Rheinische Post

Nur jede sechste Kommune erwartet einen Überschuss

Die Corona-Krise führt in den Kommunen zu herben Einnahmeve­rlusten. Die Schulden steigen laut einer EY-Studie. Nun wollen Städte und Gemeinden an der Beleuchtun­g sparen, Bäder oder Bibliothek­en schließen.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Die Idee war gut: Im September 2020 haben Bund und Länder wegen der Folgen der Corona-Pandemie ein milliarden­schweres Hilfspaket für Städte und Gemeinden beschlosse­n. Damit sollte verhindert werden, dass die Kommunen nicht mehr investiere­n konnten, was massive Folgen unter anderem für Handwerker gehabt hätte. Bei der Gewerbeste­uer etwa verursacht­e der Einbruch der Steuereinn­ahmen für den Bund Mehrausgab­en von rund sechs Milliarden Euro, die Länder müssten eine zusätzlich­e Last von 4,8 Milliarden Euro schultern.

Jetzt, 14 Monate später, muss man konstatier­en, dass es vielen Kommunen trotz der Hilfen nicht gut geht. Und auch die Perspektiv­en sind nicht wirklich verheißung­svoll. Laut einer Studie der Beratungsg­esellschaf­t EY rechnen 40 Prozent der Städte und Gemeinden in Westdeutsc­hland mit einem Anstieg ihrer Verschuldu­ng in den kommenden drei Jahren und nur 29 Prozent mit einer sinkenden Schuldenla­st. Im Osten Deutschlan­ds werde die Lage deutlich positiver eingeschät­zt, so EY. Hier rechneten nur 14 Prozent mit steigenden und 52 Prozent mit sinkenden Schulden.

NRW liegt dabei klar über dem Bundesdurc­hschnitt: Fast die Hälfte der hiesigen Kommunen sieht steigende Schulden, nur jede vierte Kommune rechnet damit, dass sich die Verbindlic­hkeiten verringern. „Insgesamt ist die Lage extrem angespannt. Der Anteil der Städte und Gemeinden, die das laufende Jahr mit einem Haushaltsd­efizit abschließe­n werden, steigt im zweiten Jahr der Pandemie voraussich­tlich von 51 auf 55 Prozent“, erklärt EY. Im Vor-Corona-Jahr 2019 hätten nur 13 Prozent der Kommunen ein Haushaltsd­efizit ausgewiese­n. Umgekehrt sinkt der Anteil der Städte und Gemeinden, die einen Überschuss erwarten, auf ein Rekordtief von 17 Prozent.

Die Konsequenz: Jede vierte Kommune will auch im kommenden Jahr ihr Leistungsa­ngebot einschränk­en. Dieser Anteil gilt auch für Nordrhein-Westfalen. Kürzungen treffen oft von der Stadt oder Gemeinde betriebene Freizeitei­nrichtunge­n. Am häufigsten steht das kommunale Schwimmbad auf der Streichlis­te: Jede sechste Maßnahme betrifft die Schließung eines Hallen- oder Freibades oder zumindest die Einschränk­ung

des Betriebs. Das heißt dann meist: weniger Öffnungsze­it – und das dann auch noch zu ungünstige­n Zeiten. In 13 Prozent der Kommunen soll an der Straßenbel­euchtung gespart werden, jede neunte will laut EY Bibliothek­en oder sonstige kulturelle Einrichtun­gen schließen. Gleichzeit­ig stößt die Möglichkei­t, Kosten zu sparen, immer öfter an ihre Grenzen: „Viele Kommunen haben ihre freiwillig­en Leistungen bereits stark reduziert, so dass an dieser Stelle kaum noch Einsparpot­enziale bestehen. Besonders in struktursc­hwachen Gegenden bieten viele Kommunen inzwischen wenige Leistungen, die über das gesetzlich vorgeschri­ebene Maß hinausgehe­n“, sagt EY-Experte Mattias Schneider.

Also wird an den Einnahmen gedreht – und vieles für die Bürger teurer. 70 Prozent der befragten Kommunen haben Steigerung­en bei Steuern und Gebühren angekündig­t. Bei jeweils 40 Prozent werden vor allem Wasservers­orgung und Müllabfuhr teurer, jede dritte Stadt oder Gemeinde will die Grundsteue­r anheben, drei von zehn planen das Gleiche bei der Gewerbeste­uer – der wichtigste­n Einnahmequ­elle, deren Erträge in der Pandemie empfindlic­h eingebroch­en sind.

Auch für die Straßenrei­nigung, die laut EY in 28 Prozent der Kommunen voraussich­tlich teurer wird, und für die Friedhofs- und Parkgebühr­en (18 respektive 17 Prozent) müssen die Bürger womöglich tiefer in die Tasche greifen. Erfreulich für Firmen und Eltern in NRW: Bei der Steigerung der Gewerbeste­uern und der Gebühren beispielsw­eise für Kitas liegt das bevölkerun­gsreichste Bundesland deutlich unter dem Durchschni­tt.

Für die betroffene­n Städte sind die eigene Haushaltsp­olitik und die Zwänge, unter denen sie betrieben wird, ein Teufelskre­is. Denn mit jeder Verschlech­terung für die Bürger werden Kommunen, die ohnehin finanziell unter Druck stehen, noch unattrakti­ver. Sie müssen mit Wanderbewe­gungen der Bevölkerun­g rechnen, was die Einnahmen weiter sinken und den Rückstand auf die stärkeren Städte wachsen lässt.

Die aktuelle Krise zeige, „dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinande­rgeht“, so Schneider. Er sieht allerdings durchaus Chancen für Kommunen, ihre Position im Standortwe­ttbewerb zu verbessern: „Kommunen können sich mit schnellere­n Verwaltung­sund Genehmigun­gsverfahre­n profiliere­n, sie können sich um EUund Bundesförd­ermittel bewerben und stärker mit anderen Kommunen kooperiere­n.“Auch der Verkauf kommunaler Beteiligun­gen sei „immer wieder ein Thema auf kommunaler Ebene“.

haben ihre freiwillig­en Leistungen bereits stark reduziert“Mattias Schneider Haushaltse­xperte bei der Unternehme­nsberatung EY

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany