Texthelden-Klassiker
In dieser Reihe stellt die Jugendredaktion ihre liebsten Bücher vor. Heute: „Der Sandmann“von E.T.A. Hoffmann.
Mit dem Erscheinungsjahr 1816 zählt „Der Sandmann“von E.T.A. Hoffmann zwar zur etwas älteren, dafür aber nicht zur verstaubten oder gar langweiligen Weltliteratur. Es handelt sich um eine interpretationsreiche Erzählung aus der Schwarzen Romantik, die sich mit den Themen Traum, Wahn, Realität und nicht zuletzt auch mit der Liebe auseinandersetzt.
Im „Sandmann“erzählt Hoffmann vom Studenten Nathanael, der sich von dem mysteriösen Wetterglashändler Coppola verfolgt fühlt. In Letzterem meint er den verhassten Advokaten Coppelius aka „der Sandmann“zu erkennen: eine teuflische Abbildung des absolut Bösen, der für die traumatischen Erinnerungen aus Nathanaels Kindheit verantwortlich ist. Doch nicht nur Nathanael selbst wird von seinen Ängsten zerfressen, auch die Beziehungen zu seiner Verlobten und seiner Familie müssen darunter leiden.
Als Vertreter der Schauerromantik passt der Sandmann wunderbar in die dunkle Jahreszeit. Er sorgt ordentlich für Gänsehaut und kann konträr zu modernen Horrorfilmen mit deutlich hochwertigeren, weniger platten Story-Elementen punkten. Nicht zuletzt kommt der Sandmannhorror auch ziemlich absonderlich und grotesk daher: Wunderliche (Glas-)Augen und als Menschen getarnte Automaten an Stelle von Zombies und jeder Menge Blut. Immer wieder stehen die Leserinnen und Leser dabei zudem vor der Frage, ob es sich bei Nathanaels Erlebnissen um bloße Auswüchse seiner wahnsinnigen Fantasie oder doch um die Realität handelt.
Wer Gefallen an verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten findet, wird den „Sandmann“lieben. Das ständige Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Fiktion schafft bei Leserinnen und Lesern ein merkwürdig faszinierendes Gefühl des Hinund-Hergerissenseins. Schlussendlich bleibt so ein bitterer, von Zweifeln durchdrungener und doch seltsam süßer Nachgeschmack übrig, der zumindest für mich den Inbegriff einer schaurig-schönen Horror-Erfahrung ausmacht.