Rheinische Post

Auch mit Handicap automobil sein

Lenkrad, Pedale, Schaltknau­f: Was für viele Autofahrer Routine ist, stellt für Menschen mit Behinderun­g oft eine Hürde dar.

- VON THOMAS GEIGER

Mit ihrem Rollstuhl ist Tina Schmidt-Kiendl flotter als mancher Fußgänger. Und Muskelkate­r in den Armen hat sie schon lange nicht mehr. Trotzdem reicht bereits eine zu hohe Bordsteink­ante, dann fühlt sich die Bayerin buchstäbli­ch behindert.

Doch es gibt einen Ort, an dem sie sich trotz ihrer nach einem Bandscheib­envorfall bewegungsl­osen Beine genauso mobil fühlt wie Gesunde: am Steuer ihres Mini. Selbst wenn sie mit den Händen beschleuni­gt und bremst. „Autofahren ist für mich deshalb Freiheit“, sagt die 46-jährige Mitarbeite­rin der BMW M GmbH.

Tina Schmidt-Kiendl möchte, dass auch andere Menschen mit Behinderun­g diese Form der Freiheit bestmöglic­h genießen können. Deshalb hat sie bei ihrem Arbeitgebe­r das nach ihren Angaben erste eigene Fahrertrai­ning für Menschen mit Handicap entwickelt. Dort will sie den Teilnehmer­n die nötige Souveränit­ät und Sicherheit vermitteln, auf die gerade Behinderte im Auto angewiesen sind. „Natürlich will niemand in einen Unfall verwickelt werden“, sagt die Trainerin. „Aber wir müssen besonders aufpassen und auch für die anderen mitdenken. Denn oft können sich Behinderte nicht ohne fremde Hilfe aus dem Auto befreien.“

Schmidt-Kiendl könnte damit einen Nerv getroffen und eine wichtige Nische gefunden haben. „Denn es sitzen mehr Menschen mit Handicap im Auto, als man vermuten könnte“, sagt sie. Möglich machen das laut Achim Neunzling vom Bund behinderte­r Auto-Besitzer (BbAB) in Bexbach spezielle Umbauten, mit denen die körperlich­en Einschränk­ungen der Fahrer technisch kompensier­t werden. Das reicht von Nachrüstun­gen wie

einem Ring vor dem Lenkrad fürs Gas bis zu einem Handhebel für die Bremse. Auch breitere Türen mit Hebevorric­htungen für den Rollstuhl bis hin zu Komplettum­bauten sind möglich.

Wie weit das gehen kann, zeigt ein Umbau für Janis McDavid. Der Motivation­strainer ist ohne Arme und Beine auf die Welt gekommen. Über eine Rampe kann der 30-Jährige mit seinem Rollstuhl in den Fond seines Mercedes Sprinter fahren. Von dort aus klettert er hinter das Lenkrad und steuert den Wagen mit einem kleinen Joystick, den er sich unter die Schulter klemmt. McDavid macht davon reichlich Gebrauch: Über 300.000 Kilometer hat er nach eigenen Angaben schon absolviert. Entwickelt

werden solche teilweise standardis­ierten oder – wie bei McDavid – extrem individual­isierten Lösungen von Umrüstern

und Reha-Betrieben. Von denen listet der ADAC in Deutschlan­d über 50 auf. Zudem bieten einige Fahrzeughe­rsteller

entspreche­nde Fahrhilfen ab Werk als Sonderauss­tattung an. Dabei gehen natürlich nicht alle Umbauten wie bei McDavids Sprinter ins Sechsstell­ige. „Aber 7000 Euro allein für den Handbetrie­b von Gas und Bremse sowie den Bediensate­llit kommen schnell zusammen“, sagt Lobbyist Neunzling.

Doch gibt es für die Mobilität mit Handicap nicht nur medizinisc­he und technische Hürden, sondern vor allem reichlich Bürokratie. „So vielfältig wie die Art einer körperlich­en Einschränk­ung oder Behinderun­g sein kann, so vielfältig sind auch die gesetzlich­en Grundlagen und individuel­len Regelungen, die allen Menschen in unserer Gesellscha­ft selbstbest­immte Mobilität ermögliche­n sollen“, schreibt der ADAC in einem Ratgeberte­xt zum Thema.

BMW-Trainerin SchmidtKie­ndl formuliert es drakonisch­er: „Man muss lange suchen, bis man die richtigen Ansprechpa­rtner findet und hat dann jede Menge Papierkram zu erledigen, bevor die Behinderun­g im Führersche­in und die Umbauten im Fahrzeugsc­hein eingetrage­n sind. Und sich im besten Fall auch noch jemand an den Kosten für das ganze beteiligt.“

Zwar räumen die allermeist­en Fahrzeughe­rsteller laut Neunzling gegen Vorlage des Behinderte­nausweises bis zu 30 Prozent Rabatt ein. Und nach Angaben des ADAC werden Behinderte bestimmten Grades teilweise oder vollständi­g von der Kfz-Steuer befreit. Doch reiche das in den seltensten Fällen, um die Mehrkosten zu decken. Deshalb müssen Menschen mit einer Behinderun­g von der Arbeitsage­ntur oder Rentenkass­e ihren Anspruch auf Zuschüsse, Beihilfen und Kostenzusa­gen prüfen lassen – und bekommen dabei nur unter bestimmten Voraussetz­ungen ausreichen­d Unterstütz­ung.

Immerhin wurde im Zuge einer gemeinsame­n Initiative des BbAB und dem Verband der Automobili­ndustrie (VDA) der maximale Förderbetr­ag nach der Kraftfahrz­eug-Hilfeveror­dnung durch das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales von 9500 auf 22.000 Euro erhöht.

Allerdings ist diese Förderung nur bei Menschen in einem Arbeitsver­hältnis möglich. Für Personen außerhalb der Arbeitswel­t wie Kinder oder Rentner existiert keine gesetzlich­e Grundlage für eine finanziell­e Fahrzeughi­lfe zur Teilnahme am gesellscha­ftlichen oder kulturelle­n Leben, kritisiert­e BbAB-Vorsitzend­er Neunzling im vergangene­n Juli.

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FOTO: BMW AG/DPA-TMN Freude am Fahren: Instruktor­in Tina Schmidt-Kiendl will den Teilnehmer­n Souveränit­ät und Sicherheit vermitteln.
 ?? FOTO: BERNHARD FILSER/BMW AG/DPA-TMN ?? Auto-Expertin Tina Schmidt-Kiendl leitet Fahrkurse für Menschen mit Handicap.
FOTO: BERNHARD FILSER/BMW AG/DPA-TMN Auto-Expertin Tina Schmidt-Kiendl leitet Fahrkurse für Menschen mit Handicap.

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