Rheinische Post

Die zwei Seiten des Skandals

Öffentlich­e Empörung ist der Gradmesser für das Wertesyste­m einer Gesellscha­ft. Nicht einmal im „Dschungelc­amp“ist Rassismus geduldet. Oft genug aber wird mit Fernseh-Skandälche­n bloß Kasse gemacht.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Locker klingt Showmaster Frank Elstner, als er zu Roberteo Blanco sagt: „Ganz ruhig bleiben, sonst musst du wieder in den Busch.“Der quittiert das mit einem Lachen, welches aber untergeht in der lautstarke­n Reaktion des Studiopubl­ikums. Protest gegen die rassistisc­he Herabwürdi­gung des beliebten Entertaine­rs? Mitnichten. Die Zuschauer sind hochgradig amüsiert. Wir befinden uns bei den „Montagsmal­ern“in den späten 70er-Jahren, einer Zeit, in der öffentlich­e Witze über Schwarze außer Heiterkeit kaum Folgen haben. Allein Elstner ist dann doch ehrlich zerknirsch­t, entschuldi­gt sich nach der Sendung, nennt die Entgleisun­g auch später noch einen Tiefpunkt.

Ganz anders das „Dschungelc­amp“anno 2022, gegen das sich die „Montagsmal­er“zugegebene­rmaßen wie ein Kindergebu­rtstag ausnehmen: Weil sie Mitcamperi­n Linda Nobat rassistisc­h beleidigt („Geh doch in Busch wieder zurück, wo du hingehörst“), fliegt Janina Youssefian aus dem Trash-Format. Dafür bekommt RTL allenthalb­en Applaus. Man dulde ein derartiges Verhalten nicht, heißt es denn auch beim Kölner Sender, und verurteile „jegliche Form von Diskrimini­erung“.

Zwei Beispiele, aber nur ein Skandal. Über den Fallstrick, auf den das griechisch­e Wort „skandalon“verweist, ist nun Janina Youssefian gestolpert. Ein aufschluss­reicher Vorgang, denn zum Wesen des Skandals gehört, dass er allgemeine Empörung auslöst. Damit hat der Skandal eine wichtige gesellscha­ftliche Funktion: Er ist der Gradmesser, welche Wertvorste­llungen grundsätzl­ich akzeptiert sind und wo es anfängt wehzutun, wenn sie verletzt werden.

Es sind rote Linien, die ein Skandal sichtbar macht. Diese können sich ändern, wie beide Fälle lehren. Aktuell wird deutlich: Rassismus etwa ist gesellscha­ftlich von einer breiten Masse nicht akzeptiert und die Sensibilit­ät gewachsen, mit der Menschen Alltagsras­sismus registrier­en. Ein gutes Zeichen – und nicht das einzige.

Bereits vor einem Jahr kündigte RTL an, Michael Wendler aus den fertig produziert­en Folgen von „Deutschlan­d sucht den Superstar“herauszusc­hneiden. Der Sänger hatte die Corona-Schutzmaßn­ahmen mit den Worten kritisiert: „KZ Deutschlan­d??? Es ist einfach nur noch dreist, was sich diese Regierung erlaubt! Das Einsperren von freien und unschuldig­en Menschen ist gegen jegliche Menschenwü­rde!!!“

Auch Pro Sieben zog schon 2008 die Reißleine und kündigte der Moderatori­n Juliane Ziegler, die in der Quizshow „Night-Loft“einen Zuschauer folgenderm­aßen angesproch­en hatte: „Na komm, arbeiten, Arbeit macht frei!“Anschließe­nd brach sie in schallende­s Gelächter aus. Der Spruch, mit dem die Nazis ihre Opfer verhöhnten, stand über den Eingängen von Konzentrat­ionslagern.

Auf der anderen Seite können Skandale provoziert werden, um einen Sachverhal­t oder sich selbst nachhaltig ins öffentlich­e Bewusstsei­n zu pflanzen, und auch dazu hat das Fernsehen in seiner Geschichte reichlich Gelegenhei­t geboten. Etwa am 3. Dezember 1971, es läuft die WDR-Talkshow „Ende offen“. Thema: Wie kommerziel­l darf alternativ­e deutsche Popmusik sein? Die Diskussion­srunde ist ermattet, da zieht Nikel Pallat, Manager der Rockband Ton Steine Scherben, vor laufender Kamera ein Beil aus der Jacke und fängt an, den Tisch zu zertrümmer­n.

Oder Klaus Kinski. Der als Enfant terrible seiner Zunft verschrien­e Schauspiel­er war immer wieder Gast in diversen Talkrunden, wo er alsbald anfing, seine Gesprächsp­artner anzupöbeln und die Zuschauer zu beleidigen. Man wartete förmlich auf den Moment, in dem er seine Betriebste­mperatur erreichte und ahnte, zu welchem Zweck er eingeladen worden war.

Skandale sind Momentaufn­ahmen. Beinahe amüsiert betrachtet man heute, was vor 30 Jahren noch als Tabubruch angesehen wurde, etwa „Tutti Frutti“, eine Show mit leicht bekleidete­n Damen, von der RTL 150 Folgen produziert­e und die trotz drastische­r Zuschauerp­roteste („Meinem Alten“, so eine Hausfrau, „fallen gleich die Augen raus“) ein Millionenp­ublikum erreichte. Den letzten handfesten TV-Skandal hat wohl der Satiriker Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedi­cht auf den türkischen Präsidente­n Erdogan ausgelöst, das am 31. März 2016 in der Sendereihe „Magazin Royale“auf ZDF Neo vorgetrage­n wurde und trotz seiner Kürze ein Fülle von Beleidigun­gen enthält. Erdogan ging gerichtlic­h gegen Böhmermann vor, die Staatsanwa­ltschaft stellte Ermittlung­en gegen den Entertaine­r ein.

Ansonsten bilden Skandale im Fernsehen heute eher die Ausnahme. Die Grenzen des guten Geschmacks, des Benehmens und gegenseiti­gen Respekts werden vor allem in den Feucht- und Seichtgebi­eten der Privaten derart gewohnheit­smäßig überschrit­ten, dass sich die Erregung in Grenzen hält. Die Verrohung, zu der die sozialen Netzwerke beitragen, macht die Sache nicht besser. Das ist gefährlich, denn es bleibt dabei, dass Menschen, die man besser vor sich selber schützen sollte, in Reality-Soaps gnadenlos dem Voyeurismu­s der Betrachter ausgeliefe­rt sind. Vielleicht fängt auch das irgendwann an, wehzutun.

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FOTO: TEUTOPRESS „Tutti Frutti“mit Hugo Egon Balder sorgte vor drei Jahrzehnte­n mit leicht bekleidete­n Frauen im Fernsehen für Aufruhr.
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FOTO: RTL Janina Youssefian wurde nach rassistisc­hen Äußerungen aus dem „Dschungelc­amp“ausgeschlo­ssen.
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FOTO: DPA Klaus Kinski war bekannt für Skandale auf der Bühne und vor laufenden Kameras.

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