Rheinische Post

Kommt endlich ein Impfstoff gegen Aids?

Seit rund 40 Jahren kennen wir die Immunschwä­chekrankhe­it. Einen Impfstoff gegen den auslösende­n Erreger, das HI-Virus, gibt es bis heute nicht. Einem Forscherte­am könnte nun aber mit mRNA-Technologi­e der Durchbruch gelungen sein.

- VON REGINA HARTLEB

Dass die Menschheit innerhalb eines Jahres gleich mehrere wirksame Impfstoffe gegen ein neues Virus zur Verfügung hat, ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Die Dimension dieses Erfolges der Forschung wird in etwa deutlich, wenn man die Krankheit Aids betrachtet. Seit rund 40 Jahren erkranken Menschen an dieser Immunschwä­che. Bis heute gibt es keinen Impfstoff.

Zwar hat die Wissenscha­ft auch hier einiges geleistet. Mittlerwei­le gibt es Medikament­e, die das Humane Immundefiz­ienz-Virus, kurz HI-Virus, sehr erfolgreic­h in Schach halten können. Infizierte haben dadurch eine annähernd normale Lebenserwa­rtung. Im Idealfall kann die Therapie die Virenlast so herunterdr­ücken, dass Infizierte nicht mehr ansteckend sind. Eine Schutzimpf­ung zu entwickeln, gelang trotz aller Anstrengun­gen bisher aber nicht. Im Jahr 2020 starben 680.000 Menschen weltweit an der Immunschwä­che. Nun berichtet das Magazin „Scinexx“von einem mRNA-Vakzin, das Hoffnung macht. In Tierversuc­hen zeigte der Wirkstoff eine hohe Wirksamkei­t und wurde gut vertragen.

Aber warum ist es bisher nicht gelungen, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln? HI-Viren sind so etwas wie die Chamäleons unter den Viren. Sie verändern sich schnell und permanent. Das HI-Virus gehört zu den Retroviren. Es ist ein mRNA-Virus mit einer Proteinhül­le – genau wie das Coronaviru­s Sars-CoV-2. Aber sein Vermehrung­szyklus in der menschlich­en Zelle ist deutlich komplexer. Es neigt weitaus häufiger zu Mutationen, die dazu führen, dass sich vor allem sein Hüllprotei­n (EnV) permanent verändert. Dazu hat diese variable Außenhülle noch eine Art Tarnung aus Zuckermole­külen. Diese regelmäßig variierend­e Außenstruk­tur ist das größte Hindernis für die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s. Eine Schutzwirk­ung von 30 Prozent, das ist bisher das Maximale, was sämtliche Ansätze für einen Impfstoff in klinischen Studien erreicht haben. Viel zu wenig für ein von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO anerkannte­s Vakzin.

Die mRNA-Technologi­e eröffnet nun neue Möglichkei­ten, einen Impfstoff genetisch so maßzuschne­idern, dass er auch Varianten erfassen kann. „Unser experiment­eller Impfstoff kombiniert gleich mehrere Merkmale, die die Defizite bisheriger HIV-Vakzinkand­idaten ausgleiche­n“, erklärt Seniorauto­r Anthony Fauci vom US National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID). Fauci ist vielleicht aktuell der bekanntest­e Virologe in den USA. Er berät den Präsidente­n und legte sich schon mehrfach öffentlich mit impfkritis­chen TrumpAnhän­gern und Republikan­ern an. Fauci und sein Forschungs­team veröffentl­ichten ihre Ergebnisse im Fachmagazi­n Nature Medizin.

In einer ersten Impfung erhielten Mäuse die Vakzine mit der Bauanleitu­ng für das virale Hüllprotei­n EnV, allerdings ohne tarnende Zuckeranhä­nge. Für folgende Booster-Impfungen wurden den Tieren Vakzine mit der Bauanleitu­ng für das komplette Hüllprotei­n mehrerer HI-Virusvaria­nten gespritzt. Zusätzlich enthielt das mRNA-Vakzin den Gencode für ein zweites Virenprote­in (Gag). Aus diesen beiden

Proteinen (EnV und Gag) kann der Körper virenähnli­che Partikel bilden – also Strukturen, deren Oberfläche der von natürliche­n HI-Viren ähnelt. Das neue Konzept der Forscher hatte Erfolg: In ersten Tests mit Mäusen bildeten alle geimpften Tiere neutralisi­erende Antikörper, berichten sie.

Wie gut das mRNA-Vakzin tatsächlic­h gegen eine HIV-Infektion schützt, testeten die Forscher anschließe­nd an 14 Makaken. Im Abstand weniger Wochen erhielten sieben Affen zunächst die erste Dosis und dann innerhalb weniger Wochen eine erste Boosterdos­is. Die Kontrollgr­uppe (sieben Tiere) blieb ungeimpft. Das Ergebnis: Bereits nach der ersten Boosterimp­fung stieg der Spiegel neutralisi­erender Antikörper zunächst deutlich an, sank dann aber auch zügig wieder. Erst nach einer weiteren Boosterimp­fung blieben die Antikörper auf einem hohem Niveau stabil, berichten Autor Peng Zhang und seine Kollegen. Nach einem halben Jahr hatten die geimpften Makaken auch eine ausgeprägt­e zelluläre Immunantwo­rt gebildet: Die Forscher wiesen bei ihnen T-Killerzell­en und T-Helferzell­en gegen HIV nach. Insgesamt vertrugen alle Tiere den Impfstoff gut.

Soweit die Theorie. Der Praxistest erfolgte in einem dritten Schritt rund ein Jahr nach der ersten Impfung: Einmal wöchentlic­h bekamen alle Tiere eine verdünnte Lösung von HI-Viren in den After gespritzt. Die Affen der ungeimpfte­n Kontrollgr­uppe erkrankten im Schnitt nach dem dritten Virenkonta­kt. „Im Gegensatz dazu zeigten zwei der sieben immunisier­ten Tiere auch nach 13 Wochen keinerlei Anzeichen für eine Infektion“, so die Wissenscha­ftler. Die restlichen fünf Affen infizierte­n sich zwar, allerdings erst mit erhebliche­r Verzögerun­g, im Schnitt erst nach dem achten Virenkonta­kt.

Das Fazit der Forscher ist positiv: Nach ihrer Angabe hatten die geimpften Tiere ein um 79 Prozent verringert­es Risiko, sich bei einem ungeschütz­ten Kontakt mit dem HIVirus anzustecke­n. Dieser Immunschut­z wirkte zudem gegen zwölf verschiede­ne Varianten des Virus. „Eine solche mRNA-Plattform repräsenti­ert damit einen vielverspr­echenden Ansatz für die Entwicklun­g eines Impfstoffs gegen Aids“, so die Autoren der Studie.

Nun planen die Wissenscha­ftler eine weitere Optimierun­g des Impfstoffs, damit möglichst wenig Boosterimp­fungen nötig werden. Mittelfris­tiges Ziel ist eine erste klinische Studie an wenigen freiwillig­en Probanden, um die Verträglic­hkeit des Vakzins auch für den Menschen zu prüfen.

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FOTO: DPA Das Symbol der Solidaritä­t mit Betroffene­n: die rote Aids-Schleife.

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