Milliardenklage der Rohingya gegen Facebook
Die muslimische Minderheit wird in Myanmar seit Jahren verfolgt. Das soziale Netzwerk soll mitschuld sein an der Verbreitung von Hass.
Matt Schissler hat erlebt, wie sich die Lage in Myanmar zuspitzt, wie der Hass auf Muslime – und damit auf die Minderheit der Rohingya – steigt. Er hat gesehen, wie Falschinformationen verbreitet wurden, die den Unmut gegen diese Gruppe weiter anstachelten. Und er hat gemerkt, welches Medium bei der Verbreitung gefälschter Bilder und Hetze eine zentrale Rolle spielt: Facebook.
Ab 2014, so schildern es die Journalistinnen Sheera Frenkel und Cecilia Kang in ihrem Buch „Inside Facebook“, habe der Amerikaner Vertreter von Facebook auf die Probleme aufmerksam gemacht. Das Unternehmen habe sich jedoch kaum dafür interessiert. Nun aber holt Facebook die Vergangenheit ein: Rohingya-Flüchtlinge haben Meta, den Mutterkonzern des Netzwerks, auf 150 Milliarden US-Dollar (133 Milliarden Euro) Schadenersatz verklagt. „Die unbestreitbare Realität ist, dass das Wachstum von Facebook, das durch Hass, Spaltung und Fehlinformationen angeheizt wird, Hunderttausende zerstörte Leben der Rohingya hinterlassen hat“, heißt es in den Gerichtsdokumenten.
In Myanmar spielt sich eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart ab: Seit 2016 sollen Soldaten Tausende Menschen ermordet, Dörfer zerstört und mehr als 700.000 Rohingya in die Flucht getrieben haben. Viele der Geflüchteten leben heute unter katastrophalen Bedingungen in Flüchtlingslagern in Nachbarländern.
Facebook wird seit Jahren von Kritikern vorgeworfen, der eigenen Verantwortung in diesem Konflikt nicht gerecht geworden zu sein. Denn in Myanmar haben sich Internet und Smartphones vergleichsweise spät verbreitet – und als sie sich verbreiteten, war Facebook für viele Menschen in dem Land das wichtigste Tor zur Online-Welt.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg wollte das Internet damals in jeden Winkel der Welt bringen – doch um die Konsequenzen hat sich das Unternehmen laut Frenkel und Kang lange Zeit zu wenig gekümmert. Damals hat es laut den Journalistinnen lediglich fünf Mitarbeiter bei Facebook gegeben, die Burmesisch konnten und die Inhalte der rund 18 Millionen Facebook-User in Myanmar betreuten. „Facebook hatte in Myanmar ein brennendes Streichholz in den bereits seit Jahrzehnten schwelenden ethnischen Konflikt geworfen“, schreiben die Journalistinnen der „New York Times“. Doch als Aktivisten darauf hingewiesen hätten, habe sich der US-Konzern abgewandt. Ähnliche Vorwürfe hat zuletzt auch die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen erhoben.
Laut einer Studie, über die der britische „Guardian“berichtete, soll der Facebook-Algorithmus sogar aktiv die Verbreitung von Hasspropaganda befördert haben. So habe eine Untersuchung gezeigt, dass schon das „Liken“der Fanseite des burmesischen Militärs gereicht habe, um andere promilitärische Seiten mit missbräuchlichen Inhalten empfohlen zu bekommen. Und so argumentieren auch die US-Kläger nun, dass die Algorithmen von Facebook anfällige Nutzer dazu brächten, sich extremistischen Gruppen anzuschließen.
Ob die Kläger Erfolg haben, ist ungewiss. Eigentlich haften Unternehmen wie Facebook laut US-Recht nicht für die Inhalte ihrer Nutzer. Daher blieb es bislang auch lediglich bei kritischen Fragen, wenn es um die Rolle von Facebook in Myanmar ging. Bereits 2018 wollte ein US-Senator bei einer Anhörung von Mark Zuckerberg wissen, warum man die problematischen Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden habe entfernen können. Videomitschnitte zeigen, wie Zuckerberg von einer „furchtbaren Tragödie“spricht und davon, dass mehr getan werden müsse. Eine Erklärung für das Versagen des Konzerns nannte er aber nicht.