Nur jede sechste Kommune erwartet einen Überschuss
Die Corona-Krise führt in den Kommunen zu herben Einnahmeverlusten. Die Schulden steigen laut einer EY-Studie. Nun wollen Städte und Gemeinden an der Beleuchtung sparen, Bäder oder Bibliotheken schließen.
DÜSSELDORF Die Idee war gut: Im September 2020 haben Bund und Länder wegen der Folgen der Corona-Pandemie ein milliardenschweres Hilfspaket für Städte und Gemeinden beschlossen. Damit sollte verhindert werden, dass die Kommunen nicht mehr investieren konnten, was massive Folgen unter anderem für Handwerker gehabt hätte. Bei der Gewerbesteuer etwa verursachte der Einbruch der Steuereinnahmen für den Bund Mehrausgaben von rund sechs Milliarden Euro, die Länder müssten eine zusätzliche Last von 4,8 Milliarden Euro schultern.
Jetzt, 14 Monate später, muss man konstatieren, dass es vielen Kommunen trotz der Hilfen nicht gut geht. Und auch die Perspektiven sind nicht wirklich verheißungsvoll. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft EY rechnen 40 Prozent der Städte und Gemeinden in Westdeutschland mit einem Anstieg ihrer Verschuldung in den kommenden drei Jahren und nur 29 Prozent mit einer sinkenden Schuldenlast. Im Osten Deutschlands werde die Lage deutlich positiver eingeschätzt, so EY. Hier rechneten nur 14 Prozent mit steigenden und 52 Prozent mit sinkenden Schulden.
NRW liegt dabei klar über dem Bundesdurchschnitt: Fast die Hälfte der hiesigen Kommunen sieht steigende Schulden, nur jede vierte Kommune rechnet damit, dass sich die Verbindlichkeiten verringern. „Insgesamt ist die Lage extrem angespannt. Der Anteil der Städte und Gemeinden, die das laufende Jahr mit einem Haushaltsdefizit abschließen werden, steigt im zweiten Jahr der Pandemie voraussichtlich von 51 auf 55 Prozent“, erklärt EY. Im Vor-Corona-Jahr 2019 hätten nur 13 Prozent der Kommunen ein Haushaltsdefizit ausgewiesen. Umgekehrt sinkt der Anteil der Städte und Gemeinden, die einen Überschuss erwarten, auf ein Rekordtief von 17 Prozent.
Die Konsequenz: Jede vierte Kommune will auch im kommenden Jahr ihr Leistungsangebot einschränken. Dieser Anteil gilt auch für Nordrhein-Westfalen. Kürzungen treffen oft von der Stadt oder Gemeinde betriebene Freizeiteinrichtungen. Am häufigsten steht das kommunale Schwimmbad auf der Streichliste: Jede sechste Maßnahme betrifft die Schließung eines Hallen- oder Freibades oder zumindest die Einschränkung
des Betriebs. Das heißt dann meist: weniger Öffnungszeit – und das dann auch noch zu ungünstigen Zeiten. In 13 Prozent der Kommunen soll an der Straßenbeleuchtung gespart werden, jede neunte will laut EY Bibliotheken oder sonstige kulturelle Einrichtungen schließen. Gleichzeitig stößt die Möglichkeit, Kosten zu sparen, immer öfter an ihre Grenzen: „Viele Kommunen haben ihre freiwilligen Leistungen bereits stark reduziert, so dass an dieser Stelle kaum noch Einsparpotenziale bestehen. Besonders in strukturschwachen Gegenden bieten viele Kommunen inzwischen wenige Leistungen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen“, sagt EY-Experte Mattias Schneider.
Also wird an den Einnahmen gedreht – und vieles für die Bürger teurer. 70 Prozent der befragten Kommunen haben Steigerungen bei Steuern und Gebühren angekündigt. Bei jeweils 40 Prozent werden vor allem Wasserversorgung und Müllabfuhr teurer, jede dritte Stadt oder Gemeinde will die Grundsteuer anheben, drei von zehn planen das Gleiche bei der Gewerbesteuer – der wichtigsten Einnahmequelle, deren Erträge in der Pandemie empfindlich eingebrochen sind.
Auch für die Straßenreinigung, die laut EY in 28 Prozent der Kommunen voraussichtlich teurer wird, und für die Friedhofs- und Parkgebühren (18 respektive 17 Prozent) müssen die Bürger womöglich tiefer in die Tasche greifen. Erfreulich für Firmen und Eltern in NRW: Bei der Steigerung der Gewerbesteuern und der Gebühren beispielsweise für Kitas liegt das bevölkerungsreichste Bundesland deutlich unter dem Durchschnitt.
Für die betroffenen Städte sind die eigene Haushaltspolitik und die Zwänge, unter denen sie betrieben wird, ein Teufelskreis. Denn mit jeder Verschlechterung für die Bürger werden Kommunen, die ohnehin finanziell unter Druck stehen, noch unattraktiver. Sie müssen mit Wanderbewegungen der Bevölkerung rechnen, was die Einnahmen weiter sinken und den Rückstand auf die stärkeren Städte wachsen lässt.
Die aktuelle Krise zeige, „dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinandergeht“, so Schneider. Er sieht allerdings durchaus Chancen für Kommunen, ihre Position im Standortwettbewerb zu verbessern: „Kommunen können sich mit schnelleren Verwaltungsund Genehmigungsverfahren profilieren, sie können sich um EUund Bundesfördermittel bewerben und stärker mit anderen Kommunen kooperieren.“Auch der Verkauf kommunaler Beteiligungen sei „immer wieder ein Thema auf kommunaler Ebene“.
haben ihre freiwilligen Leistungen bereits stark reduziert“Mattias Schneider Haushaltsexperte bei der Unternehmensberatung EY