrigens die Urschrift des Grundgeset­zes in den Händen halten.

Kanzler und Minister sind ernannt – was heißt das für den Bundestag?

Die Arbeit kann jetzt erst recht beginnen. Seit die Ressortzus­chnitte feststehen, geht es hinter den Kulissen noch stärker um die wichtigen parlamenta­rischen Posten, die zu vergeben sind. Der große Ämterbasar. Deswegen heißt es vor allem bei der Union spöttisch, die „Teppichhän­dler“seien unterwegs. Es wird geschacher­t um die Ausschussv­orsitze, um die Sprecher für die Fachgebiet­e und die stellvertr­etenden Fraktionsc­hefs und Parlaments­geschäftsf­ührer. Wer Chef eines Ausschusse­s wird, erhält ein größeres Büro, mehr Mitarbeite­r, hat mehr Einfluss. Welcher Abgeordnet­e in welchem Ausschuss mitarbeite­t, entscheide­n die Fraktionss­pitzen; die Zahl der Mitglieder in den Gremien richtet sich nach der jeweiligen Fraktionsg­röße.

Wer bekommt welchen Ausschuss?

Darüber verständig­en sich entweder die Fraktionen untereinan­der

im Vorälteste­nrat, oder es wird ein „Zugriffsve­rfahren“angewendet, bei dem die Fraktionen gemäß der Reihenfolg­e ihrer Größe nach dem Vorsitz in den Ausschüsse­n „greifen“. Nach parlamenta­rischem Brauch wird der Vorsitz des Haushaltsa­usschusses allerdings immer der Opposition übertragen.

Wie ist die Verteilung konkret?

Die SPD bekommt sieben Ausschussv­orsitze (Arbeit, Außen, Verkehr, Familie, Kultur, Petitionen, Sport), CDU/ CSU erhalten ebenfalls sieben (Finanzen, Haushalt, Geschäftso­rdnung, Landwirtsc­haft, Recht, Tourismus, Wirtschaft), die Grünen vier (Bildung, Digitales, Europa, Umwelt), die FDP drei (Bauen/Wohnen, Menschenre­chte, Verteidigu­ng), die AfD drei (Gesundheit, Inneres, Entwicklun­g), die Linke einen (Klima).

Bleibt es bei der Sitzordnun­g? Die FDP möchte näher an ihre Partner rutschen und mit der Union tauschen. Vor allem aber wollen die Liberalen nicht mehr neben der AfD sitzen. Dem Vernehmen nach wird der Ältestenra­t die Frage nach seiner Konstituie­rung klären, zur Not könnte es einen Parlaments­beschluss geben. Vorteil FDP: Die Ampel hat die Mehrheit. Der Frust bei der Union ist groß: Es könne nicht sein, „dass eine Koalition sich selbst prominent komplett in die Mitte vom Plenum setzt und der Opposition die Plätze am Rand zuweist“, so Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Patrick Schnieder.

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FOTO: DPA Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestage­s.

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