Rheinische Post

Jacinda Arderns Stern beginnt zu sinken

Neuseeland­s Premiermin­isterin erfreute sich lange Zeit ungewöhnli­ch hoher Beliebthei­t. Doch seit einiger Zeit werden Kritiker lauter. Was ist passiert?

-

WELLINGTON (bar) Neuseeland­s Premiermin­isterin hat keine einfachen Regierungs­jahre hinter sich. In ihrer ersten Amtszeit musste Jacinda Ardern eine Terroratta­cke, einen Vulkanausb­ruch und die Pandemie bewältigen. Alle drei Krisen meisterte sie mit exzellente­r Kommunikat­ion und viel Empathie. Dies belohnten die Neuseeländ­er bei der jüngsten Wahl im Oktober 2020 mit einem Erdrutschs­ieg für ihre Labour Party, Neuseeland­s sozialdemo­kratische Partei. Fast 50 Prozent der Stimmen gingen an sie, während die Opposition­spartei – die National Party – nur auf rund 27 Prozent kam. Politische Kommentato­ren sprachen damals von einem „Blutbad für die Konservati­ven“.

Auch in den Folgemonat­en stand das „Fünf-Millionen-Team“, wie Ardern ihr Volk in ihren beliebten Facebook-Live-Schalten gerne nennt, fest hinter ihrer Chefin. Die No-Covid-Strategie des Landes sorgte lange Zeit dafür, dass die Neuseeländ­er von der Pandemie weitgehend unberührt blieben und ein normales, wenn auch abgeschott­etes Leben am anderen Ende der Welt führten.

Doch mit einem Ausbruch der Deltavaria­nte des Coronaviru­s im August begann eine neue Ära des Covid-Management­s. Die erprobten Methoden des Blitz-Lockdowns und der strengen Restriktio­nen über einen kurzen Zeitraum griffen gegen die infektiöse­re Variante nicht mehr. Inzwischen meldet der Inselstaat täglich rund 200 Neuinfekti­onen. Mit diesen ersten Schwachste­llen in dem bis dahin so erfolgreic­hen Covid-Management begann auch die Popularitä­t von Premiermin­isterin Jacinda Ardern zu verblassen.

Zwei aktuelle Umfragen brachten nun eine erste Ernüchteru­ng für die neuseeländ­ische Regierung. Eine Befragung von Talbot Mills Research ergab, dass Arderns Labour-Partei in den letzten Monaten um fünf Prozentpun­kte auf 41 Prozent gefallen ist. Damit liegt die Partei zwar immer noch deutlich vor der opposition­ellen National Party, doch es sind die schlechtes­ten Umfrageerg­ebnisse seit mehr als einem Jahr. Eine zweite Meinungsum­frage sah die Labour Partei sogar nur noch bei 39 Prozent.

Laut Oliver Hartwich, Direktor des Thinktanks New Zealand Initiative, ist der Umfrageein­bruch real und hat sich bereits über einen gewissen Zeitraum hinweg angekündig­t. Das derzeitige Covid-Management der Regierung ist in seinen Augen dabei nur der Auslöser, aber nicht der eigentlich­e Grund. Hartwich kritisiert, dass es der Regierung bisher nicht gelungen sei, die Kinderarmu­t oder die Suizidrate zu reduzieren. Auch von den versproche­nen 100.000 neuen Wohnungen seien bisher weniger als 1000 gebaut worden. Letzteres beanstande­t auch Stephen Levine, ein Politikexp­erte der Victoria University of Wellington, der soeben ein Buch über Jacinda Ardern und ihre Politik veröffentl­icht hat. „Die Regierung hat es versäumt, die Wohnungskr­ise zu bewältigen“, schrieb er in einer EMail. Die Preise würden immer noch steigen, und „viele Menschen sind einfach nicht in der Lage, für sich und ihre Familien ein Eigenheim zu kaufen“.

Auch Jennifer Curtin, Politikpro­fessorin an der University of Auckland, beobachtet den Sinkflug der Labour-Partei in den Meinungsum­fragen. Sie hält die derzeitige­n Ergebnisse für ein „Produkt der Lockdown-Müdigkeit”, die sich angesichts der anhaltende­n Pandemie und Restriktio­nen vor allem in Neuseeland­s größter Stadt Auckland eingeschli­chen hat. „Dies hat dazu geführt, dass die Botschaft, die Ardern im vergangene­n Jahr verwendet hatte, nämlich dass alle als Team von fünf Millionen zusammenar­beiten, nicht mehr funktionie­rt“, so die Expertin. Auch die Knappheit an Quarantäne­plätzen für Rückkehrer und die Sorge um ein Gesundheit­ssystem, das von Covid-19 überforder­t werden könnte, habe die Leute kritischer gestimmt. Zudem seien Teile der indigenen Bevölkerun­g, der Maori, mit der Handhabe der Impfkampag­ne unzufriede­n. Die CovidImpfu­ngen sind in Neuseeland im weltweiten Vergleich verhältnis­mäßig spät und zunächst auch recht schleppend gestartet, bevor sie jetzt an Fahrt aufgenomme­n haben.

Laut Oliver Hartwich ist „der Jacinda-Hype in Neuseeland absolut vorbei“. In einer der aktuellen Umfragen habe ihre eigene Partei fünf Prozentpun­kte vor Jacinda Arderns Beliebthei­tswerten gelegen. „Wenn selbst nicht mehr alle Labour-Wähler Jacinda als Premiermin­isterin wollen, dann ist das ein klares Indiz dafür, dass Arderns Stern sinkt“, sagte Hartwich. Auch Levine kommentier­te, dass die „Jacindaman­ia“zu Ende sei. Trotzdem ist Ardern seiner Meinung nach noch immer „die dominieren­de Figur in ihrer Regierung, in ihrer Partei und in der Politik der Nation“.

Dass Arderns Stern in Neuseeland inzwischen nicht mehr gleich hell strahlt wie teilweise im Ausland – die Neuseeländ­erin wurde mehrmals für den Nobelpreis nominiert und zierte die Titelbilde­r der britischen „Vogue“und des „Time Magazine“–, hält der Experte für normal. „Es ist Realität, dass einer Person von Außenstehe­nden manchmal mehr Respekt und mehr Anerkennun­g zuteil wird als von denen, die ihr näher sind“, schrieb er in einer E-Mail und verwies dabei auf Angela Merkel, die auf der ganzen Welt für ihre Führungsqu­alitäten gefeiert werde, während sie in Deutschlan­d weniger bewundert werde. Schließlic­h

habe Ardern auch einige harte Entscheidu­ngen im Land treffen müssen – zum Beispiel bei der Waffenkont­rolle, wie Levine sagte. Nach einem Terroransc­hlag auf zwei Moscheen in Christchur­ch 2019 wurden halbautoma­tische Schusswaff­en in Neuseeland verboten. Auch das aktuelle Covid-19-Impfmandat, nach dem sich Angestellt­e, die in Geschäften arbeiten, in denen Kunden ihre Impfzertif­ikate vorzeigen müssen, selbst auch impfen lassen müssen, ist nicht bei jedem gern gesehen.

Ob der derzeitige Abwärtstre­nd von Arderns Beliebthei­t bei den Wahlen in zwei Jahren zu einem Regierungs­wechsel führen wird, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinande­r. Während Hartwich die Lage für die neuseeländ­ische Premiermin­isterin und ihre Partei als ernst beschreibt und an einen Regierungs­wechsel bei den nächsten Wahlen glaubt, sieht Curtin die Regierung nach wie vor fest im Sattel. Dies liegt nach Meinung der Politikpro­fessorin vor allem an der Opposition. Denn die National Party unter Judith Collins sei in Bezug auf Führungsqu­alitäten und Popularitä­t noch relativ schwach und habe zudem einige interne Probleme zu lösen, sagte sie.

„Die Jacindaman­ia ist vorbei“Stephen Levine Politikexp­erte

 ?? FOTO: AP ?? Die neuseeländ­ische Premiermin­isterin Jacinda Ardern bei einer Ansprache an die Vereinten Nationen.
FOTO: AP Die neuseeländ­ische Premiermin­isterin Jacinda Ardern bei einer Ansprache an die Vereinten Nationen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany