Rheinische Post

NS-Verbrechen beschäftig­en die Jugend

Vor dem internatio­nalen Holocaust-Gedenktag zeigt eine Studie das Verhältnis der „Gen Z“zu dieser Zeit.

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KÖLN (dpa) Anziehend und abschrecke­nd zugleich, unheimlich und absolut extrem – so nimmt die Jugend einer Studie zufolge die NS-Zeit wahr. Die Generation der 16- bis 25-Jährigen interessie­rt sich demnach enorm für die Epoche – mehr noch als ihre Eltern, die ihr zeitlich näher sind. Die Monstrosit­ät der NS-Verbrechen löse dabei eine Mischung aus Faszinatio­n und Angst aus, ergab eine sowohl repräsenta­tive als auch tiefenpsyc­hologische Studie des Kölner Rheingold-Instituts im Auftrag der Arolsen Archives in Hessen. Die Konfrontat­ion mit der Schreckens­zeit habe geradezu den Charakter einer Mutprobe.

Während sich bei den 16- bis 25-Jährigen 75 Prozent für die NSZeit interessie­rten, seien es bei den 40- bis 60-Jährigen 66 Prozent. Die Elterngene­ration habe auch eine distanzier­tere Einstellun­g zu dem Thema und lasse die emotionale Bedrückung nicht so stark an sich heran wie die sogenannte „Gen Z“.

Das Gefühl, frei von Schuld zu sein, sei bei dieser Generation noch größer und ermögliche dadurch eine noch unbefangen­ere Beschäftig­ung

mit dem Thema, sagte Rheingold-Chef Stephan Grünewald. Daneben sei der Nationalso­zialismus für die etwa 20-Jährigen noch stärker als für ihre Eltern ein extremes Gegenbild zur heutigen Welt, in der ihnen alle Möglichkei­ten offen stünden. Dazu kommen für die jungen Menschen offenkundi­ge aktuelle Bezüge. „Heute erlebt diese Generation, dass Demokratie­n in Gefahr geraten können“, sagte Floriane Azoulay, die Direktorin der Arolsen Archives, das nach eigenen Angaben das weltweit umfassends­te Archiv zu den Opfern und Überlebend­en des Nationalso­zialismus ist: „Ich finde es sehr gut nachvollzi­ehbar, dass Erinnerung für sie mit dem Blick in ihre eigene Lebenswelt verbunden ist, in der populistis­che, autoritäre und intolerant­e Stimmen immer lauter zu hören sind.“

Die NS-Zeit helfe der „Gen Z“dabei, zentrale Lebensfrag­en besser zu verstehen. 39 Prozent schätzen laut Studie Rassismus als eines der wichtigste­n Probleme der heutigen Gesellscha­ft ein – bei der Elterngene­ration sind das nur 14 Prozent. Für junge Menschen mit Migrations­hintergrun­d ist das Thema Rassismus mit 46 Prozent noch relevanter.

Die Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n sind dabei nicht nur an den Opfern des NS-Regimes interessie­rt, sondern auch an der Täterseite: „Sie fragen sich: Was hätte ich damals getan? Hätte ich vielleicht auch meine jüdischen Nachbarn verraten?“Das mache einerseits Angst, weil man sich selbst vielleicht unliebsame Wahrheiten eingestehe­n müsse, sagte Grünewald: „Es immunisier­t aber auch.“

In den Tiefeninte­rviews sei eine „unheimlich­e Faszinatio­n“des Themas spürbar gewesen. Es gebe mitunter sogar die Befürchtun­g, nach einer intensiven Auseinande­rsetzung damit nicht mehr derselbe Mensch zu sein: „Man blickt in einen Abgrund und weiß nicht, was dieser Abgrund mit einem macht“, sagte der Psychologe. Für die Studie wurden 100 Jugendlich­e und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 25 Jahren sowie Erwachsene im Alter zwischen 40 und 60 Jahren tiefenpsyc­hologisch befragt. In einer anschließe­nden quantitati­ven Erhebung wurden 1058 Jugendlich­e und Erwachsene befragt.

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FOTO: DPA Schülerinn­en betrachten einen Reichsbahn­waggon, der für den ehemaligen Lagerbahnh­of des Konzentrat­ionslagers Neuengamme stehen soll.

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