Wer hat Angst vor alten Frauen?
Das Berliner Theaterkollektiv setzt in seiner Performance „Hexploitation“offen und selbstironisch körperlichen Verfall in Szene. Am Freitag gastiert es in Düsseldorf im FFT.
DÜSSELDORF Altwerden ist nichts für Feiglinge. Die Performance „Hexploitation“auch nicht. Die einen mögen sie provokant finden, die anderen pornografisch, vor allem aber ist es schonungslos offen und geradezu rührend selbstironisch, was das Berliner Theaterkollektiv ab Freitag im Forum Freies Theater (FFT) auf die Bühne bringt und mithilfe der Videokamera von Benjamin Krieg in den Fokus rückt.
Das Thema – schwer auf den Punkt zu bringen – ist experimentell, feministisch und damit auch politisch, es ist sinnlich, historisch, kunstanalytisch, und wie immer bei She She Pop auch autobiografisch. Es geht um die Rolle der alternden Frau, um Zerrbilder von ehemals glamourösen Diven, um die Filmtradition der Psycho-Biddy, um Hexenverfolgung und Jugendwahn, um Körperschau jenseits der Peinlichkeitsgrenze.
Das Einbeziehen der eigenen Autobiografie hat dabei Methode. Viele Mitglieder von She She Pop sind selbst um die 50 Jahre alt. In den 90er-Jahren ist das Theaterkollektiv am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen entstanden. Seit 1998 haben die sieben Künstlerinnen und ein Künstler ihren Sitz in Berlin. Ihre Arbeit ist immer dem Experiment verpflichtet und vielfach ausgezeichnet.
In „Hexploitation“macht das Kollektiv die alternde Frau zum Thema eines gesellschafts- und kulturanalytischen Rundumschlags – mit vollem Körpereinsatz. „Das hier gehört
für den Rest meines Lebens mir, mir allein“, sagt die leicht bekleidete Lisa Lucassen auf der Bühne. Ein verzerrtes „Happy Birthday“und ein schräges „Memories“erklingen. Da wabbelt der Bauch, da hängt der Po, da gibt es verzerrte Gesichter und die weibliche Scham in Großaufnahme.
„Die Kamera spielt eine wichtige Rolle. Sie ist Vergrößerungsglas, Untersuchungsinstrument“, sagt Ilia Papatheodorou. Für She She Pop ist es nicht die erste Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Benjamin Krieg. Obszön ist das nicht, ironisch-reflektierend schon. She She Pop spielt auf die Tradition der Psycho-Biddy-Filme an, lässt die Angst vor der Hexe auferstehen und erzählt in einer Zeit des allgemeinen Jugendwahns von kapitalistischen Machtstrukturen und vom Bedeutungsverlust der Frauen, die nicht mehr gebärfähig sind.
Gleich auf mehreren Ebenen werde den Frauen in und nach den Wechseljahren Negatives suggeriert,
sagt Papatheodorou. „In den 80er-Jahren sprach man von einer Östrogenmangel-Erkrankung. Da funktionierte angeblich etwas auf der medizinischen Ebene nicht. Aus der Kosmetikbranche kommt die Botschaft: Du bist nicht mehr attraktiv.“Hinzu komme, dass es kaum Erzählungen gebe, in denen die Rolle der älteren Frau positiv besetzt sei, sagt Papatheodorou. In Märchen etwa gebe es oft die böse, hässliche Alte. Anthropologische Studien zeigten auch, dass der Status der Frauen in anderen Gesellschaften steige, wenn ihre Gebärfähigkeit abnehme; sie übernähmen dann geistige und spirituelle Aufgaben.
Besonders deutlich werde der Bedeutungsverlust im Schauspielfach: Gerade Darstellerinnen jenseits der 50 seien am Theater selten zu finden. In einer Kooperation mit den Münchner Kammerspielen etwa hätten sich keine weiblichen Ensemblemitglieder jenseits der 60 gefunden. „Es standen aber mehrere
Männer zur Verfügung. Schauspieler haben oft schöne Karrieren bis in ihre Achtziger-Jahre hinein“, sagt Papatheodorou. Stars wie Judi Dench und Julie Walters sieht sie als Ausnahmen. „Die Engländerinnen spielen in einer anderen Liga, aber auch Julie Walters sagte: Ich könnte in Hollywood nicht existieren.“
In Berlin, Basel, Frankfurt und
Hamburg hat She She Pop „Hexploitation“schon gezeigt. „Das Publikum fand es gut – auch die Männer.“Das Kollektiv kommt immer wieder gern nach Düsseldorf ins FFT. „Wir kennen die jetzige Intendantin Kathrin Tiedemann aus den 90er-Jahren. Das ist ein Beispiel für ein lang bestehendes Frauen-Netzwerk“, sagt Papatheodorou. Das Düsseldorfer Publikum sei „superinteressant“. „Die Stadt scheint mir eher westlich geprägt. Unser Stück mit einer Ost-West-Thematik wurde eher verhalten aufgenommen. Bei anderen Stücken aber zeigte sich das Publikum sogar offener als das in Berlin. Ich habe hier schon oft eine Lust an experimenteller Kunst erlebt. Düsseldorf ist immer für eine Überraschung gut.“
Info „Hexploitation“ist am Freitag,
10. Dezember, 20 Uhr, am Samstag,
11. Dezember, 20 Uhr, und am Sonntag,
12. Dezember, 16 Uhr, im FFT, KonradAdenauer-Platz 1, zu sehen. Karten kosten 19 Euro, ermäßigt elf Euro.