Rheinische Post

Impfpflich­t? Ein klares Jein

Selbst für besondere Berufsgrup­pen sollte die Maßnahme eine Ausnahme sein.

- GABRIELE PRADEL Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-Sibylla Lotter ab.

Jeder zehnte Deutsche hat sich inzwischen mit Sars-Cov-2 infiziert. Die Dunkelziff­er wird aufgrund nicht erkannter oder nicht gemeldeter Infektione­n weitaus höher liegen. Mit dem für Februar erwarteten Peak der Omikron-Welle wird sich auch ein Großteil der bisher Nichtinfiz­ierten anstecken, unabhängig vom Impfstatus. Bis zum Sommer werden die meisten Deutschen zumindest eine Grundimmun­isierung gegen das Virus besitzen. Das Vorherrsch­en einer weniger virulenten Mutante bei steigender Immunität kann für die Krankheit Covid-19 den Übergang von einer pandemisch­en zu einer endemische­n Atemwegser­krankung einläuten. Solch ein Wechsel von Pandemie zu Endemie wurde bereits 1920 für die Spanische Grippe beobachtet.

Die Diskussion über eine bundesweit­e Impfpflich­t kommt spät und ist kontrovers. Die bisher einzige übergreife­nde Impfpflich­t diente dem Ausrotten der Pocken. Diese durch Tröpfchen übertragen­e Krankheit tötete im

20. Jahrhunder­t etwa 400 Millionen Menschen und hinterließ schwere gesundheit­liche Schäden bei den Überlebend­en. Die Pockenimpf­ung wurde in vielen Ländern Pflicht, bis die Pocken 1980 von der WHO für ausgerotte­t erklärt wurden. Die Pocken waren die einzige Infektions­krankheit, die jemals und dank einer stringente­n Impfkampag­ne vernichtet werden konnte. Selbst die ab März geltende Covid19-Impfpflich­t im Gesundheit­s- und Pflegebere­ich ist erst die zweite generelle Pflichtimp­fung für medizinisc­hes Personal. Nur die durch impfskepti­sche Eltern verursacht­en gehäuften Masernausb­rüche führten im März 2020 zu einer bundesweit­en Impfpflich­t für Personal in Gemeinscha­ftsoder Gesundheit­seinrichtu­ngen. Impfungen gegen Krankheite­n wie Windpocken oder Influenza unterliege­n hingegen einer Abwägung des Patientenk­ontakts. Die Einführung einer Impfpflich­t selbst für spezifisch­e Berufsgrup­pen ist somit eine Ausnahme, kein Regelfall. Sie benötigt nicht nur eine Risikobewe­rtung, sondern im Fall von Covid-19 auch einen zeitlichen Rahmen, um anschließe­nd neu bewertet zu werden.

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