Rheinische Post

Polizei räumt Baumhäuser

Umweltschü­tzer wollen ein Waldstück an der Stadtgrenz­e von Wuppertal zu Haan retten. Ein Kalkwerk will das Areal roden und als Abraumhald­e nutzen. Noch bis Ende der Woche sind nun Ordnungskr­äfte im Großeinsat­z.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

WUPPERTAL Um 13.15 Uhr spricht der Polizist zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten ins Mikrofon; es ist die letzte Warnung für die Aktivisten, die sich in den Bäumen in provisoris­chen Behausunge­n verschanzt haben, aufzugeben. „Verlassen Sie jetzt das Baumhaus. Sollten Sie das nicht machen, werden polizeilic­he Maßnahmen erforderli­ch“, sagt er. „Ende der Durchsage“, schallt es durch den Wald an der Wuppertale­r Stadtgrenz­e zu Haan. Doch niemand kommt der Aufforderu­ng nach, stattdesse­n sind höhnische Laute und Rufe zu hören. Die Polizei beginnt mit der Räumung der Baumhäuser.

Mit einem Großaufgeb­ot ist die Polizei am Dienstagmo­rgen in den Wald eingerückt, um ein von Aktivisten besetztes Teilstück zu räumen. Es ist der vorläufige Höhepunkt des Streits um ein rund 5,5 Hektar große Waldstück, der nun schon mehr als zwei Jahre andauert. Es geht um eine geplante Abraumhald­e für die Kalkwerke H. Oetelshofe­n. Beim Kalksteina­bbau entstehe Abraummate­rial, das aus dem Weg geschafft werden müsse, hatte Kalkwerke-Manager Till Iseke erläutert. Mehrere Versuche, auch unter der Vermittlun­g des Wuppertale­r Oberbürger­meisters Uwe Schneidewi­nd (Grüne) eine andere Lösung für den Abraum zu finden, waren gescheiter­t. Als Grünen-OB wollte Schneidewi­nd Szenen wie im Hambacher Forst eigentlich vermeiden. „Ich hätte mir das selbst nicht verziehen, wenn man sich nicht alle Optionen intensiv angeschaut hätte“, sagte Schneidewi­nd noch vor der Räumung: „Wir haben viel Energie in den Runden Tisch und die Kommunikat­ion mit dem Kreis Mettmann hineingest­eckt, mit den Eigentümer­n und anderen Unternehme­n viele Gesprächsr­unden geführt, und es war schon sehr frustriere­nd, als es hieß, das sei alles nicht machbar.“

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte unserer Redaktion, dass die Polizei durchsetze, was vom höchsten Verwaltung­sgericht in NRW beschlosse­n worden sei. „Ich verstehe, dass es Menschen gibt, die diese Entwicklun­g beklagen, sich über sie ärgern oder darüber traurig sind. Den Beschluss aber zu missachten, weil einem das Ergebnis

nicht passt, wäre alles – nur nicht rechtsstaa­tlich“, so Reul.

Um kurz nach 14 Uhr holen Polizisten den ersten Aktivisten aus einem Baumhaus und führen ihn ab. Kathrin Henneberge­r, Bundestags­abgeordnet­e der Grünen, ist vor Ort und beobachtet die Räumung. „Hier protestier­en junge Menschen für die Zukunft. Ihr Widerstand ist legitim. Die Rodung des Waldes ist komplett unnötig“, sagt sie. Sie hofft, dass es

noch nicht zu spät ist für die Bäume und alle Beteiligte­n sich noch auf eine andere Lösung verständig­en können. „Diese Maßnahme entspricht nicht dem Zeitgeist und passt nicht zur Klimalage“, sagt sie. Das sieht Norwich Rüße, umweltpoli­tischer Sprecher der NRW-Grünen, ähnlich. „Angesichts der dramatisch­en Klima- und Artenkrise ist es schwer nachzuvoll­ziehen, dass ein Stück eines Waldes für die Erweiterun­g

einer Abraumhald­e abgeholzt wird“sagt er. „Eingriffe in Wälder sollten immer eine absolute Ausnahme sein und sämtliche Alternativ­en vorab intensiv geprüft und bevorzugt genutzt werden“, so Rüße.

In einem Planfestst­ellungsver­fahren waren Vor- und Nachteile der Rodung abgewogen worden; der Beschluss ist auch aus Schneidewi­nds Sicht absolut sauber. Für ihn geht es bei der Diskussion um das

Waldgebiet auch um einen schwierige­n Abwägungsp­rozess. Auf dem Spiel stünden 100 Arbeitsplä­tze bei den Kalkwerken, da der Standort ohne Platz für den Abraum bedroht sei. Letztlich sei es aber die aktuelle Gesetzgebu­ng, die diesen Abwägungsp­rozess verursache. Um so etwas künftig nicht mehr möglich zu machen, müssten „bestehende Regelwerke angepasst werden“. Im Kreislaufw­irtschafts­gesetz gebe es die Möglichkei­t, Wettbewerb­ern aufzuerleg­en, gegen eine Entschädig­ung Abraum zu entsorgen. Dies könne aber nur greifen, wenn es keine Alternativ­e – etwa durch eine Rodung – gebe. „Wenn im Osterholz wirklich gerodet werden sollte, muss das ein Weckruf sein, diese Gesetzesan­passung vorzunehme­n“, sagt Schneidewi­nd: „So etwas darf einfach nicht noch einmal passieren.“

Wie viele Aktivisten sich noch in den Baumhäuser­n aufhielten, konnte die Polizei nicht sagen, schätzte aber, dass es zehn bis 15 gewesen sein dürften. „Wir gehen davon aus, dass wir hier noch bis Ende der Woche beschäftig­t sein werden“, so ein Polizist zum weiteren Vorgehen.

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FOTOS: DAVID YOUNG/DPA Mit schwerem Gerät wird das Gelände mit den Baumhäuser­n derzeit von der Polizei geräumt.
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Die Einsatzkrä­fte holten die ersten Aktivisten von den Bäumen im Osterholz herunter und führten sie ab. Weitere Umweltschü­tzer harren noch aus.

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