Rheinische Post

„Boni verändern in der Pflege nichts“

Protokoll Nach fast 40 Jahren wollte Frank Keil kein Altenpfleg­er mehr sein. Sein Herz sei „leer“, sein Rücken kaputt gewesen. In der Branche gehe es nur noch ums Sparen und um Bürokratie, nicht mehr ums Menschlich­e.

- Protokolli­ert von Semiha Ünlü.

Ich war 17, als ich in der Altenpfleg­e anfing, und eigentlich war das nur ein Aushilfsjo­b: Meine Ausbildung zum Maschinens­chlosser hatte mir nicht gefallen und so fing ich in einem Heim für ehemalige Obdachlose an, das von den Franziskan­ern geleitet wurde. Damals wurde noch nicht unterschie­den zwischen gelernten und ungelernte­n Kräften, im Prinzip machte ich also alles, waschen, Medikament­e geben und so weiter. Berührungs­ängste hatte ich nicht, die Franziskan­er führten einen gut an die Arbeit heran. Schnell wusste ich: Ich bleibe in der Pflege.

Fast 40 Jahre habe ich dann in der Pflege und Betreuung gearbeitet, die Ausbildung zum Altenpfleg­er gemacht, Nacht- und Tagdienste, dann auch die Heim- und Pflegedien­stleitung übernommen, war in der ambulanten Pflege und in der Tagespfleg­e. Was mich so lange getragen hat, waren die Gespräche mit den Patienten, ob beim Besuch daheim oder im Heim. Es entstehen da ja immer Beziehunge­n. Man hatte mit jedem seine Themen, ob Fußball, Karneval oder Schützenfe­ste. Und die Leute freuten sich, wenn ich kam, die Anerkennun­g von Patienten und Angehörige­n tat gut. Es gab steuerfrei­e Zuschläge für Weihnachte­n, Wochenende­n, Nächte etc. Es gab wenig Geld für die Arbeit, doch sie machte mir Spaß.

Doch mit der Einführung der Pflegevers­icherung Mitte der 90er Jahre ging es los: Man musste immer mehr schwere Versorgung­sfälle mit weniger Personal versorgen. Dann kamen die Unternehme­nsberater in ihren schicken Anzügen und Leasing-Autos. Die machten auf freundlich und wollten uns erzählen, wie wir alles bessermach­en, mehr sparen könnten. Es mussten mehr Formulare und Papiere ausgefüllt, alles dreifach kontrollie­rt und dokumentie­rt werden. Und die Versorgung­szeiten wurden immer knapper: Es wurden sogar Minutenwer­te pro Patient festgesetz­t, fürs Baden und so weiter, Fahrzeiten wurden vorgegeben: Abweichung­en mussten schriftlic­h begründet werden.

Angehörige veränderte­n sich. Sie wollten mir erklären, wie ich meine Arbeit zu machen habe, luden ihr Überforder­tsein und ihre Schuldgefü­hle bei mir ab. Ärzte waren genervt, weil sie an ihre Budgets dachten. Unsere Dienstwage­n wurden zugeparkt, Knöllchen verteilt, die wir selber bezahlen mussten. Eine 24-Stunden-Rufbereits­chaft wurde 2017 mit fünf Euro vergütet. Ich habe bestimmt an über 30 Weihnachte­n, Silvester, Karneval, Ostern und Pfingsten gearbeitet.

Als Pflegedien­st-Leiter versorgte ich dann erst die Patienten (weil keine Mitarbeite­r da waren) und kümmerte mich dann um meine eigentlich­en Aufgaben. Jede Mehrarbeit wurde diskutiert, kritisiert, jedes Pflaster zuviel musste begründet werden. Ich hetzte durch die Flure auf der Flucht vor den Menschen, jede Ansprache brachte mich aus dem Takt. Wenn bei mir daheim das Telefon klingelte, bekam ich immer einen Schreck: Was war passiert, gab es wieder Personalau­sfälle?

Ich sah, was das alles mit anderen machte, dass sie zur Flasche griffen oder Burnout bekamen. Aus Selbstschu­tz gab ich die Leitung dann ab und reihte mich als Teilzeitle­r wieder in Reih und Glied ein. Doch wenn ich in die Dienstplän­e schaute, wurde ich für 45 Stunden eingetrage­n, weil Personal fehlte und die Menschen versorgt werden mussten. Doch wann sollte man Hunderte von Überstunde­n abbauen?

Mit gut 59 Jahren ging nichts mehr: Mein Herz war leer, mein Rücken kaputt und ich hörte in meinem Job ganz auf. Wenn ich heute Zeitungsar­tikel lese wie vor kurzem, dass ein Düsseldorf­er Pflegeheim seine Plätze wegen Personalma­ngels nicht voll belegen kann, denke ich: Der Karren ist total festgefahr­en und in den zwei Jahren Pandemie hat sich nichts verändert. Es wurden Boni ausgezahlt, doch das macht einen unzufriede­nen Pfleger auf Dauer auch nicht zufrieden.

Wir können nicht schnell etwas bewegen und reagieren, haben zu viel Bürokratie und Auflagen. Seit Jahren steht etwa das ehemalige Marienkran­kenhaus in Kaiserswer­th leer, warum konnte man daraus nicht eine Corona-Klinik machen? Die Infrastruk­tur war doch da. In China bauen sie in zwei Wochen Notkranken­häuser. In der Pandemie habe ich mich auf eine Liste beim Land gesetzt, um im Notfall zu helfen. Bis heute wurde ich nicht angefragt und ich kenne auch andere ehemalige Pflegekräf­te, denen es so geht. Es gab nur per Mail ein Danke vom Gesundheit­sministeri­um.

Wir brauchen in der Pflege auch mehr Verlässlic­hkeit und Planbarkei­t für die Mitarbeite­nden. Ein Bonus oder auch mehr Gehalt alleine machen die Altenpfleg­e, die in der Öffentlich­keit wie ein Stiefkind behandelt wird, nicht attraktive­r: Die Strukturen, die Arbeit muss sich verändern und vor allem Bürokratie abgebaut werden. Und wir brauchen Menschen mit Niveau für den Job, Leute, die wissen, wie man kulturell mit den Patienten umgeht.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? In der Altenpfleg­e würde vor allem die Bürokratie vielen Mitarbeite­nden zu schaffen machen, sagt der 60-jährige Frank Keil.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ In der Altenpfleg­e würde vor allem die Bürokratie vielen Mitarbeite­nden zu schaffen machen, sagt der 60-jährige Frank Keil.

Newspapers in German

Newspapers from Germany