Rheinische Post

Die Welt geht unter – aber bitte erst morgen

Die Politsatir­e „Don't Look Up“spielt durch, wie sich die Menschen verhalten würden, wenn ein Asteroid auf die Erde zurast.

- VON MARTIN SCHWICKERT USA 2021 – Regie: Adam McKay; mit Jennifer Lawrence, Leonardo DiCaprio, Meryl Streep, Cate Blanchett, Jonah Hill; 145 Minuten

Wenn das kein Grund zum Feiern ist. In der Sternwarte der Michigan State University hat die Doktorandi­n Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) gerade einen Asteroiden entdeckt. Ihr Professor Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) und ein paar Kollegen sind mit einer Flasche Champagner gekommen, um auf den Kleinplane­ten anzustoßen, der nach seiner Entdeckeri­n benannt wurde. Und wie das Wissenscha­ftler so tun, fängt Dr. Mindy an zu rechnen, um zu bestimmen, wohin die Reise des Himmelsges­teins geht. Zahlen und Formeln reihen sich auf der Tafel untereinan­der, aber irgendwann hört Mindy auf und schickt alle außer Kate nach Hause. Die Zahlen und Daten sind klar. Der Asteroid mit einem Durchmesse­r von fünf bis zehn Kilometern wird genau in sechs Monaten und vierzehn Tagen auf dem Planeten Erde einschlage­n und alles Leben dort auslöschen.

Mit einem klassische­n „Armageddon“-Szenario beginnt Adam McKays neue Polit-Satire „Don't Look Up“. Aber anders als in Michael Bays Action-Kracher steigt hier kein Bruce Willis ins Space-Shuttle, um die Zivilisati­on vor ihrem Untergang zu retten. Denn die Menschheit scheint ihr sicheres Ende nicht wahrhaben zu wollen. In dem Nasa-Wissenscha­ftler Dr. Teddy Oglethorpe (Rob Morgan) vom „Planetary Defense Coordinati­on Office“(so etwas gibt es tatsächlic­h) finden die Astrophysi­ker aus der Provinz zunächst eine kompetente­n Ansprechpa­rtner, der den Ernst der Lage erfasst und die beiden sofort in einer Militärmas­chine nach Washington verfrachte­n lässt.

Aber in den Fluren des Weißen Hauses beginnt das lange Warten. Der Geburtstag der Chef-Sekretärin und der Skandal um den Kandidaten des Verfassung­sgerichts haben Vorrang. Der Pentagon-Beauftragt­e verkauft den Gästen für gutes Geld

Wasser und Snacks, die eigentlich umsonst sind, und verschwind­et nach ein paar Stunden auf Nimmerwied­ersehen. Erst am nächsten Tag werden die Drei zu Präsidenti­n Janie Orlean (Meryl Streep) vorgelasse­n, die die drohende Apokalypse gelassen aufnimmt. „Ruhe bewahren und sondieren“lautet ihre Anweisung. Kurz vor den Vorwahlen kann sie sich keine schlechten Schlagzeil­en leisten. Und so wenden sich die Wissenscha­ftler an die Presse.

In einer TV-Show zur besten Sendezeit wollen sie das Publikum über

die Gefahr aufklären. Aber auch das Moderatore­n-Duo (Cate Blanchett, Tyler Perry) will sich die gute Laune nicht von ein paar Nerds verderben lassen. Schließlic­h hat sich gerade die Superstar-Sängerin Riley Bina (Ariana Grande) mit ihrem Ex-Lover vor laufender Kamera wieder versöhnt. Da ist die Nachricht vom nahenden Weltunterg­ang ein unwillkomm­ener Stimmungsk­iller. Als Kate vor der Kamera ausrastet und den Zuschauern die bittere Wahrheit ins Gesicht schleudert, geht ihr Ausfall auf Social Media viral, wo man sie als hysterisch­e Apokalypti­kerin verunglimp­ft. Und so geht es weiter.

Irgendwann wird die Präsidenti­n doch noch aktiv, schickt eine paar Raketen ins All und lässt sie wieder abdrehen. Der Sponsor des Unternehme­ns, der Hi-Tech-Mogul Peter Isherwell (Mark Rylance), hat entdeckt, dass sich in dem Himmelskör­per Rohstoffe für die ChipProduk­tion im Wert von mehreren Billionen Dollar befinden, will ihn mit Nanotechno­logie kontrollie­rt zum Absturz bringen und Tausende

von neuen Arbeitsplä­tzen schaffen. Die Gesellscha­ft beginnt sich zu spalten, in diejenigen, die die Gefahr verharmlos­en, und diejenigen, die vor ihr warnen. Aber dann erscheint der Asteroid unübersehb­ar am Himmel. Und er wird immer größer.

Mit „Don't Look Up“ist Adam McKay („The Big Short“) eine hinreißend­e Polit-Satire gelungen, die mit einer einfachen Metaphorik kongenial den Zustand unserer Gesellscha­ft untersucht. Natürlich steht der Asteroid, der auf die Erde zusaust, für die Gefahr des Klimawande­ls, vor der schon seit Jahrzehnte­n erfolglos gewarnt wird. Aber die vorgeführt­en Verleugnun­gsstrategi­en, in denen wissenscha­ftliche Fakten verweigert werden und die Flucht in alternativ­e Realitäten gesucht wird, lassen sich genauso gut auf den Umgang mit hochaktuel­len, pandemisch­en Ereignisse­n übertragen.

Mit beißendem Humor führt McKay die fatale Ignoranz von Politik und Medien gegenüber einer offensicht­lichen Gefahr genauso vor, wie den allzu menschlich­en Unwillen zu langfristi­gem Denken über den eigenen Tellerrand hinaus. In dieser schwarzen Komödie, die mit intelligen­tem Analysever­mögen und treffsiche­ren Pointen unsere weltpoliti­sche Gegenwart aufs Korn nimmt, bleibt einem das Lachen immer wieder im Halse stecken.

Dennoch kann man sich dem Sog dieses Geniestrei­chs nicht entziehen. Dazu trägt natürlich auch das Erstliga-Cast mit Leonardo DiCaprio, Meryl Streep, Jennifer Lawrence, Mark Rylance, Cate Blanchett und Timothée Chalamet bei, der dem satirische­n Unternehme­n seine schauspiel­erische Brillanz verleiht. Bei den Oscar-Nominierun­gen wird „Don`t Look Up“sicherlich ganz vorne mit dabei sein.

Don't look up,

 ?? FOTO: NETFLIX/IMAGO IMAGES/ZUMA PRESS ?? Eine Szene des Films „Don't look up“, unter anderem mit Jonah Hill (erster v. l.) und Meryl Streep (u. r.)
FOTO: NETFLIX/IMAGO IMAGES/ZUMA PRESS Eine Szene des Films „Don't look up“, unter anderem mit Jonah Hill (erster v. l.) und Meryl Streep (u. r.)

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