„Bei der Kapazität ist es fünf nach zwölf“
Der Leiter eines Essener Labors warnt, dass sich die Zahl der PCR-Tests nicht beliebig erhöhen lasse. Schon jetzt müsse er priorisieren.
Wie sehr arbeiten Sie am Anschlag? HUGO STIEGLER Vor einer Woche war es noch fünf vor zwölf, jetzt ist es fünf nach zwölf, was die Laborkapazität angeht. Wir haben jetzt die 4000er-Marke geknackt: 2500 PCRTests und 1500 Antigen-Tests pro Tag. Unsere Mitarbeiter waren gestern bis Mitternacht im Labor. Die Positivitätsrate liegt bei sehr hohen 20 Prozent, was dazu führt, dass wir es nicht mehr schaffen, die Einsender telefonisch wie bisher zu benachrichtigen. Das geht ab sofort nur noch elektronisch.
Künftig soll auf Wunsch der Regierung vorrangig nur noch bei Personen aus der kritischen Infrastruktur ein PCR-Test vorgenommen werden. Wie stehen Sie dazu?
STIEGLER Intern priorisieren wir ohnehin schon, indem wir sagen, wir konzentrieren uns ganz klar auf Arztpraxen und Krankenhäuser, auf Patienten und Mitarbeiter. Externe Tests außerhalb der kritischen Infrastruktur können wir nicht mehr annehmen. Wir müssen unsere Kapazitäten bündeln. Das ist ein klarer Paradigmenwechsel. Bisher herrschte ja das Dogma: Jeder positive Antigen-Schnelltest muss durch einen PCR-Test bestätigt werden. Davon ist man seit der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag weg. Das muss erst in die Testverordnung aufgenommen werden, gilt also offiziell noch gar nicht. Das dauert sicher so um die zehn Tage, bis es abgestimmt und beschlossen ist. Es wird aber sicher wie bei uns auf dem kleinen Dienstweg schon in vielen
Laboren praktiziert. Die normative Kraft des Faktischen hat die Priorisierung in einer künftigen Testverordnung vorweggenommen.
Was heißt das für die Tests?
STIEGLER Man muss ganz klar sagen: Wenn jemand in der jetzigen Situation zweimal per Schnelltest ein positives Ergebnis bekommt, dann hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit Corona. Bei Symptomen kann man das schon nach einem positiven Test sagen. Das liegt daran, dass gerade enorm viele Menschen infiziert sind und damit die VortestWahrscheinlichkeit steigt. Dadurch sinkt die Rate der falsch positiven Tests. Heißt: Wer einen positiven Test hat, der hat höchstwahrscheinlich Corona. Bei den falsch negativen Tests muss es jetzt heißen: Augen zu und durch. Die sensitiveren PCR-Tests sollte man sich für die kritischen Bereiche aufsparen. Aber in der Schule, im Allgemeinleben spielen die falsch negativen Tests in der jetzigen Situation keine Rolle mehr.
Die Regierung erweckt den Eindruck, als könne die Zahl der PCRTests erhöht werden. Ist das so? STIEGLER Das ist ein Treppenwitz. Wir haben in Deutschland seit Pandemie-Beginn kontinuierlich die PCR-Kapazitäten massiv ausgeweitet und können bundesweit aktuell 2,2 bis 2,5 Millionen PCR-Tests pro Woche machen. Das ist schon enorm. Limitierende Faktoren sind jetzt das Personal und die Geräte. Selbst wenn mir jemand ein Gerät hinstellen würde, hätte ich nicht das
Personal dafür. Generell sind die aktuellen politischen Aussagen purer Aktionismus: Was bringt es uns, die Menge der Tests deutlich zu erhöhen? Das würden wir frühestens in einem Vierteljahr schaffen, dann ist aber Sommer – und die Infektionsrate voraussichtlich niedrig.
Wie sinnvoll sind denn die Pooltests noch für die Schulen? STIEGLER Das funktioniert wunderbar, solange sie wenig positive Pool-Ergebnisse haben. Wenn aber aufgrund steigender Infektionszahlen jeder zweite Pooltest positiv ist, müssen die Pools aufgelöst werden, und man hat nichts gewonnen. Das ist aber die Situation an den Schulen. Ganz ehrlich: Was nutzt ein Ergebnis 48 bis 72 Stunden später? Da kann ich es gleich sein lassen. Diese Strategie ist gescheitert. In der jetzigen Situation ist das nicht mehr durchführbar. Entweder müsste man gar nicht testen oder nur symptomatische Schüler. Oder man testet mit Antigen-Tests. Wenn der negativ ausfällt, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Person nicht infektiös ist.
Bei den PCR-Tests ist also das Ende der Fahnenstange erreicht? STIEGLER Das ist so. Vielleicht gehen da noch fünf, sechs Prozent mehr. Aber man muss es deutlich sagen: Nur durch den enormen Einsatz aller Mitarbeiter, die bei uns bis zur Erschöpfung arbeiten, ist das alles überhaupt machbar. Wenn da Personal wegbricht, kollabiert das System. Nochmal: Es macht keinen Sinn mehr, die Zahl der Tests zu steigern. Man muss die ganze Strategie überdenken. Was ist die Konsequenz, Asymptomatische zu testen? Die fallen dann in der Kritischen Infrastruktur weg. Man muss dahin kommen, dass man nur Symptomatische testet oder in Risikobereichen, wo man Infektionen vermeiden will. Alles andere wird man nicht mehr testen können. Punkt. Da muss man die Schulen miteinbeziehen. Dann kann man PCR-Kapazitäten schaffen, weil man die nicht mehr für Pool-Testungen benötigt.