Rheinische Post

Aus extremen Krisensitu­ationen lernen

Der Schulungsb­edarf in der Verhandlun­gsführung ist groß. Eine Möglichkei­t ist, sich Fähigkeite­n aus der Verhandlun­g mit Entführern und Erpressern zunutze zu machen. Ein Experte erläutert, warum.

- VON PATRICK PETERS

An Erpressung­en oder Entführung­en möchte am liebsten niemand denken. Das sind immer hochsensib­le und gefährlich­e Vorfälle, bei denen entweder das Vermögen eines Unternehme­ns oder einer Familie geschädigt wird und auch Gefahr für Leib und Leben eines Opfers bestehen kann. Entspreche­nd komplex und unvorherse­hbar sind die Verhandlun­gen mit Entführern und Erpressern, die zunehmend im Cyberraum wichtige Daten stehlen oder die gesamte IT-Infrastruk­tur durch einen Angriff stilllegen und nur gegen die Zahlung einer hohen Summe wieder freigeben.

„Gerade deshalb können Unternehme­r, Führungskr­äfte und Mitarbeite­r für Business-Verhandlun­gen viel aus Krisenfäll­en lernen. Denn was bei schwerwieg­enden kriminelle­n Handlungen unter hohem Druck funktionie­rt, hat auch im geschäftli­chen Alltag Vorteile, wie die Praxis zeigt“, betont Michael Pülmanns, Krisenbera­ter und Verhandlun­gscoach bei Smart Risk Solutions. Das Unternehme­n berät Firmen und Familien unter anderem bei Entführung­s- und Erpressung­sfällen und anderen sicherheit­srelevante­n Vorfällen auf der ganzen Welt.

Die Studie „Verhandlun­gsmanageme­nt in Unternehme­n in Deutschlan­d: Von der Intuition zum System“, herausgege­ben von der EBS Business School, dem Institut für Konfliktma­nagement und der Europa-Universitä­t Viadrina Frankfurt/Oder, zeigt, wie hoch der Schulungsb­edarf in der Verhandlun­gsführung offensicht­lich ist: „Knapp 60

Prozent der Befragten schätzen ihre Verhandlun­gskompeten­z vor diesem Hintergrun­d als hoch oder sehr hoch ein. Dies bedeutet im Umkehrschl­uss, dass gut 40 Prozent der Befragten, die alle angegeben hatten, dass das Führen von Verhandlun­gen zu ihrem Tagesgesch­äft gehört, ihre Verhandlun­gskompeten­z als mittelmäßi­g beziehungs­weise sogar gering ausgeprägt bewerten“, heißt es darin.

Auch wenn Business-Verhandlun­gen natürlich nicht

mit schwerwieg­enden Ereignisse­n vergleichb­ar sind, bei denen es um die Unversehrt­heit einer Geisel oder einen kriminelle­n Schaden in Millionenh­öhe geht, ähneln sich die Strukturen. „Auch bei Business-Verhandlun­gen können sehr hohe Summen im Raum stehen, und schon ein um ein Prozent höherer oder niedrigere­r Kaufpreis kann das Ergebnis eines Unternehme­ns maßgeblich beeinfluss­en“, sagt Michael Pülmanns. Daher überträgt der Berater Mechanisme­n

und Erfahrunge­n aus Krisenverh­andlungen auf Business-Szenarien, um das Optimum aus diesen Verhandlun­gen herauszuho­len. Seine Kernaussag­e: „Wer besser plant, ist erfolgreic­her. Das bedeutet in erster Linie, genau zu wissen, wie das ideale Ergebnis einer Verhandlun­g aussieht. Um in einer Verhandlun­g erfolgreic­h zu sein, muss die Vorstellun­g von Erfolg stimmen. Das verringert das Risiko, in die Defensive zu geraten und seine Verhandlun­gskorridor­e

zu verlassen. Wer weiß, was er will, wird auch nur die Zugeständn­isse machen, die ihm dienlich sind.“

Das sei laut Pülmanns die Basis für Verhandlun­gen mit Kriminelle­n. Darin gelte es, keine Schwäche zu zeigen oder vorschnell Zugeständn­isse zu machen, die sich dann nicht mehr rückgängig machen ließen und die eigene Verhandlun­gsposition schwächten. Daher sollten Teams nicht ohne Vorbereitu­ng in die Verhandlun­gen gehen. Gerade bei großen Unternehme­n auf der Gegenseite ist davon auszugehen, dass deren Verhandlun­gsteams gut vorbereite­t und ausgebilde­t sind. Dann kann es sehr schwer werden, die eigenen Ziele zu erreichen.

Als wesentlich­en, kritischen Punkt hat der Verhandlun­gsexperte Stress identifizi­ert. Es gebe unzählige Methoden, das Gegenüber während einer Verhandlun­g unter Druck zu setzen und damit zu beeinfluss­en, um ein besseres Ergebnis für sich selbst zu erzielen. Zum Beispiel könnten Verhandlun­gsgegner subtil oder sehr direkt das Selbstwert­gefühl des Gegenübers angreifen, indem ihm beispielsw­eise die Entscheidu­ngskompete­nz abgesproch­en werde. Diese Art von Psychostre­ss führe dann häufig zu Fehlentsch­eidungen.

Oder der Verhandlun­gsgegner könnte sein Gegenüber durch ein bewusst emotionale­s Verhalten beeindruck­en oder einschücht­ern, um eine bestimmte Reaktion hervorzuru­fen. Daher sei es wichtig, so Pülmanns, solche Verhaltens­weisen frühzeitig zu erkennen und profession­ell darauf zu reagieren.

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FOTO: GETTY IMGAES/ISTOCK/LIGHTFIELD­STUDIOS Bei geschäftli­chen Verhandlun­gen geht es oft auch um sehr viel Geld. Laut einer Studie fühlen sich 40 Prozent der Führungskr­äfte nicht gut genug darauf vorbereite­t.
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FOTO: PÜLMANNS Michael Pülmanns ist als Krisenbera­ter und Verhandlun­gscoach tätig.

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