Macher, Machtmensch, Feminist
PORTRÄT Vor zwei Jahren galt Olaf Scholz politisch als erledigt. Die eigene Partei wollte ihn nicht an der Spitze. Jetzt hat er die SPD wiederbelebt und ist Bundeskanzler. Über einen Mann mit innerer Ruhe und Durchhaltevermögen.
Olaf Scholz bleibt in entscheidenden Momenten einfach stehen. Ende Juli kratzt die SPD in Umfragen mit 16 Prozent am Rande der Bedeutungslosigkeit. Bei der Bundestagswahl zwei Monate später sind es fast zehn Punkte mehr. Scholz und die Sozialdemokraten gewinnen die Wahl. Jetzt ist er Kanzler.
Dabei scheint am 30. November vor zwei Jahren die Ära Scholz vorbei zu sein. Versteinert der Blick, als er im WillyBrandt-Haus eine seiner härtesten Niederlagen akzeptieren muss. 53 Prozent für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, nur 45 Prozent für Scholz und Klara Geywitz in der Stichwahl um die Doppelspitze.
Das Ergebnis ist auch Ausdruck eines verkorksten Verhältnisses zwischen Scholz und seiner Partei. Er war nie wirklich beliebt in der SPD. Bei Parteitagen sammelte er traditionell schlechte Ergebnisse ein, wenn er in Parteiämter gewählt wurde. Doch er war immer da, spielte immer eine Rolle, war eine verlässliche Stütze der Sozialdemokratie. Und so bleibt er auch nach seiner Niederlage an jenem Novemberabend einfach stehen. Die lange belächelte Mission „Olaf 21“wird fortgesetzt. Scholz' engster Vertrauter Wolfgang Schmidt, jetzt Kanzleramtsminister, zweifelte nie.
Sein Wiederaufstieg vollzieht sich danach in Etappen. Zugute kommt Scholz die Unbeholfenheit seiner Bezwinger. Sie stolpern ins Amt. Die Revolution, ein Ausstieg aus der großen Koalition, wird abgeblasen. Anders als früher schmollt Scholz nicht, bändigt seine Überheblichkeit. Geschickt bindet der Finanzminister Esken und Borjans in jede Regierungsentscheidung ein. Diese schlagen ihren Widersacher am 10. August 2020 als Kanzlerkandidat vor. Die CoronaPandemie katapultiert Scholz zudem fast über Nacht in die Rolle, die ihm am meisten behagt. Große Entscheidungen, große Gestaltungsmacht, großes Geld. Alles und jeder wird gerettet, vom Kneipenwirt bis zur Yogalehrerin. Noch wird Scholz für seine Prophezeiung belächelt, bei der Wahl werde er mit der SPD vor Laschet und Baerbock landen. Doch anders als der Unionskanzlerkandidat macht Scholz im Wahlkampf keine Fehler. Jedenfalls keine, die so sichtbar werden wie Laschets Flutlacher. Dabei bietet Scholz Angriffsfläche.
Bei Wirecard, dem größten Anlegerbetrug der Nachkriegsgeschichte, versagt die Finanzaufsicht, die Scholz untersteht. Aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister holt ihn die Steueraffäre um dubiose Cum-ex-Finanzgeschäfte ein. Scholz offenbart erstaunliche Erinnerungslücken. Sein Vorteil: Die Vorgänge sind so komplex, dass selbst
Fachleute sie kaum verständlich erklären können.
Auch wird Scholz im Wahlkampf immer wieder mit seinen Fehlern als Bürgermeister beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg konfrontiert. Scholz sah die Polizei gut vorbereitet auf den G20-Gipfel. „Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus“, sagte er damals. Die Sicherheit sei garantiert. Scholz irrte und musste erleben, wie Proteste von Globalisierungsgegnern völlig aus dem Ruder liefen. Scholz stand damals am Rande eines Rücktritts.
Im Bundestagswahlkampf tritt er schließlich wie ein politischer Zwillingsbruder der Kanzlerin auf. Er dient sich den Deutschen als Mann des Weiter so an, des seriösen Regierens. Kein Zufall ist, dass er sich für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“mit der nachgeahmten Merkel-Raute fotografieren lässt. Söder
schäumt („Erbschleicher“), auch der Kanzlerin wird es zu bunt. Sie rüffelt ihren Stellvertreter öffentlich („Da besteht ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und ihm“). Scholz sitzt alle Angriffe aus. Das hanseatisch Spröde ist plötzlich sexy.
Wer den Menschen Scholz verstehen will, muss sein bisheriges Finanzministerbüro auf sich wirken lassen. Kühl, strukturiert, mit einem Hauch Eleganz. Mit der Corona-Krise wird Scholz nahbarer. Als alle Friseure dicht haben, schneidet er sich selbst die Haare. Das geht gründlich schief. Er rasiert sich versehentlich kahle Stellen, zeigt sich aber trotzdem vor Kameras. Das kommt in der SPD an. Was viele nicht wissen: Scholz kann lustig und unterhaltsam sein, er hat einen Sinn für Selbstironie. In Interviews oder bei Parteitagsreden bringt er das selten rüber.
Scholz ist ein geübter Verhandler. Als langjähriger Hamburger Bürgermeister war er in der ersten Reihe beim teils zähen Ringen um Finanzmittel. In den Ampel-Gesprächen trat er als geschickter Moderator zwischen den teils extrem unterschiedlichen Kräften auf. Basta kann er aber auch. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie“, sagte Scholz mal.
Privat dominiert Politik. Mit der Brandenburger Bildungsministerin Britta Ernst ist Scholz seit 1998 verheiratet. Sie sei die Liebe seines Lebens. Zu Hause nahe der Havel in Potsdam (oder wahlweise in Hamburg-Altona) bilden sie ein mächtiges Küchenkabinett. Sie brachte ihn vor 20 Jahren zum Joggen, weil er ein paar Kilo zu viel angesetzt hatte. Nun ernährt er sich bewusster, verzichtet auf Alkohol und Zucker. Als eine „Brigitte“Redakteurin ihn im Wahlkampf fragt, ob seine Frau im Falle seiner Kanzlerschaft weiterarbeitet, fährt Scholz aus der Haut: „Das ist eine Frage, die mich empört. Ich weiß nicht, ob die auch Männern gestellt wird, die Ehegatten sind.“Seit Juso-Zeiten sei er Feminist.
Er war immer da, war eine verlässliche Stütze der Sozialdemokratie