Rheinische Post

Freundlich­er Machtwechs­el

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Kanzler Olaf Scholz ist am Mittwoch ins Kanzleramt eingezogen. Seine Vorgängeri­n Angela Merkel begibt sich am Nachmittag ein letztes Mal vor die berühmte blaue Wand. Und sagt Adieu.

BERLIN Wie übergibt man ein Kanzleramt? So genau steht das in keinem Protokoll. Angela Merkel und Olaf Scholz regeln das so, wie sie es beide am besten können: Unprätenti­ös, wenig gefühlig, eher spröde, dafür ehrlich. Vor der blauen Wand im Kanzleramt tritt Merkel am Mittwoch ein letztes Mal auf. Hier, im ersten Stock des Kanzleramt­s, stand sie mit unzähligen Regierungs­chefs aus aller Welt und gab Pressekonf­erenzen. Hier endet ihre Amtszeit nach vier Legislatur­perioden.

Merkel wirkt entspannt, nur wenig gerührt. Gewohnt nüchtern wünscht sie ihrem SPD-Nachfolger eine „glückliche Hand“bei der Führung des Landes. Kanzler von Deutschlan­d zu sein sei „eine der schönsten Aufgaben, die es gibt“. Sie wisse „aus eigenem Erleben, dass es ein bewegender Moment ist, in dieses Amt gewählt zu werden“, sagt Merkel direkt an Scholz gerichtet. „Sie erahnen vielleicht, dass es eine spannende, erfüllende Aufgabe ist, auch eine fordernde Aufgabe. Aber wenn man sie mit Freude angeht, ist es vielleicht auch eine der schönsten Aufgaben, die es gibt, für dieses Land Verantwort­ung zu tragen.“

Scholz wiederum ist voll des Respekts für seine Vorgängeri­n, würdigt die politische­n Verdienste Merkels. „Sie haben Großartige­s bewegt.“Gemeinsam hätten auch er und Merkel bereits viele Krisen durchgesta­nden, darunter die Finanzkris­e 2008/09 und die Flüchtling­skrise 2015. Dass dabei stets eine vertrauens­volle Arbeit existiert habe, zeige, „dass wir eine starke, leistungsf­ähige Demokratie sind, in der es einen großen Konsens gibt zwischen den verantwort­lichen Demokraten“.

Dennoch habe Merkel das Land, die Regierung, aber auch das Kanzleramt besonders geprägt. Den Mitarbeite­rn des Kanzleramt­s versprach Scholz, anknüpfen zu wollen an „die nordostdeu­tsche Mentalität, die hier geherrscht“habe: „So viel wird sich da nicht ändern.“Stimmt, dies kann man als Beobachter der knapp fünfzehnmi­nütigen Übergabe bereits beobachten.

Die Koffer Merkels sind schon länger gepackt im Kanzleramt. Aktenberge sind bereits in den letzten Wochen in Richtung Finanzmini­sterium gegangen – als Amtshilfe für das Schließen des Koalitions­vertrags. So gesehen ist der Amtswechse­l sehr freundlich abgelaufen. Respekt etwa nötigte vielen AmpelPolit­ikern bereits der Umgang Merkels mit ihrem Amtsnachfo­lger ab, den sie beim G20-Treffen in Rom quasi schon vorab auf die Ebene der Staats- und Regierungs­chefs gehoben hatte. Uneinigkei­t gab es jedoch hinter den Kulissen in den vergangene­n Wochen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Merkel und ihr Team hielten und halten die Maßnahmen der Ampel-Koalition für zu lasch, die Rolle von Scholz in diesem Feld blieb ihnen bis zuletzt suspekt.

Dennoch gelingt die Übergabe der Regierungs­geschäfte reibungslo­s. Merkel selbst sagte in vielen Interviews bereits, sie werde am ersten Tag nach der Amtsüberga­be ausschlafe­n, genießen, dass es keinen Termindruc­k gibt. Und doch hört man in der letzten Zeit verstärkt, dass man die Alt-Kanzlerin in Berlin-Mitte doch das ein oder andere Mal noch sehen wird. Nicht in der Tagespolit­ik, aber möglicherw­eise als Schirmherr­in von Organisati­onen, die ihr am Herzen liegen, als Rednerin, vielleicht auch als Ratgeberin im Hintergrun­d.

Ihrer Fraktion hatte Merkel am Dienstag bereits geraten: „Seid klug!“. Sie werde auch weiterhin für Fragen zur Verfügung stehen, aber öffentlich keinen Rat geben.

Als Merkel am Mittwochna­chmittag dann endgültig das Kanzleramt verlässt, gibt es doch noch einen Gänsehautm­oment. Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r haben sich corona-konform an den Seiten aufgebaut, als Merkel mit Scholz zur großen Glaspforte geht, bilden quasi ein klatschend­es Ehrenspali­er. Scholz bringt seine Vorgängeri­n noch zum Ausgang, wo ihr Auto bereits wartet. Und dann schließt sich die Tür hinter Angela Merkel. Das Kanzleramt hat einen neuen Hausherrn.

 ?? FOTO: JOHN MACDOUGALL/AFP ?? Der neue Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) übergibt kurz nach seiner Wahl einen Blumenstra­uß an seine Amtsvorgän­gerin Angela Merkel (CDU).
FOTO: JOHN MACDOUGALL/AFP Der neue Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) übergibt kurz nach seiner Wahl einen Blumenstra­uß an seine Amtsvorgän­gerin Angela Merkel (CDU).

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